Das Leben als Kanzlerkandidat, zumal für die SPD, ist in Zeiten wie diesen kein Zuckerschlecken. Das muss auch Martin Schulz schmerzlich erfahren. Dabei fing doch alles so gut an für den Hoffnungsträger der ältesten Partei Deutschlands. Ist er nicht Europas beliebtester aller Parlamentspräsidenten gewesen, von 100 Prozent der Delegierten gewählter Kandidat, bester Verklausulierer aller Zeiten? Und jetzt gehen ihm dauernörgelnde Journalisten und eine impertinente Parteibasis mit nicht enden wollenden Aufforderungen, inhaltlich zu werden, gewaltig auf die Nerven. Der Glamour ist hin, die Umfragewerte im Keller und die Lust am Auftritt sowieso. Die selbstgewählte mediale Abstinenz geht nach hinten los, der Absturz ist kaum noch aufzuhalten.
Doch „wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch“ (Hölderlin). Die „Brigitte“, das „deutsche Frauenmagazin“, hat seit ein paar Jahren die Veranstaltungsreihe „Brigitte Live“ etabliert, in der prominente, sprich: erfolgreiche Frauen den Leserinnen ein bisschen auf die Sprünge helfen wollen. Martin Schulz darf, laut Ankündigung, die „kleine männliche Ausnahme“ sein. Da kann nichts mehr schief gehen. Da kommen keine Fragen zu so Langweiligkeiten wie Altersarmut, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, fehlender bezahlbarer Wohnraum, mangelnde Kinderbetreuungsangebote. Brigitte-Leserinnen interessiert was anderes. Hier darf, ja muss es menscheln. Die Wählerinnen sind schon gewonnen.
Martin Schulz ist ein Bekennertyp. Er bekennt die Liebe zu seiner Frau, mit der er seit 32 Jahren verheiratet ist, und sagt „Ich würde sagen, ich liebe meine Frau fast noch mehr als damals.“
Er bekennt sich zu seinen Genüssen. Rinderrouladen nach dem Rezept der Schwiegermutter, süßer Kaffee und Bitterschokolade in der Bretagne, den Garten seiner Frau, die eine erfolgreiche Landschaftsgärtnerin sei. Und natürlich bekennt er sich zum 1. FC Köln. Wenn der das entscheidende Tor der Saison schießt: „Da bin ich durchs Wohnzimmer gehüpft und habe mich richtig jung gefühlt. Mein viel jüngerer Sohn hat gesagt: ‚Setz‘ dich mal wieder hin, du bist doch der Kanzlerkandidat, benimm dich mal hier.“ Zu seiner Alkoholsucht in jungen Jahren hat er sich schon des öfteren bekannt. Darauf kann er stolz sein, sie ganz allein überwunden zu haben.
Schließlich bekennt sich Martin Schulz noch zu seinem politischen Vorbild, Kaiser Karl V. Da wird er richtig emotional, „Der ist Europa, nur 500 Jahre vorher, eine sympathische Figur.“ Über den will er „nach meiner Kanzlerschaft“ ein Buch schreiben. In seinen Zielen bleibt er bescheiden. Im Gegensatz zu dem Monarchen, in dessen Reich die Sonne niemals unterging, schwebt ihm das Großreich Europa vor. Das verbindet ihn mit Emmanuel Macron, dem neuen französischen Präsidenten. Auch der will die Integration Europas weiter vorantreiben. Mit dem kann er diesen seinen Traum verwirklichen. Und der hat so etwas wie die absolute Mehrheit im Parlament.
So macht Politik Spaß. Aber er weiß: „Wahlen sind Langstreckenläufe, die erst im Endspurt entschieden werden“. Er ist ein „Streetfighter“. In sein Tagebuch wird er am 24. September schreiben „Es ist vollbracht.“ Dank Emmanuel Macron hat sich die PS (Sozialistische Partei) in diesem Jahr zerlegt und ist zur Splitterpartei verkommen. Lieber Martin Schulz, das schaffen Sie auch.