Befristete Verträge bestimmen den Arbeitsmarkt in den Niederlanden

Ex und hopp

Von Melina Deymann

Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hat in der vergangenen Woche ein Misstrauensvotum im Parlament knapp überstanden. Abgeordnete der Opposition hatten dem liberalen Rutte Zurückhaltung von Informationen bei der Abschaffung der Dividendensteuer durch die Regierungskoalition vorgeworfen.

Die Abschaffung der Dividendensteuer war nur eins der Geschenke, die die Regierung im Koalitionsvertrag den Unternehmern machte, weitere sind die Reduktion der Körperschaftssteuer und die Senkung der Pflicht zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall von 24 auf 12 Monate für Unternehmen mit bis zu 25 Beschäftigten.

Der niederländische Arbeitsmarkt ist bereits jetzt der am meisten deregulierte in Europa. Während 2003 noch 73 Prozent der Arbeiter einen unbefristeten Vertrag hatten, sind das heute nur noch 60 Prozent.

Der Lohn für Arbeiter mit einem befristeten Vertrag beträgt im Durchschnitt etwa 70 Prozent dessen, was Arbeiter mit unbefristetem Vertrag verdienen. Das Risiko arbeitslos zu werden ist für Flex-Arbeiter höher, die gewerkschaftliche Organisation dementsprechend niedriger. Durch befristete und flexible Arbeitsverhältnisse und durch den Einsatz von „Selbstständigen“ anstelle von Lohnarbeitern vermeiden niederländische Unternehmen die Zahlung von Sozialbeiträgen und Steuern und bürden das, was allgemein unter Unternehmerrisiken verstanden wird (z. B. zeitweise weniger Aufträge), den Arbeitern auf. Das 2019 in Kraft tretenden Gesetz „Werk en Zekerheid“ (Arbeit und Sicherheit) nimmt daran nur kosmetische Verbesserungen vor. So sollen zum Beispiel die Kettenregelungen verkürzt werden, ein Abstand von drei Monaten erlaubt aber weitergehende befristete Verträge beim selben „Arbeitgeber“ und die Probezeit soll bei Verträgen, die für weniger als ein halbes Jahr geschlossen werden, entfallen. Das kann die Auswirkungen des 1999 in Kraft getretenen Gesetzes „Flexibiliteit en Zekerheid“ (Flexibilität und Sicherheit) natürlich nicht mildern – und versucht es auch gar nicht, war „Flexibiliteit en Zekerheid“ doch genau dafür beschlossen worden, unsichere Beschäftigungsformen auszuweiten.

Viele Betriebe schließen schlichtweg keine unbefristeten Verträge mehr ab, solange sie auch nur irgendwie anders können. Dies geschieht vor allem in Sektoren mit niedrig oder ungeschulter Arbeit oder in Bereichen, wo es ein großes Angebot an Arbeitern gibt – wo Arbeiter austauschbar sind. Dies ist vor allem in der Produktionsarbeit, im Einzelhandel, in Callcentern und Logistik der Fall, der Trend gilt aber überall. Die Anzahl derjenigen, die sofort mit einem unbefristeten Vertrag eingestellt werden, hat sich seit 2011 um 97 Prozent verringert und nur 40 Prozent derjenigen, die einen befristeten Vertrag bekommen, kriegen innerhalb von fünf Jahren eine unbefristete Anstellung. Rechte, die Festangestellten laut Tarifvertrag zustehen (z. B. beim Kündigungsschutz), gelten bei befristeten Verträgen nicht.

Die Tatsache, dass flexible Arbeit zu mehr Unsicherheit führt, ist in der gesellschaftlichen Diskussion in den Niederlanden inzwischen angekommen. Allerdings verfolgt die Politik nach wie vor das Konzept, unbefristete Verträge seien „zu teuer“ und müssten für Unternehmer attraktiver gemacht werden – zu Lasten der noch unbefristet Beschäftigten. Konkrete Streitpunkte sind Lohnfortzahlung bei Krankheit, die maximale Dauer für befristete Arbeitsverträge (bevor es ein Recht auf Festanstellung gibt) und die Definition von Scheinselbstständigkeit.

Die Gewerkschaften fordern dagegen, dass unsichere Arbeitsverhältnisse für die Unternehmer deutlich teurer werden müssen. Die Regierung geht hier aber nur kleine, völlig unzureichende Schritte. So wird der Beitrag zur Arbeitslosenkasse für befristete Arbeitsverträge erhöht und für unbefristete Arbeitsverträge gesenkt, was eine Differenz von etwa 4 Prozent ergibt. Ein Recht auf eine Abfindung (neuerdings Übergangsvergütung genannt) wird auch bei auslaufenden befristeten Verträgen gewährt. Andererseits verlängert die Regierung die Maximaldauer befristeter Verträge von zwei auf drei Jahre. Erfolge konnten Gewerkschaften im Kampf gegen die flexible Beschäftigung vor allem dort erringen, wo sie sie zum Teil der Tarifauseinandersetzung machte und es ihnen gelang, eine höhere Anzahl fester Beschäftigter im Tarifvertrag festzulegen.

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"Ex und hopp", UZ vom 4. Mai 2018



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