Venezuelas Opposition wollte Präsident Nicolás Maduro in diesem Jahr stürzen. Das ist ihr nicht gelungen

Fester im Sattel

Von André Scheer

Die Opposition will Venezuelas Präsidenten Nicolás Maduro unbedingt stürzen.

Die Opposition will Venezuelas Präsidenten Nicolás Maduro unbedingt stürzen.

( Eneas De Troya/flickr.com/CC BY 2.0)

Vor einem Jahr fühlte sich Venezuelas Opposition bereits als Sieger. Präsident Nicolás Maduro werde noch im ersten Halbjahr 2016 stürzen, prognostizierten Sprecher der Rechtsallianz MUD (Tisch der demokratischen Einheit), nachdem diese bei der Parlamentswahl am 6. Dezember 2015 eine klare Mehrheit der Mandate in der Nationalversammlung erringen konnte. Die Bürger des südamerikanischen Landes hatten der regierenden Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) und ihren Verbündeten, auch der Kommunistischen Partei (PCV), die Quittung für den hilflosen Umgang der Administration mit Warenknappheit, Inflation und Wirtschaftskrise gegeben. Die über Jahre immer wiederkehrende Erklärung, die Oligarchie betreibe einen Wirtschaftskrieg gegen die Bolivarische Revolution, befriedigte immer weniger Venezolaner, denn die Regierung konnte keine Strategie aufzeigen, wie sie dieser Offensive ihrer Gegner begegnen wollte.

Ein Jahr später sitzt Maduro fester im Sattel als vor zwölf Monaten. Der vom Regierungslager gewählten Verzögerungstaktik hatte die heterogene Opposition, die nur durch den Wunsch nach einem Machtwechsel zusammengehalten wird, wenig entgegenzusetzen. Schon im Frühjahr hatte man sich nicht darauf einigen können, auf welche Strategie man setzen sollte. So verkündete die MUD öffentlich eine auf drei Säulen basierende Kampagne. Maduro sollte demnach durch Straßenaktionen zu einem „freiwilligen“ Rücktritt gezwungen, seine Amtsenthebung per Referendum durchgesetzt oder seine Amtszeit per Verfassungsänderung verkürzt werden.

Nur eine dieser drei Optionen war realistisch. Einen „Rücktritt“ würde man nur durch einen Staatsstreich erreichen, doch das Militär steht nach wie vor auf der Seite der verfassungsmäßigen Regierung. Zur Verfassungsänderung beschied der oberste Gerichtshof den Abgeordneten, dass eine Verkürzung der Amtszeit erst den nächsten Staatschef treffen würde. Zudem bremsten die obersten Richter Initiativen des Parlaments immer wieder als verfassungswidrig aus. Blieb das Amtsenthebungsreferendum. Dieses beantragten die Führer der MUD erst im März – und ermöglichten der Regierung dadurch ein Spiel auf Zeit. Denn die für die Durchsetzung des Referendums erforderlichen Schritte sind mit Fristen verbunden, die vom Nationalen Wahlrat (CNE) voll ausgeschöpft wurden. Schnell zeichnete sich ab, dass die Abstimmung erst 2017 stattfinden würde. Dann aber ist das Referendum für die Opposition nahezu wertlos. Venezuelas Verfassung legt fest, dass eine Absetzung des Staatschefs in den letzten zwei Jahren seiner Amtszeit nicht zu Neuwahlen führt, sondern der Vizepräsident die Amtsgeschäfte bis zum regulären Ende der Legislaturperiode übernimmt. Diese Frist beginnt Mitte Januar 2017.

Zugleich hat sich die Lage in Venezuela, die im ersten Halbjahr 2016 durch eine monatelange Dürre verschärft worden war, inzwischen etwas entspannt. Die Versorgungslage hat sich gebessert, und im Dezember ging Maduro mit einem Überraschungscoup gegen Währungsmanipulationen vor, die eine Hyperinflation verursacht haben: Während neue Geldscheine im Wert von 1000 Bolívares und mehr eingeführt wurden, wurde der Schein mit dem bis dahin höchsten Nennwert, 100 Bolívares, aus dem Verkehr gezogen. Millionen dieser Scheine waren nach Kolumbien und in andere Länder verschoben worden, um die Liquidität Venezuelas zu untergraben. Nun saßen die Wechselstuben im kolumbianischen Grenzort Cúcuta plötzlich auf Bergen von wertlos gewordenen Geldscheinen, denn ein Rücktransport nach Venezuela wurde durch die gleichzeitig verhängte Grenzschließung verhindert. Die Wirkung ließ sich innerhalb weniger Tage an den Schwarzmarktkursen des venezolanischen Bolívar ablesen: Er stieg um 45 Prozent.

Die erfolgreichen Maßnahmen der Regierung können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie nach wie vor in der Defensive ist. Die Kommunistische Partei begrüßte etwa die Außerkraftsetzung der 100-Bolívar-Scheine als „gut gemeint“, jedoch unzureichend. Notwendig sei die Nationalisierung des gesamten Finanzsektors, forderte PCV-Generalsekretär Oscar Figuera am 12. Dezember bei der wöchentlichen Pressekonferenz des Zentralkomitees in Caracas. Die Partei verteidigt zwar weiter die antiimperialistische Ausrichtung der venezolanischen Regierung, hat in den vergangenen Monaten jedoch ihre Kritik an deren Wirtschafts- und Sozialpolitik verschärft. Tatsächlich ist von einem Aufbau des Sozialismus, wie ihn Maduro im Wahlkampf 2013 versprochen hatte, kaum noch etwas zu spüren. Der Abwehrkampf gegen die Konterrevolution wird in erster Linie mit punktuellen Antworten geführt, die der Logik des Kapitalismus nicht widersprechen. Eine Gegenoffensive zeichnet sich trotz anderslautender Parolen nicht ab.

Die Position Venezuelas wird allerdings auch durch die Entwicklungen in den Nachbarländern erschwert. Ende 2015 übernahm die Rechte die Regierung in Argentinien, 2016 folgte der institutionelle Putsch in Brasilien. Dadurch verlor Caracas zwei starke Verbündete – und bekam zwei gefährliche Gegner auf der internationalen Bühne. Das zeigte sich, als Venezuela Anfang Dezember aus dem südamerikanischen Wirtschaftsbündnis Mercosur ausgeschlossen wurde. Dem Druck von Brasilien, Argentinien und Paraguay musste sich dabei auch das vom Linksbündnis Frente Amplio regierte Uruguay beugen. Begründet wurde dieser Schritt damit, dass Caracas bestimmte, mit dem Beitritt 2012 übernommene Verpflichtungen nicht erfüllt habe. Die venezolanische Regierung wies das zurück: Man habe 95 Prozent der Regeln des Mercosur in nationale Gesetze übernommen, bei den anderen Mitgliedstaaten seien das weniger.

In ganz Lateinamerika ist die Solidarität mit Venezuela nach wie vor groß, denn trotz aller Kritik an Einzelpunkten ist den linken Parteien und Bewegungen der Region bewusst, dass ein Sturz der bolivarischen Regierung ein Signal für eine Verschärfung des Rechtsrucks wäre, der dramatische Folgen für die Arbeiterbewegung und die Lebensbedingungen der Menschen hätte.

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"Fester im Sattel", UZ vom 23. Dezember 2016



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