Zu den Jubiläumsfeiern des Grundgesetzes

Feiern und schleifen

Die Kulissen zur Feier des 75. Geburtstages des Grundgesetzes haben die mit ihrer Herrichtung beauftragten Werbeagenturen in Berlin und den deutschen Landeshauptstädten inzwischen abgeräumt, verstaut oder weggeworfen. Heiter war die Fete nicht. Eher sauertöpfisch sprach der Bundespräsident von „mehr Wohlstand“ als einer Sache nicht kommender, sondern der zurückliegenden Jahrzehnte, rückte stattdessen die „militärische Sicherheit“ in den Mittelpunkt künftiger Aufgaben und forderte offen eine Debatte über „Formen des Wehrdienstes“. „Raue, härtere Jahre“ würden kommen, schwor er bei strahlendem Frühlingswetter die vor dem Reichstag versammelten Honoratioren des Staatsapparates und der herrschenden Medien auf eine düstere Zukunft ein. Die Rede war ein Ruf nach militärisch ausgerichteter Formierung dieser Republik, 75 Jahre nach Verkündung ihrer Grundlagen.

Zwei Tage nach dem Festakt resümierte die FAZ, „die Festtagslaune zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes ist getrübt.“

Es ist kein Zufall und auch nicht den oft beschworenen Veränderungen äußerer Rahmenbedingungen geschuldet, dass Begräbnisstimmung in die Geburtstagsfeier hineinschwappte. Jeder einigermaßen Geschichtskundige weiß: Die Bundesrepublik Deutschland ist als Frontstaat gegen die sich damals von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer und bis an die Elbe bildende sozialistische Staatenwelt ausgerufen worden. Ihr Ziel war es, diesen Vormarsch zum Stehen zu bringen. Dafür wurden in diese Urkunde der Teilung Deutschlands jede Menge Versprechungen hineingeschrieben, die in den Folgejahren Stück für Stück relativiert oder wieder einkassiert wurden und werden. Schon in den 1950er Jahren ist – pa­rallel erst zum Verbot der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und dann der Kommunistischen Partei – das Friedensgebot zugunsten der Wiederaufrüstung weggeschoben worden und keine der seitdem erfolgten Veränderungen des Grundgesetzes hat es fortschrittlicher gemacht.

Das jahrzehntelange Schleifen des Grundgesetzes ist um seinen 75. Geburtstag herum an drei Ecken dieser Grundmauern beschleunigt worden. Zum einen gibt es eine in dieser Intensität noch nicht einmal im Kalten Krieg gekannte Betonung des Militärischen in dem ursprünglich als Lehre aus dem Gemetzel des von Deutschland begonnenen Zweiten Weltkriegs gegründeten Teilstaat, der nun wieder Weltmacht werden will. Zum Zweiten gerät dafür immer stärker das im Artikel 20 niedergelegte Sozialstaatsprinzip dieser Gründung ins Fadenkreuz. So beschwört die FAZ in ihrem Leitartikel am 25. Mai unter der Überschrift „Es geht um Größeres“ die „Kreativität“ „beim Sparen und Umschichten“ zugunsten des Militärs. Alle vom Schüler bis zur Rentnerin sollen für den kommenden Krieg ihre Gürtel enger schnallen. Weil all das nicht widerstandslos über die Bühne gehen wird, rückt mit unerbittlicher innerer Logik einer solchen Politik die in Artikel 5 garantierte Meinungsfreiheit ins Zentrum. Christoph Degenhart wagte – wahrscheinlich, weil er nicht aktiver, sondern schon emeritierter Professor für Staatsrecht ist – zeitgleich zu den Feierlichkeiten den lauten Warnruf, es gäbe zur 75-Jahr-Feier nicht nur Grund zum Jubeln, denn: „Die Freiheiten aus Artikel 5 sind gefährdet. Die Bundesregierung trägt dazu bei.“

Wer will, dass das Grundgesetz weitere runde Geburtstage erlebt, wird an drei Fronten zu kämpfen haben: Gegen die Militarisierung, für den Sozialstaat und für die Meinungsfreiheit.

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"Feiern und schleifen", UZ vom 31. Mai 2024



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