Die früher gaullistische Partei Frankreichs, die „Republikaner“, hat zum ersten Mal nach dem erprobten Muster der USA Vorwahlen für die Präsidentschaft abgehalten. Von den drei führenden Kandidaten war einer, Nicolas Sarkozy, schon einmal Präsident der Republik gewesen, die anderen beiden, Alain Juppé und François Fillon, haben viele Jahre unter Sarkozy und dessen Vorgänger Jacques Chirac als einfache Minister und als Premierminister gedient. Die Kontinuität des politischen Führungspersonals ist in Frankreich noch starrer als anderswo. Dass Fillon nun die Vorwahl auf der Rechten gewonnen hat, ist weder überraschend noch signalisiert es eine Änderung der alten Politik.
Er tritt nun als radikalliberaler Reformer auf. Sein Programm ähnelt bis aufs Detail dem, was er zu Beginn seiner und Sarkozys Periode an der Spitze des Staates anno 2007 angekündigt hatte: Anhebung des Rentenalters, Lockerung der Arbeitsschutzgesetze, Rückführung des staatlichen Defizits und Entlassungen im öffentlichen Dienst. Als danach François Hollande von den „Sozialisten“ vor fast fünf Jahren Präsident wurde, zögerte er eine Weile, bevor er dieses Programm übernahm. Vor ihnen hatte Juppé sich an einem ganz ähnlichen Programm versucht. Das Schöne an Frankreich ist, dass die Herren (und manchmal auch einige Damen) auf Widerstand stoßen und nur einen Teil ihrer Reformen gegen die Massenproteste verwirklichen können.
Es ist nicht wirklich überraschend, dass angesichts der Entschlossenheit der politischen Elite aus den beiden Großparteien, die unteren zwei Drittel der Bevölkerung ärmer zu machen und sie von dem von ihnen erarbeiteten Produkt auszuschließen, die Wähler sich in immer neuen Schüben von ihnen abwenden. Sarkozy gelang es nach vielen Jahrzehnten zum ersten Mal wieder als amtierender Präsident, nicht wiedergewählt zu werden. Hollande kann diesem Schicksal nur entgehen, wenn er zur Wahl im April/Mai nächsten Jahres nicht antritt. Auf der ganz rechten Seite gewinnt der „Front National“ umso mehr an Boden, je übler das etablierte Personal die Bevölkerung schikaniert. Frau Le Pen kann sich als Verteidigerin der sozialen und nationalen Rechte des Volkes, als moderne Jeanne d‘Arc geben. Mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln können die Großparteien wahrscheinlich ihren Kandidaten dieses Mal noch gegen Le Pen durchsetzen. Aber sicher ist die Sache nicht.
Nichts deutet darauf hin, dass die herrschende Klasse Frankreichs den antisozialen Kurs im Interesse der Stabilität ihrer Herrschaft mäßigt. Im Gegenteil, der frisch gekürte, altbekannte Kandidat Fillon ergeht sich schwärmerisch in radikalen Sprüchen von Kostensenkung und von der Wiedergewinnung von Wettbewerbsfähigkeit. Abgesehen davon, dass die französischen Monopole um ihrer Profite willen auf Lohn- und Kostensenkung bestehen, sind sie auch der deutschen Konkurrenz ausgesetzt. Das seit der DDR-Annexion und der Agenda 2010 in Deutschland gedrückte Lohnniveau hat den deutschen Konzernen Sondervorteile verschafft, die in ganz Europa krisenverschärfend wirken.