Studentenproteste in Serbien erinnern an Regime-Change-Versuch nach dem NATO-Krieg

Farbenrevolution reloaded

Guido Bergler

Seit drei Monaten gehen Studenten und Anhänger der Opposition in Serbien auf die Straße. Mal in Novi Sad, mal in Kragujevac, mal in Niš. Zahlreiche Universitäten sind besetzt, der Lehrbetrieb steht still. Ein für den 7. März proklamierter „Generalstreik“ floppte gleichwohl mangels Unterstützung der Gewerkschaften. Es blieb beim individuellen Konsumboykott. Für Samstag, den 15. März, ist eine neuerliche Großdemonstration in der Hauptstadt Belgrad geplant.

Auslöser der Proteste mit häufig tausenden bis zehntausenden Teilnehmern war der Einsturz eines Bahnhofsvordachs am gerade erst renovierten Hauptbahnhof in Novi Sad am 1. November. Bei dem Unglück in der nordserbischen Stadt waren 15 Menschen im Alter von 6 bis 74 Jahren getötet worden. Die Regierungsgegner vermuten Pfusch am Bau infolge von Korruption. Als Versuch, das Protestgeschehen zu beruhigen, hat Ministerpräsident Miloš Vučević zwischenzeitlich seinen Rücktritt eingereicht. Die Bestätigung durch das Parlament steht noch aus. Doch Ziel der Proteste ist ohnehin der Sturz des Präsidenten Aleksandar Vučić von der Serbischen Fortschrittspartei, dem hierzulande der Vorwurf gemacht wird, noch immer nicht in die antirussische Front einschwenken zu wollen.

Am vergangenen Freitag erst vereinbarten Vučić und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin eine Stärkung der „strategischen russisch-serbischen Partnerschaft“. Laut dem Kreml kündigte Vučić an, für die Gedenkfeiern zum Sieg über Nazi-Deutschland im Großen Vaterländischen Krieg am 9. Mai nach Moskau zu reisen. Auch serbische Soldaten werden demnach an der Militärparade in der russischen Hauptstadt teilnehmen.

Putin kritisierte mit Blick auf die anhaltenden regierungsfeindlichen Proteste in Serbien eine „Einmischung von außen“. Diese sei „inakzeptabel“. Wie der Kreml zum Telefonat berichtete, habe der russische Präsident seine Unterstützung für das Vorgehen der „rechtmäßig gewählten Behörden“ in Serbien bekräftigt. Dieses zeichnet sich vor allem dadurch aus, die von Studenten vorgetragene Forderung nach Veröffentlichung der gesamten Dokumentation zu den im Sommer 2024 beendeten Renovierungsarbeiten am Bahnhof in Novi Sad aussitzen zu wollen, die Proteste gleichzeitig gewähren zu lassen. Beobachter gehen davon aus, dass Vučić einfach geduldig abwartet, bis die Dynamik nachlässt, statt Polizei zum Einsatz zu bringen. Unter den Studenten wächst bereits der Frust, nicht mehr an die Unis gehen zu ­können.

Für chaotische Szenen sorgten Abgeordnete der Opposition bei der Frühjahrssitzung des Parlaments in der vergangenen Woche, als sie während der Liveübertragung Leuchtfackeln und Rauchbomben zündeten und Eier und Wasserflaschen auf das Präsidium warfen und all dies als Zeichen der Solidarität mit den Protesten im Land verstanden wissen wollten. Auf einem Transparent wurde behauptet, „Serbien hat sich erhoben, damit das Regime fällt“. Berichten zufolge wurden bei der unparlamentarischen Randale mindestens drei Abgeordnete verletzt, eine musste nach einem Herzinfarkt im Krankenhaus behandelt werden. Die medial groß inszenierte Attacke der Opposition hat die Regierungsmehrheit nicht abgehalten, wie geplant ein Gesetz zur Senkung von Studiengebühren um bis zu 50 Prozent zu verabschieden und damit eine Forderung der seit Monaten demonstrierenden Studenten zu erfüllen.

Neben derlei Entgegenkommen und immer neuen Dialogangeboten verweist Präsident Vučić allerdings auch darauf, Opfer eines von westlichen Geheimdiensten orchestrierten Versuchs zu sein, ihn aus dem Amt zu vertreiben oder gar zu töten. Die Ziele der Demonstranten seien von einer Minderheit fabriziert und praktisch gegenstandslos. Tatsächlich folgt das Protestgeschehen in bester Tradition den farbigen Revolutionen der vergangenen Jahrzehnte – bis hin zum eigens kreierten Logo, im aktuellen Fall ein blutiger Handabdruck auf weißem Grund. Bei den Regime-Change-Protesten in Serbien nach dem NATO-Krieg 1999 war es eine stilisierte schwarze Faust, die von der CIA-trainierten Otpor-Bewegung unters Volk gebracht wurde.

Und wie immer denken auch die Studenten heute, dass ihre Proteste gegen Vučić und seine Regierung ihre eigene Idee gewesen sei. Sie werden nicht müde zu betonen, nichts mit Politik oder der Opposition zu tun haben zu wollen, sondern einfach nur „Gerechtigkeit“ zu fordern – was auch immer das konkret bedeuten mag. In jedem Fall nichts weniger, als Vučić zu stürzen, um Serbien endlich in die NATO-Front gegen Russland einzugliedern.

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"Farbenrevolution reloaded", UZ vom 14. März 2025



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