Heiße Gefechte an der Wallstreet

Fiktiv oder real

Kolumne

Die Giganten an der Wall Street liefern sich abenteuerliche Gefechte. In der vergangenen Woche kehrte Apple wieder an die Spitze der wertvollsten Unternehmen zurück. 3,34 Billionen Dollar war es wert und verwies Microsoft (3,19 Billionen Dollar) und Nvidia (Marktführer bei der „Künstlichen Intelligenz“, 2,87 Billionen Dollar) auf die hinteren Plätze. Das Rennen ist noch spannender als das zwischen Kamala und Donald, zumal minütlich neue Zwischenstände vermeldet werden. Ein kurzer Blick auf die Größenordnungen: Das jährliche Bruttoinlandsprodukt (BIP) der BRD und Japans ist jeweils etwa 4,2 Billionen Dollar groß. Beide wachsen nur noch mit der Inflationsrate, was man den „Magnificent 7“ an der Nasdaq-Börse nun wirklich nicht nachsagen kann. Oder ein anderer Vergleich: Joe Biden hat der neuen Kandidatin 96 Millionen Dollar für den Wahlkampf hinterlassen. Sie hat diesen Betrag binnen weniger Tage dank großzügiger Spenden verdoppelt. Aber man bedenke: 200 Millionen Dollar sind, wenn ich mich nicht mit den Nullen vertue, nur 0,6 Promille des Marktwerts von Apple.

War es denn früher anders? Manche Börsenprofis meinen, ja. Darunter der große Meisterinvestor Warren Buffett aus Omaha, dem es immerhin gelang, mittels kluger Aktienspekulation zu einem der reichsten Männer des durchkapitalisierten Globus zu werden. Man solle den Wert aller Aktien mit dem in Beziehung setzen, was tatsächlich real produziert wird, meint der alte (börsen-)weise Mann. Laufen die Aktienkurse zu lang nach oben, wird der Aktienmarkt insgesamt, verglichen mit dem BIP eines Landes, zu groß, sollte man sich auf einen Rückschlag oder einen Crash einstellen. Im Rückblick ist leicht zu erkennen, dass der Wert aller in den USA gehandelten Aktien 1999 und dann wieder 2007 mehr als 100 Prozent des damaligen jährlichen BIP des Landes erreicht hatte und prompt von einem US- und weltweiten Crash gefolgt wurde. Das Verhältnis von Realwirtschaft und Börsenpreisen normalisierte sich wieder. Legt man diesen Maßstab heute an, stellt man fest, dass das Verhältnis Börsenkurse/US-BIP auf den bisher nie gekannten Wert von über 160 Prozent gestiegen ist.

Für Börsenprofis ist die Schlussfolgerung klar: Jetzt noch in Aktien einzusteigen ist wahrscheinlich der falsche Moment. Wir stellen dagegen mit Unbehagen fest: Die Kluft zwischen halb-realem und fiktivem Reichtum war noch nie größer. Auf den neoliberalen Wahnsinn des Finanzkapitals folgte nach den Crashs die wilde Entschlossenheit, den fiktiven Reichtum noch kräftiger politisch zu fördern als zuvor. Jetzt hat das Team um Frau Harris bereits begonnen, das Verhältnis der „demokratischen“ Partei zu den Spekulanten in Kryptowährungen wie Bitcoins zu verbessern. Herr Trump ist bereits Fan dieser Truppe. Es noch toller zu treiben als bisher ist offensichtlich beider Figuren Ziel.

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"Fiktiv oder real", UZ vom 2. August 2024



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