Martin Schulz ist der neue deus ex machina der Sozialdemokraten. Nur weil er zuletzt in Belgien gewohnt hat, macht er anscheinend vergessen, dass die SPD in den letzten neunzehn Jahren nur in einer Legislaturperiode nicht an der Regierung war, für die Union gilt das immerhin zweimal. Alles Elend der letzten zwanzig Jahre trägt die Handschrift der SPD. Jetzt spricht Schulz von „Fehlern“ und will etwas „ändern“, nämlich die Bezugsdauer des ALG I und das Primat der unbefristeten Arbeitsverträge. Da fiele einem schon mehr ein, ne Martin, oder? Kriegseinsätze der Bundeswehr, deutsche Großmachtpolitik, Austrocknung der Kommunen, Schere zwischen Arm und Reich, Verkehrsinfarkt, der staatliche Sparirrsinn, Waffenexport. Wenn du das beseitigt hast, Martin, komm einfach wieder. Dann zähl ich dir eure nächsten sieben Todsünden auf.
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Im Sommer vor vierzig Jahren war ich am Vejers Strand bei Esbjerg, an der dänischen Westküste. Wir waren eine Gruppe von zehn jungen Studierenden. Wir hatten ein günstiges Ferienhaus gemietet, lasen gemeinsam Rosa Luxemburg, Marx und Lenin, liefen in den Dünen um die Wette und faulenzten am Strand.
Jetzt sehe ich auf dem Bildschirm zehn junge Soldaten bäuchlings über genau diesen Strand robben; in dem Spielfilm „Unter dem Sand“ geht es um die Räumung von über einer Million Landminen, die die Faschisten in Furcht vor einer alliierten Invasion an Dänemarks Nordseestränden vergraben hatte. Nach dem Krieg lag es nahe, deutsche Soldaten zur Räumung einzusetzen. Der Hass der Dänen war groß, obwohl das faschistische Okkupationsregime im Land bei weitem nicht so gewütet hatte wie z. b. in Polen, der Sowjetunion oder Griechenland. Verhaftungen, Geiselnahmen und Erschießungen waren aber auch in Dänemark vor allem gegen Ende des Krieges an der Tagesordnung.
Der Einsatz deutscher Kriegsgefangener zur Minenräumung war verständlich, aber völkerrechtlich fragwürdig. Es wurden überdurchschnittlich viele sehr junge Soldaten aus Hitlers letztem Aufgebot herangezogen. Die Soldaten im Film sind zwischen 14 und 19 Jahren alt. Die Mehrzahl von ihnen stirbt. Der Film des dänischen Regisseurs Martin Zandvliet bewegt sich im Rahmen des Trends, auch mit dem Mittel des Spielfilms, die Verbrechen der deutschen Faschisten zu relativieren. Der Film wurde für den diesjährigen Oscar in der Kategorie bester ausländischer Film nominiert.
Er ist aber nicht nur wegen seiner Dramatik sehenswert. Er ist unübersehbar ein Plädoyer gegen Landminen, Völkerhass und Militarisierung, für Versöhnung und Abrüstung. Besonders gefallen hat mir Roland Møller, der Darsteller des dänischen Feldwebels. Erinnerte mich stark an die sentimentalen Arschlöcher, die mich durch meine Bundeswehrzeit gequält haben.
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Spätestens seit dem US-Wahlkampf geistert das Wort von den Fake-News durch die Landschaft. Für Donald Trump ist das so ziemlich alles, das in ihm nicht den geborenen US-Präsidenten sieht.
Fake-News, der Begriff ist neu, bezeichnet aber ein uraltes Phänomen. Es geht um die Deutungshoheit der Ereignisse. Massenmedien machen Großdemonstrationen zu lokalen Ereignissen, verschweigen Kriegsverbrechen, fälschen Statistiken usw. Das ist komfortabel, wenn man sich eine Welt der herrschenden Informierten und beherrschten Uninformierten wünscht.
Die sozialen Medien bedrohen diesen Zustand. Demonstrationen können von jedem Smartphone-Besitzer in Echtzeit weltweit übertragen werden, Kriegsverbrechen genauso und das Elend in den Favelas ist im Internet in Farbe zu besichtigen, neben Fotos der Klobrille von Bill Gates. Eine Chance!
Auf diesem Feld agiert natürlich nicht nur der „gemeine Mensch“. Hier tummeln sich Staaten, Geheimdienste, die Neue Rechte und Konzerne mit ihren diversen Interessen. Ein weites Feld, auf dem der Überblick verloren gehen kann. Als Faustregel empfehle ich bis auf weiteres: Wer am lautesten Fake-News schreit, produziert am meisten davon.