Friedenskräfte werden verfolgt und abgestraft, doch Widerstand ist möglich – Interview mit Heinrich Bücker

„Fest entschlossen, Stellung zu beziehen“

Vor wenigen Wochen erhielt der Berliner Friedensaktivist Heinrich Bücker einen Strafbefehl. Ihm wurde vorgeworfen, in einer Rede zum 81. Jahrestags des faschistischen Überfalls auf die Sowjetunion gegen Paragraf 140 des Strafgesetzbuches verstoßen zu haben. Bücker betreibt das Coop Anti-War Café in Berlin, veranstaltet die Jamsession „Frieden mit Russland“ und ist Mitglied der Kommunistischen Plattform (KPF) in der Partei „Die Linke“. UZ sprach mit ihm über das Urteil, seine Rede und die Notwendigkeit der Gegenwehr.

Eine kürzere Fassung dieses Interviews erschien in der UZ vom 24. Februar.

UZ: In einem Strafbefehl wurdest Du kürzlich zu einer Geldstrafe von 2.000 Euro oder ersatzweise zu 40 Tagen Haft verurteilt. Wie kam es zu der Verurteilung und was wird dir vorgeworfen?

Heinrich Bücker: Die Anzeige ging von einem Anwalt aus, der für die internationale Anwaltsfirma Ernst & Young arbeitet. Mir wurde vorgeworfen, die Propaganda der russischen Regierung zu übernehmen, in einer Weise, die geeignet sein soll, die öffentliche Ordnung zu stören. Der Fall landete beim Amtsgericht Tiergarten und ich erhielt einen Strafbefehl über 2.000 Euro. In meiner Rede zum Jahrestag habe ich mich im Wesentlichen auf die Äußerungen des ukrainischen Botschafters in Berlin bezogen und auf die Nazikollaborateure in der Ukraine. Deren Anhänger haben in den letzten Jahren zahlreiche Denkmäler errichtet. Am Stadtrand von Kiew befindet sich das Mahnmal von Babyn Jar, wo die Bandera-Truppen und deutsche Nazis im Jahr 1941 mehr als 30.000 Juden erschossen haben. Die Straße, die dorthin führt, wurde inzwischen nach Stepan Bandera benannt. Das ist für mich die Spitze des Skandals. Was dort stattfindet, ist absolut ekelhaft. Ich bin fest entschlossen, gegen solche Geschichtsverdrehung Stellung zu beziehen. Und ich werde weiter diese Politik hier in Berlin anprangern – notfalls auch vor Gericht. Deshalb habe ich Einspruch eingelegt und werde auch durch alle Instanzen gehen, wenn es zu Verurteilungen kommen sollte.

UZ: Du hast das Urteil öffentlich gemacht. Was für Reaktionen hast du erlebt?

Heinrich Bücker: Es gibt viele positive Reaktionen in Form von Artikeln, von Beiträgen und von Mails, die ich bekomme. Es gibt sicher auch ablehnende Reaktionen, aber die sind mir nicht so präsent. Der Fall ist inzwischen auch international bekannt. In den USA gibt es eine Reihe von Aktivisten, die nach dem Brand im Gewerkschaftshaus von Odessa (2014) nach Odessa reisten und Solidaritätsarbeit leisten. Auch dieses Odessa-Solidaritätskomitee, das von mir unterstützt wird, hat meinen Fall inzwischen aufgegriffen. Ich erhalte solidarische Reaktionen aus Deutschland, aus den USA und auch aus Russland. In mehreren Ländern wird über dieses Verfahren berichtet und darüber, dass einfach unglaublich ist, was in Deutschland stattfindet.

UZ: Unglaublich ist auch die Begründung des Strafbefehls. Dort heißt es, die von dir getätigten Aussagen hätten das „Potenzial, das Vertrauen in die Rechtssicherheit zu erschüttern und das psychische Klima der Bevölkerung aufzuhetzen.“ Wie verteidigt man sich gegen solche Phrasen?

Heinrich Bücker: Ich denke, man muss diese Behauptungen klar und deutlich zurückweisen und eben auch auf die aktive Unterstützung der deutschen Regierung für ukrainische Faschisten hinweisen. Natürlich will ich damit nicht sagen, dass alle Ukrainer faschistisch sind; aber ein bedeutender Teil derer, die dort in allen wichtigen Strukturen maßgeblich aktiv sind. Und eben dieser Teil wird von Berlin unterstützt. Gleichzeitig betone ich immer, dass ich solidarisch mit den ukrainischen Flüchtlingen bin. Ich habe keinerlei Aversionen gegen die Menschen, die aus Panik oder aus anderen Gründen nach Deutschland kommen und hier Zuflucht suchen. Aber gegen diese deutsche Politik muss man ganz klar, deutlich und auch hart Stellung beziehen.

UZ: Ist das psychische Klima in der Bevölkerung nicht eher durch die andauernde mediale Mobilmachung unter Druck? Zum Beispiel wenn die Außenministerin im Europarat erklärt „Wir führen einen Krieg gegen Russland“.

Heinrich Bücker: Leider fällt diese Staatspropaganda in den öffentlichen Medien und die damit verbundene Russophobie vor allem in Westdeutschland auf einen fruchtbaren Boden. Die russischen Medien sind ja aus der Debatte ausgeschlossen. Ich glaube, dass ein Großteil der Bevölkerung im Osten noch immer für Frieden mit Russland einsteht. Es gibt Demonstrationen und Protestmärsche, die teilweise auch von der AfD genutzt werden. Trotzdem nehmen dort ja ganz normale Menschen teil, die klar Stellung beziehen und sagen: Wir wollen keine Konfrontation und keine Waffenlieferungen. Man muss immer wieder darauf hinweisen, dass es viele Menschen in Deutschland gibt, die die russische Politik verstehen und teilweise auch unterstützen.

UZ: In deiner Rede hattest Du auf den historischen Kontext hingewiesen und auch deutlich gemacht, dass Deutschland nie wieder an einem Krieg gegen Russland beteiligt sein darf. Diese Haltung war früher auch in sozialdemokratischen Kreisen Konsens …

Heinrich Bücker: Ja, das hat sich seit Februar 2022 natürlich fundamental geändert. Aber diese Tendenzen gab es auch schon vorher. Wie Merkel jetzt zugegeben hat, war das Minsk-II-Abkommen nur eine Täuschung, um die Russen zu beruhigen. Die deutsche Regierung war also direkt beteiligt. Dazu gehört auch die Vorgeschichte mit Skripal, Nawalny und Timoschenko in der Charité, die sagte, man solle Putin ins Gesicht schießen und eine Atombombe auf den Donbass schmeißen. Die deutsche Politik hat an der Entwicklung dieses russophoben Narrativs mitgewirkt und die Dämonisierung Russlands vorangetrieben. Was Baerbock und Scholz jetzt von sich geben, ist nur das Sahnehäubchen auf einer Politik, die seit Jahren faschistische Kräfte in der Ukraine unterstützt. Mit der NATO-Osterweiterung ist man schrittweise an Russland herangerückt. Die deutsche Armee, die in Stalingrad fast eine Million Menschen ausgehungert hat, steht heute wieder an der russischen Grenze und bildet hier bei uns ukrainische Kräfte aus. Ich finde das alles unfassbar.

UZ: Du bist nicht der Einzige, der derzeit wegen politischer Äußerungen verfolgt wird. Auch gegen Bruno Mahlow wird ermittelt und es gibt noch weitere Betroffene. Was wird damit bezweckt?

Heinrich Bücker: Ich glaube, es geht darum, diese Leute abzustrafen und zu dämonisieren. Diese Vorgehensweise ist ein fester Bestandteil der deutschen Politik. Deshalb finde ich es auch sehr wichtig, mit den Kräften zusammenzuarbeiten, die derzeit Verhandlungen fordern – jetzt und sofort! Damit das Morden aufhört. Die Opferzahlen sind ja so immens, dass man sich kaum vorstellen kann, welche Auswirkungen das hat. Dadurch werden Leute emotionalisiert und gegen die russischen Positionen aufgebracht. Je mehr Menschen umkommen, umso stärker wird der Hass. Doch man kann Russland nicht bezichtigen, das zu forcieren. Der Westen und gerade auch Deutschland spielen eine zentrale Rolle in diesem Krieg. Viele sagen, Deutschland agiere im Schlepptau der USA, und das mag teilweise stimmen. Aber in unserer Regierung sitzen eben auch absolute Mittäter und Mitverantwortliche. Das erinnert mich an die Situation in Jugoslawien, wo die Menschen friedlich zusammenlebten, bis der Konflikt auch durch die deutsche Politik entfesselt wurde. Durch Genschers Anerkennung von Teilrepubliken wurden die Leute emotional einbezogen. Zum Schluss haben sie gegeneinander gekämpft. Das ist auch in der Ukraine ein großes Risiko.

Bückers Coop Anti-War Café

UZ: Du betreibst das Coop Anti-War Café in Berlin. Was für Diskussionen erlebst du dort zurzeit?

Heinrich Bücker: Zu uns kommen kaum Leute, die Waffenlieferungen fordern. Das muss ich zuerst sagen. Viele sind in der Friedensbewegung aktiv, sind aber trotzdem antirussisch eingestellt. Sie reden gar nicht über die Tatsache, dass der eigentliche Völkerrechtsbruch mit dem Putsch in Kiew im Jahr 2014 stattfand und darüber, dass Russland dann vor der Invasion das Gefühl hatte, man habe ein Messer an der Kehle. Ich stelle häufig fest, dass auch Friedensaktivisten Putin und seine Politik verachten. Ich halte dem immer gleich von Anfang an entgegen, dass mein Standpunkt da ein völlig anderer ist. Ich mache deutlich, dass ich die russische Position verstehe, dass der überwiegende Teil der russischen Bevölkerung Putins Politik unterstützt. Natürlich nehme ich auch nationalistische Töne in Russland wahr, aber abgesehen von Leuten wie Nawalny finde ich keine faschistischen Thesen, sondern eindeutig antifaschistische Haltungen.

Manchmal kommen auch junge Russen zu mir in den Laden, die das anders sehen. Aber das ist eben nicht die Mehrheit. Ich versuche, zu kommunizieren und weise immer wieder darauf hin, dass es unwahrscheinlich wichtig ist, im Gespräch zu bleiben. Das prägt dann auch das Klima im Café. Auf das Café gab es im vergangenen Jahr Angriffe von außen. Mir wurde eine Scheibe eingeschlagen. Aber im Café gibt es keine Gewalt – wir diskutieren. Übrigens bin ich wegen der Scheibe nie zur Polizei gegangen. 18 Jahre lang habe ich nicht ein einziges Mal die Polizei gerufen, ich habe nie Anzeige erstattet und auch nie Gegenanzeige, wenn jemand sich über das Café beschwert hat. Immer war es mein Anliegen, ausgleichend zu wirken, im Gespräch zu bleiben und auch mit den Behörden konziliant umzugehen.

UZ: Du veranstaltest auch die Jamsession „Frieden mit Russland“. Was kannst du darüber erzählen?

Heinrich Bücker: Die Jamsession läuft seit dem Jahr 2014 unter diesem Motto. Seitdem plakatieren wir auch „Frieden mit Russland – Nie wieder Krieg“ in der Stadt. Und das ist im Grunde genommen der Fokus der Veranstaltung, die nach dem Maidan-Putsch von vielen Russen und auch von Ukrainern besucht wurde. Das war natürlich nicht so ganz einfach, weil auch da schon diese Russophobie präsent war. Aber das ging noch. Dann kam die Corona-Zeit. Jetzt findet die Veranstaltung wieder jeden Freitag statt. Eine Freundin von mir, Ilona, organisiert das sehr geschickt und spricht sowohl Ukrainer als auch Russen an. Das Ziel ist, über die Musik eine Art von Harmonie zu schaffen. Natürlich muss man feststellen, dass auch in russisch-ukrainischen Verwandtschaften und Freundeskreisen die Kommunikation schwieriger geworden ist. Es gibt viele Vermutungen und Verdächtigungen, wo der andere steht und was er denkt. Das prägt die Community und führt zu einem psychologischen Druck. Viele haben Angst davor, sich auszusprechen. Wir greifen diese Situation in den Veranstaltungen auf und bringen Menschen zusammen. Dort treffen Russen und Ukrainer auf Deutsche, US-Amerikaner und andere Ausländer. Viele sind auf der Durchreise. Es sind geniale Musiker dabei, aber jeder kann auch ein bisschen mitmachen. Und alle versammeln sich unter dem Motto „Frieden mit Russland“. Das funktioniert sehr gut!

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