Feindbild findet Massenbewegung

Von Philipp Kissel

Der langjährige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoi­ber (CSU) wusste es schon 1988: Es droht die Gefahr einer „durchmischten und durchrassten Gesellschaft“. Thilo Sarrazin (SPD) schrieb 2010, die „islamische Immi­gration“ sei geprägt durch „fordernde, den Sozialstaat in Anspruch nehmende, kriminelle, andersartige, frauenfeindliche Einstellungen mit fließenden Übergängen zum Terrorismus.“ Davon sind die Reden Michael Mannheimers nicht weit entfernt. Der als „Rechtspopulist“ verharmloste Rassist konnte in den letzten Jahren in Fußgängerzonen üben, wie sich am besten gegen den Islam, Flüchtlinge und die angebliche „Zersetzung des deutschen Volkskörpers“ agitieren lässt und entwickelte sich durch Beiträge auf dem rassistischen Blog PI-News. Ganz ähnlich wie Michael Stürzenberger, der Chef von Bagida, dem inoffiziellen bayerischen Pegida-Ableger. Beide wollen nun als Redner bei einem Aufmarsch von Nazi-Hooligans, Pegida-Anhängern und weiteren faschistischen Kräften in Frankfurt/Main am 20.6. auftreten, zu dem mehrere hundert Teilnehmer erwartet werden. Die Hetzer von der Straße formulieren ganz ähnlich wie der „Welt“-Autor Henryk M. Broder und andere mit Preisen ausgezeichnete Autoren den Kern der neuen nationalistisch-rassistischen Ideologie: „Wir wollen keine intolerante, präzivilisatorische Religion auf deutschem Boden.“ Am Feindbild Islam arbeiteten auch Minister und Kirchenvertreter fleißig, sodass Menschen an Terror denken und Angst kriegen, wenn sie eine Frau mit Kopftuch sehen.

Als im Oktober 2014 über 5 000 „Hooligans gegen Salafisten“ durch Köln zogen und wenig später die Pegida-Spaziergänge Tausende mobilisierten, wurde sichtbar: Dieses von oben aufgebaute Feindbild hat eine Massenbewegung gefunden. Gewalttätige Hooligans von Hogesa und scheinbar „brave Bürger“ von Pegida bildeten dabei von Anfang an eine Einheit. Die Ordner und das technische Rückgrat der Pegida-Demos stellen Nazi-Hools, die sich teilweise als „moderne SA“ verstehen. Zahlreiche Redner der Pegida-Gruppen sprachen bei Hogesa-Demos. Michael Stürzenberger hielt dabei einen Koran hoch und fragte die Menge, was man damit machen müsse. Diese antwortete: „Anzünden!“

Der 20. Juni ist von der Anmelderin Ester Seitz und ihrer Gruppe „Widerstand Ost-West“ als Auftakt zu einer „patriotischen Bewegung“ im Westen Deutschlands gedacht. Dafür sollen alle kommen, eben auch die Nazi-Hools. Es bleibt abzuwarten, ob mit „Widerstand Ost-West“ der Aufbau einer Massenbewegung, wie sie im Osten mit Pegida gelungen ist, klappt. Es ist aber davon auszugehen, dass es Verbindungen zum östlichen Part gibt – trotz aller Streitigkeiten. Mit der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) verfügt die Bewegung über ein Scharnier und Geldmittel, der Kontakt zu Pegida ist recht eng. Ester Seitz wurde im Juni im sächsischen Landtag von der AfD-Politikerin Beatrix von Storch empfangen, wahrscheinlich ist Geld geflossen.

Die Formierung dieser neuen und gefährlichen Bewegung wird vom Staat unterstützt. Die Polizei garantiert das Auftreten in Innenstädten, Sigmar Gabriel (SPD) attestiert ein „Recht darauf, deutschnational zu sein“. Die sächsische Landeszentrale für politische Bildung organisierte Presseräume, ihre Website und Veranstaltungen fördern Verständnis für Pegida und deren Positionen.

Während sich Neofaschisten formieren und Anhang gewinnen, verstärkt der Staat seine Angriffe auf die Rechte der Bevölkerung. Die Einschränkung des Streikrechts durch die sogenannte „Tarifeinheit“, die Möglichkeit, den Personalausweis zu entziehen, die Vorratsdatenspeicherung, der Aufbau einer speziellen „Anti-Terror-Einheit“ der Bundespolizei: Die Bourgeoisie wappnet sich gegen die Arbeiterklasse. Für die Ausweitung der Kriegsführung, für die Abwälzung der Krisenlasten sorgt der bürgerliche Staat durch eine reaktionäre, aggressive Bewegung und den Umbau des Staatsapparats vor. Wir stehen sicher nicht vor der Errichtung einer faschistischen Diktatur, Dimi­troff formulierte aber die Bedeutung des Kampfes gegen alle dahin gehenden Tendenzen: „Genossen, man darf sich den Machtantritt des Faschismus nicht so simpel und glatt vorstellen, als ob irgendein Komitee des Finanzkapitals den Beschluss fasst, an diesem und diesem Tage die faschistische Diktatur aufzurichten. (…) Wer in den Vorbereitungsetappen nicht gegen die reaktionären Maßnahmen der Bourgeoisie und gegen den anwachsenden Faschismus kämpft, der ist nicht imstande, den Sieg des Faschismus zu verhindern, der erleichtert ihn vielmehr.“ Kein Fußbreit den Faschisten heißt für den 20. Juni konkret: Beteiligt euch an den Blockaden der Anti-Nazi-Koordination Frankfurt.

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"Feindbild findet Massenbewegung", UZ vom 19. Juni 2015



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