Im Mai und Juli stehen in Taiwan zum 38. Mal die alljährlichen „Han Kuang“-Großmanöver an. Beteiligt sind alle drei Teilstreitkräfte und sämtliche „Heimatschutzorgane“. Das Motto für dieses Jahr lautet: „Die Lehren aus der russischen Invasion in der Ukraine ziehen.“ Generalmajor Lin Wen-huang, der Leiter der Operation, orientiert sich dabei an der aufgefrischten Taiwan-Doktrin der USA, wie sie am 14. April vom neuen CIA-Chef William Burns in einer Rede am Georgia Tech Institute in Atlanta vorgestellt worden war: „Als stiller Partner der russischen Aggression ist China unsere größte Herausforderung, die tiefstgreifende Prüfung, der sich die CIA je gestellt hat.“
Daher sollen die nachrichtendienstliche Überwachung der chinesischen Küstenregion ausgeweitet, die Auswertungen schneller an die im Pazifik operierende 7. US-Flotte weitergeleitet und die Koordination mit den Streitkräften Taiwans effektiver gestaltet werden. In der ersten Phase von „Han Kuang“ liegt das Augenmerk auf der Gewinnung und taktischen Umsetzung dieser Erkenntnisse. Die zweite Phase wird sich „darauf konzentrieren, den Feind auf See anzugreifen (…) und die Fähigkeit zu optimieren, einen Krieg mit der chinesischen Volksbefreiungsarmee zu führen“.
Das Ziel der Lufthoheit verfolgt der Inselstaat schon länger. 2021 hat Taiwan beim US-Rüstungskonzern Lockheed Martin für acht Milliarden US-Dollar 207 neue oder aufgerüstete Kampfjets vom Typ F16 geordert, von denen die Hälfte inzwischen geliefert wurde.
Im Vorfeld von „Han Kuang“ nahmen die Provokationen vor Chinas Küste zu. Am 26. Februar kreuzte ein US-Kriegsschiff die Gewässer zwischen China und Taiwan. Der Vorgang wiederholte sich am 26. April, als der Lenkwaffenzerstörer „USS Sampson“ die Meerenge passierte. Die 7. US-Flotte bezeichnet diese Passagen als „routinemäßigen Transit“, was befürchten lässt, dass solche Operationen vor Chinas Küste zur Dauererscheinung werden. Chinesische Militärstellen kommentierten diesen Akt als „ein falsches Signal“ der USA, das „absichtlich Frieden und Stabilität in der Taiwanstraße untergräbt“.
Nicht das einzige „falsche Signal“ der letzten Wochen: US-Präsident Joseph Biden sagte kürzlich Taiwan die Lieferung von Patriot-Raketen im Wert von 95 Millionen US-Dollar zu. Eine Delegation des US-Senats besuchte Mitte April Regierungschefin Tsai Ing-wen in Taipeh. Der Chef der Delegation, Lindsey Graham, geizte nicht mit Kriegsrhetorik. Es sei höchste Zeit, China für die „Unterstützung Putins einen hohen Preis zahlen“ zu lassen. Taiwan habe „globale Bedeutung“ und werde von den USA nicht allein gelassen. Die US-Regierung verpflichtete sich 1979 durch den Taiwan Relations Act, Taiwan mit Rüstungsgütern und Militärdienstleistungen im „zur Selbstverteidigung nötigen Umfang“ zu versorgen. 2020 war Taiwan mit Waffenimporten im Wert von 11,8 Milliarden US-Dollar Spitzenreiter unter den Kunden der US-amerikanischen Rüstungskonzerne. US-Militärberater beteiligen sich an der Ausbildung taiwanesischer Streitkräfte. Dass dies so bleiben soll, legt der am 20. Januar vom US-Kongress verabschiedete Arm Taiwan Act of 2022 („Bewaffnet-Taiwan-Gesetz“) fest. Im Taiwan Invasion Prevention Act vom Februar 2021 hatte der Kongress bereits beschlossen, die Präsenz der US-Marine dauerhaft auszubauen und dem US-Präsidenten die Befehlsgewalt im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung zu übertragen. Wie die britische Außenministerin Elizabeth Truss am 27. April auf einem Osterbankett in London verlauten ließ, gehöre Taiwan für die europäischen NATO-Mitglieder „zur globalen Perspektive“ des Militärbündnisses. Europas „Rückkehr in die Geopolitik“ umfasse zukünftig auch den „Schutz“ des pazifischen Raums.