Zu Problemen der China-Debatte

Existenzfragen des Sozialismus

Arnold Schölzel, Berlin

Solange der Sozialismus in einem oder in einzelnen Ländern aufgebaut wird, bleibt sein Aufbau von der Dialektik zwischen inneren Faktoren und einer feindlichen, imperialistischen Umgebung abhängig. Genauer: Realer Sozialismus steht stets im Zentrum des internationalen Klassenkampfes und wird permanent in seiner Existenz bedroht – von Kuba bis China. Im Fall großer sozialistischer Länder wie der Sowjetunion oder der Volksrepublik China – nach Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung ein sogenanntes Entwicklungsland – ist ihr Existenzkampf mit Sein oder Nichtsein der Menschheit verbunden. Der Imperialismus verwendet seine weltweite Wirtschafts- und Militärmacht dazu, potentiell konterrevolutionäre gesellschaftliche Klassen in sozialistischen Ländern langfristig für sich einzunehmen und mit imperialistischer Ideologie zu beeinflussen. Hauptinstrumente sind Nationalismus und Chauvinismus. In der Sowjetunion hing am Ende ein großer Teil der Führungsschicht dem an. Das hatte auch damit zu tun, dass – wie der kürzlich verstorbene Bruno Mahlow formulierte – spätestens seit dem 20. Parteitag der KPdSU die Bearbeitung theoretischer Fragen des sozialistischen Aufbaus und der sozialistischen Weltanschauung insgesamt vernachlässigt worden waren.

Die Dialektik von inneren Widersprüchen des Sozialismus und globalem Klassenkampf bleibt ein immer neu entsprechend der konkreten historischen Situation und dem Kräfteverhältnis im eigenen Land und in der Welt zu bearbeitendes Problem. Aussagen dazu, bevor ein sozialistischer Staat existierte (obwohl die Pariser Commune erstaunlich viel Anschauungsmaterial geliefert hatte), haben Marx und Engels nicht gemacht. Die Revisionisten der II. Internationale waren im Allgemeinen der Auffassung, die Abschaffung der Warenproduktion sei nicht möglich und liege auch nicht im Interesse der Arbeiterklasse. Weltkriege waren in ihren Konzepten nicht vorgesehen. Lenin entwickelte demgegenüber nach dem Weltkrieg das Konzept, dass durch konsequente Rechnungsführung und Kontrolle der staatskapitalistischen Ökonomie, also Planung, bei radikalem Demokratismus durch die Sowjets Schritte zur Überwindung der Warenproduktion getan werden können. Daran änderte auch der strategische Rückzug mit der Entwicklung der Neuen Ökonomischen Politik einschließlich GOELRO-Plan zur Elektrifizierung nichts. Ohne NÖP aber, ohne „ursprüngliche Akkumulation“, keine Großindustrie auf planwirtschaftlicher Grundlage und keine Abwehr des Faschismus. Das Grundproblem bleibt, solange es für einen realen Sozialismus um die Existenz geht.

Ich möchte zwei Dinge nennen, die mir in den Diskussionsbeiträgen, die zum China-Antrag des Parteivorstandes veröffentlicht wurden, aufgefallen sind: Zum einen werden solch faktenbasierte und äußerst differenzierte Ausarbeitungen in UZ und „Marxistischen Blättern“ wie die von Wolfram Elsner oder von Vladimiro Giacché in einer Weise ignoriert, als hätte es sie nie gegeben. Auf diese und andere Veröffentlichungen stützt sich aber der Antrag, soweit ich sehe. Die Materialbasis ist gewiss unzulänglich, aber sie ist da. Urteile, wie China sei „kapitalistisch“ oder die DKP verabschiede sich vom Sozialismus mit Planwirtschaft, sind aus meiner Sicht nicht durch Tatsachen gedeckt.

Verbunden sind solche Wertungen zweitens damit: Die Beziehung zwischen Staat und Ökonomie in China wird von Kritikern des Antrags sehr vereinfacht dargestellt. Hier sei nur angeführt: Engels hat in seinen „Altersbriefen“ einen seiner Korrespondenzpartner, Conrad Schmidt, einmal gefragt: „Warum kämpfen wir denn um die politische Diktatur des Proletariats, wenn die politische Macht ohnmächtig ist? Die Gewalt (das heißt die Staatsmacht) ist auch eine ökonomische Potenz!“ Die Leute, die er meine, sähen nur hier Ursache, dort Wirkung und nannte das eine „hohle Abstraktion“, „metaphysische Gegensätze“, die es „in der realen Welt nur in Krisenzeiten gibt“. Meine Schlussfolgerung: Zur Theorie des Sozialismus als einer sich nach spezifischen inneren Gesetzmäßigkeiten entwickelnden Gesellschaft tragen Deduktionen der genannten Art nichts bei, im Gegenteil.

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"Existenzfragen des Sozialismus", UZ vom 10. März 2023



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