Europameister

Von Ulf Immelt

Kein anderes Land in der EU hat einen größeren Niedriglohnsektor als die BRD. Wer einmal im Niedriglohnsektor gelandet ist, kommt dort immer seltener wieder heraus.

Als Schröder, Fischer und Co, sekundiert von der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, den bundesdeutschen Arbeitsmarkt von lästigen Sozialstandards befreiten, versprachen sie, ein Job im Niedriglohnsektor sei das Sprungbrett in eine besser bezahlte Arbeit. Dieses Sprungbrett-Versprechen hat sich als die gleiche Luftnummer herausgestellt wie die Behauptung, Leiharbeit sei eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt. Das Gegenteil ist der Fall.

Eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), dem man keine besondere Nähe zu den Gewerkschaften nachsagen kann, zeigt in seinem in seinem Wochenbericht Nr. 14/2019 auf, das immer mehr Beschäftigte über Jahre hinweg in ihrem niedrigen Lohnsegment verbleiben. Waren es im Zeitraum 1995/98 noch 68 Prozent, stieg der Anteil der im Niedriglohnsektor verbleibenden Kolleginnen und Kollegen im Zeitraum 2014/17 auf 78 Prozent an. Das DWI spricht daher von einer Niedriglohnfalle.

Infolge der Hartz-Gesetzgebungen arbeitet inzwischen fast jeder vierte Lohnabhängige in Deutschland im Niedriglohnsektor. Selbst Großbritannien, einst von Premierministerin Maggy Thatcher zum Vorzeigeland des Neoliberalismus gemacht, kann der BRD in Sachen Niedriglohnsektor das Wasser nicht reichen.

Für die neun Millionen Betroffenen bedeutet die Arbeit im Niedriglohnsektor, dass sie täglich acht Stunden oder mehr schuften müssen und das Geld trotzdem nicht reicht. 1,2 Millionen Erwerbstätige sind sogar auf staatliche Hilfen angewiesen. Die Einführung des Mindestlohns hat zwar dazu geführt, dass die Löhne im Niedriglohnsegment angestiegen sind, aber die Anzahl der Geringverdiener konnte durch diese Maßnahme nicht gesenkt werden.

Mehr als 15 Jahre nach den Hartz-Reformen wird immer deutlicher, dass der geschaffene Niedriglohnsektor eine Falle ist, aus der die Betroffenen nur selten entkommen können. Es ist an der Zeit, in der Arbeitsmarktpolitik radikal umzusteuern. Damit ist aber nicht zu rechnen, da das deutsche Kapital von der jetzigen Politik profitiert. Dank des gigantischen Niedriglohnsektors in Verbindung mit einer hohen Produktivität ist es in der Lage, fast jede andere Volkswirtschaft in Grund und Boden zu konkurrieren, und Deutschland kann sich stolz Exportweltmeister nennen.

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"Europameister", UZ vom 3. Mai 2019



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