Falscher Freund

Von bee

falscher freund - Falscher Freund - Kultur, Mareijke liest Krimis, Norbert Horst, Rezensionen / Annotationen - Kultur

Norbert Horst

Kaltes Land

Goldmann Taschenbuch Verlag, 2017

400 S. 9,99 Euro

August 2010, irgendwo in der irakischen Wüste. Dzhamal verfolgen die Bilder seines Vaters, der im ersten Tschetschenienkrieg (1994 – 1996) gegen die Russen kämpfte, tötete und getötet wurde. Jetzt wird er selbst einen alten Kameraden töten.

April 2016, irgendwo zwischen Afghanistan und der Türkei. Arjun ist noch nicht lange unterwegs. Seinen Onkel, mit dem er losgegangen ist, hat er verloren. Bald wird er Samira treffen, sich in sie verlieben und mit ihr zusammen bis nach Dortmund kommen.

August 2016, Dortmund. Ein heruntergekommenes, verwahrlostes Haus, Zuflucht von Obdachlosen, Junkies, Flüchtlingen. Kommissar Steiger und seine Kollegin Jana finden dort einen Toten. Ausgenommen wie geschossenes Wild. Ein Drogenkurier, ein Bodypacker, den seine Ware umgebracht hat. Und die jemand in seinen Gedärmen gesucht und gefunden hat.

Es ist ein „Kaltes Land“, in dem Kommissar Thomas Adam, von seinen Kollegen nur „Steiger“ genannt, und seine Kollegen im Dortmunder Revier ermitteln. Kalt für die sozial Ausgegrenzten. Junge unbegleitete Geflüchtete, die sich hier im gelobten Land eine bessere Zukunft erhoffen, sind die idealen Opfer für kriminelle Banden. Häufig werden sie nicht sofort registriert, daher auch nicht vermisst, wenn sie von der Bildfläche verschwinden. Sie werden in die Prostitution gezwungen, als unfreiwillige Organspender oder eben als Mulis benutzt, die mit Drogen gefüllte Kondome im Körper transportieren. Steiger und Jana setzen alles daran, die Drahtzieher dieses kriminellen Netzwerks zu finden, was manchmal einen kreativen Umgang mit Vorschriften bedeutet. Sie wollen Gerechtigkeit auch für diese Opfer, die auf der Prioritätenliste der Polizeiarbeit nicht gerade ganz oben stehen. Der Autor erzählt seine Geschichte zeitlich versetzt in zwei Strängen. Mit Arjun und Samira gehen wir den Weg von Afghanistan nach Deutschland. Erfahren von Ängsten, Gefahren, den Widrigkeiten, die auf diesem Weg lauern. Steiger und Jana begleiten wir bei ihrer Ermittlungsarbeit. Norbert Horst ist selbst Kripobeamter. Nach acht Jahren Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Polizeipräsidenten Bielefeld, ist er dort jetzt wieder als Ermittler tätig. Er weiß also, worüber er schreibt. Und seine Version der Polizeiarbeit hat so gar nichts mit der von „Tatort“ und anderen Krimiformaten zu tun. „Kaltes Land“ ist, wie seine bisherigen Romane, um einiges realistischer und authentischer. Aus der Mordkommission wird alsbald eine Abwicklungstruppe. Der Tote wird nicht als Mordopfer behandelt. Ein geplatztes Drogenpaket war die Todesursache. Steiger und Jana finden dennoch Wege weiter zu graben, einer vagen Spur zu folgen. Im Zuge der Ermittlungen stoßen sie auf Drogenhandel, Zwangsprostitution und Organhandel. Eine effiziente Verwertungskette. Sie führt zunächst ins Münsterland, dann nach Kroatien, Madrid, London, Litauen und schließlich Rumänien. Lose Fäden lassen sich mehr und mehr miteinander verknüpfen. Die Erzählstränge laufen aufeinander zu und treffen sich in einem dramatischen Finale.

Wer gerne Krimis liest, in denen nicht einsame Wölfe mit überirdischen Kräften – wahlweise teamunfähige Heldinnen mit ebensolchen Fähigkeiten – die Täter erlegen, Körperflüssigkeiten und -teile ohne Sinn und Zweck herumspritzen oder -fliegen, ist bei Norbert Horst richtig. Seine Geschichten weisen unverblümt auf die Risse in unserer Gesellschaft hin. Er wertet nicht, lässt aber keinen Zweifel daran, wo die Sympathien seines Protagonisten liegen. Und man spürt die Empathie des Autors für die Opfer dieses Systems. Absolut integer. Und nebenbei eine sehr genaue, vielschichtige Skizze des Ruhrpotts, exemplarisch für die bundesdeutsche Wirklichkeit.

Sein Stil ist professionell, nüchtern, anschaulich. Seine hohe Glaubwürdigkeit macht „Kaltes Land“ auch so enorm spannend. Einziger Wermutstropfen für UZ-Leser: die doch fast durchgehend positive Darstellung deutscher Kripobeamter. Engagiert und kompetent arbeiten da alle im Dienst an der Gemeinschaft. Das dürfte bei allem sonstigen Realismus doch ein wenig idealistisch sein. Sehen wir‘s ihm nach.

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"Falscher Freund", UZ vom 1. Juni 2018



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