Ein vielschichtiges, komplexes und zum Teil widersprüchliches Geflecht

Extreme Rechte in den USA

Von Birgit Gärtner

Es seien „gewöhnliche Menschen …, die weder verrückt, irrational, dumm oder opportunistisch und noch nicht einmal zwangsläufig fanatisch“ seien, schreibt Matthew N. Lyons in dem Band „Arier, Patriarchen, Übermenschen – Die extreme Rechte in den USA“. Sondern „extrem rechte Bewegungen erhalten Zulauf, weil sie menschliche Ängste, Sorgen, Hoffnungen und Wünsche ansprechen und vermeintliche Erklärungen für gesellschaftliche Probleme und Krisen anbieten“,

Das kommt uns irgendwie bekannt vor. Ganz so einfach, wie es klingt, ist es aber trotzdem nicht.

Matthew N. Lyons, Arier, Patriarchen, Übermenschen – Die extreme Rechte in den USA, Münster 2015, 88 S., 7,80 Éuro

Matthew N. Lyons, Arier, Patriarchen, Übermenschen – Die extreme Rechte in den USA, Münster 2015, 88 S., 7,80 Éuro

Die extreme Rechte in den USA ist ein vielschichtiges, komplexes und zum Teil widersprüchliches Geflecht, in dem Rassismus, bzw. die Vorherrschaft der weißen Rasse eine große Rolle spielt. Zudem aber auch Antisemitismus, Islamophobie, Homophobie und Sexismus. Wobei nicht jede Gruppierung die gesamte Palette abdeckt, und es mitunter auch zu kruden Allianzen kommt, z. B. mit jüdischen Gruppierungen oder People of Colour. Bezeichnend – zumindest für einen Teil der rechten Szene – ist eine, wie Lyons es nennt, „Regierungsskepsis“, Nicht-Anerkennung der US-Regierung bis hin zu einer kompletten Ablehnung des Systems, die Solidarität mit Muammar al-Gaddafi ebenso möglich macht wie mit Syrien, dem Iran, Venezuela oder Nord-Korea. Das wiederum bietet Anknüpfungspunkte auch an linke Milieus.

Als Ursache für das Erstarken rechter Kräfte in den USA sieht der Autor tiefgreifende soziale, kulturelle und politische Veränderungen in den 1970 und 1980er Jahren. In den Jahrzehnten davor sei der Kalte Krieg prägend gewesen, „der Hauptfeind war die Sowjetunion“. Dann folgte Lyons zufolge die Phase der Revolte, in der z. B. die Frauen- und Homosexuellen-Bewegung erstarkte.

Zunächst gründeten sich klassische Neonazi-Gruppierungen, der Ku Klux Klan wurde reaktiviert, In den 1980er Jahren tauchten dann militante Skins auf, z. B. die American Front und Hammerskin Nation. Mit ihnen entstand auch eine bedeutende rechte Musikszene.

All das geschah parallel zur Entwicklung in Europa, und es gab und gibt enge Verbindungen. Bereits 1962 wurde die World Union of National Socialists gegründet, die heute Mitgliedsorganisationen in 25 Staaten hat.

Besonders enge Verbindung zur bundesdeutschen Neonaziszene hatte die in Lincoln, Ne-

braska ansässige NSDAP/AO (National Socialist German Workers Party/Overseas Organization. Deren „Führer“, Gary Lauck, wurde im so genannten Bückeburger Prozess vernommen. Angeklagt waren mehrere Neonazis aus dem Umfeld der Wehrsportgruppe Hoffmann und der Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten (ANS) von Michael Kühnen. Lauck wurde mit viel Pomp im wahrsten Sinne des Wortes eingeflogen, mit Polizeieskorte vom Flughafen Hannover nach Bückeburg und zurück geleitet – um als Entlastungszeuge für Kühnen zu fungieren. Trotz bestehenden Haftbefehls konnte er die BRD unbehelligt wieder verlassen. In besagtem Bückeburger Prozess wurden erstmals in der Geschichte der BRD Neonazis als Terroristen verurteilt.

Der Prozess findet indes in dem Band logischerweise keine Erwähnung, da dieser aus US-amerikanischer Sicht geschrieben wurde. Wohl aber Lauck und seine NSDAP/AO.

Einen großen Unterschied gibt es allerdings: in den USA existiert eine weit verzweigte christliche Rechte. Diese hat sich primär die Verteidigung der männlichen heterosexuellen Herrschaft zur Aufgabe gestellt. Dabei gibt es zwei Lager: die einen, die innerhalb des Systems ihre Gott gefälligen Vorstellungen umsetzen möchten, und die anderen, die das politische System der USA durch eine totalitäre Theokratie ersetzen wollen.

Feministinnen, Lesben und Schwule sind ihnen allen ein Gräuel, die 1963 erlassene Abschaffung des Schulgebets und der 1973 legalisierte Schwangerschaftsabbruch erscheint ihnen als Anfang des Untergangs des christlichen Abendlandes. Folglich kaprizieren sie sich auf Themen wie Familie, Geschlecht, Sexualität und Reproduktion. Häufiges Angriffsziel der christlichen Rechten sind Kliniken, in denen Abtreibungen durchgeführt werden.

Christliche Rechte propagieren vorsichtig formuliert ein konservatives Familienbild. Manche Gruppierungen erheben den Mann zum Gott, während die Frau keine eigenen Entscheidungen treffen, und nicht für sich selbst sprechen darf. Männern wird das Recht zugesprochen, ihre Frauen und Kinder streng zu kontrollieren, etwa wann sie schlafen gehen, oder welche Bücher sie lesen.

Lyons gibt einen spannenden Überblick über die verschiedenen Akteure, die unterschiedlichen Aktionsfelder, Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Widersprüche der extrem rechten Szene der USA, bzw. der unterschiedlichen Spektren und Strömungen, und analysiert deren Verhältnis zu anderen politischen Kräften sowie ihren gesellschaftlichen Einfluss. Der Autor erläutert nachvollziehbar seine Herangehensweise, seine Kategorisierungen, die politische Einordnung und seine Einschätzungen. Auf 88 Seiten ist das Thema natürlich nicht erschöpfend behandelt. Aber es bietet einen umfassenden Überblick sowie eine fundierte Grundlage, sich intensiver mit diesem oder jenem Spektrum zu befassen. Und Lyons differenzierte Darstellung spornt dazu an.

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"Extreme Rechte in den USA", UZ vom 21. August 2015



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