Rede von Andrea Hornung, Bundesvorsitzende der SDAJ, auf den UZ-Friedenstagen

Eure Kriege – ohne uns!

Andrea Hornung

In ihrer Rede auf den UZ-Friedenstagen in Berlin erinnerte Andrea Hornung an den jahrzehntelangen Widerstand Jugendlicher gegen Militarisierung und Krieg in Deutschland – und ermuntert zum solidarischen Kampf für Frieden. Wir dokumentieren den Beitrag der SDAJ-Bundesvorsitzenden in voller Länge:

Als 1932 die Zeichen auf Kapitaloffensive, Faschismus und Krieg standen, streikten Jugendliche für die Erhöhung des Wochengeldes, die Verlängerung des Urlaubs und gegen militärischen Drill und Aufrüstung und sagten: Ohne uns.

Als Helgoland 1947 durch die britische Besatzungsmacht als Übungsgelände für Bombenabwürfe genutzt wurde, besetzten Jugendliche die Insel und erzwangen die Einstellung der Bombenabwürfe. Sie sagten: Ohne uns.

Als die Bundesrepublik remilitarisiert werden sollte, organisierte die KPD mit vielen weiteren Friedenskräften eine Volksbefragung, bei der sich mehr als acht Millionen Menschen gegen die Remilitarisierung aussprachen. Jugendliche in ganz Deutschland mauerten Sprengkammern zu. Sie sagten: Ohne uns.

Wegen ihres Kampfes für den Frieden, gegen die Aufrüstung wurden fortschrittliche Organisationen verboten, FDJ und KPD in die Illegalität gedrängt, viele Menschen ins Zuchthaus gesteckt, Philipp Müller im Jahr 1952 von Polizisten ermordet. Und doch ließ sich der Widerstand nicht klein kriegen, und doch erstarkte die Friedensbewegung immer wieder, und doch sagten Jugendliche, Menschen in ganz Deutschland immer wieder: Ohne uns.

Wenn jetzt wie in Bayern ein Bundeswehrgesetz beschlossen wird, das Zivilklauseln verbietet und Schulen und Universitäten zu engerer Kooperation mit der Bundeswehr verpflichtet, wenn Pistorius jetzt ankündigt, dass Schulen, Krankenhäuser, die gesamte Gesellschaft bis 2029 kriegstüchtig gemacht werden soll, wenn Palästina-solidarische Vereine verboten werden, wenn wegen Tragen von Kufiyah Schulverweise und Exmatrikulationen drohen, wenn die Waffenlieferungen an Israel verzehnfacht werden, deutsche Panzer wieder auf russischem Boden rollen, die Bundeswehr im Meer vor China übt, wenn demokratische Rechte abgebaut werden und die Wehrpflicht wieder eingesetzt werden soll, dann kann unsere Antwort nur lauten: Ohne uns! Aus diesem Grund führen wir gerade die Kampagne „Eure Kriege – ohne uns!“ durch, stören Auftritte der Bundeswehr auf Ausbildungsmessen, an Schulen und Universitäten, diskutieren den Aufruf Gewerkschaften gegen Aufrüstung in Gewerkschaftsjugenden und Betrieben, machen klar, dass die NATO Kriege in aller Welt für Kapitalinteressen führt und unser Hauptfeind der deutsche Imperialismus ist!

Wir machen auch klar, welche Interessen hinter den Kriegen stehen. Krieg entsteht nicht, weil größenwahnsinnige oder unfähige Politiker falsche Entscheidungen treffen. Krieg ist die Fortsetzung derselben Politik mit anderen Mitteln – er ist untrennbar mit dem Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium verbunden. Der deutsche Imperialismus ist nicht einfach dumm oder unvernünftig. Stattdessen hält er den Weg an der Seite der USA und als Teil der NATO für den besten Weg, um selbst zur Weltmacht zu werden – wenn auch unter schmerzhaften Einbußen wie dem Verzicht auf günstige Energie aus Russland. Um das zu erreichen, Weltmacht zu werden, kämpft der deutsche Imperialismus besonders stark um die Köpfe der Jugend. Für uns ist es normal, mit Bundeswehrwerbung groß zu werden und im Schulunterricht zu lernen, dass es in Deutschland zwei deutsche Diktaturen gab. Während wir in kaputten Schulgebäuden sitzen, Lehrermangel herrscht, während nur noch ein Fünftel der Betriebe überhaupt ausbildet, während wir durch Leistungsdruck in Schule und Uni krank werden und fast jeder Fünfte zwischen 20 und 34 keine abgeschlossene Berufsausbildung hat, beschließen die Herrschenden das größte Aufrüstungsprogramm der Geschichte der Bundesrepublik.

Mit der Wehrpflicht soll die Bundeswehr in die Mitte der Gesellschaft gerückt werden. Um den Widerstand abzuschwächen, soll sie dabei nicht mit einem Schlag eingeführt werden. Im ersten Schritt sollen Briefe an alle Jugendlichen geschickt werden, der Wehrdienst soll aber noch freiwillig bleiben. Schon jetzt wird aber um eine Ausweitung dieser ersten Form der Wehrpflicht diskutiert – die BRD rüstet zum Krieg und braucht dafür auch Menschen, die ihn für sie führen. Dagegen haben wir gemeinsam mit SDS, der DIDF-Jugend und mehreren weiteren Organisationen das Jugendbündnis „Nein zur Wehrpflicht!“ gegründet, das wir in den nächsten Monaten noch weiter ausbauen wollen. Wir rufen gemeinsam auf, zum Antikriegstag auf die Straße zu gehen und meinen: Wir brauchen Entspannung statt Aufrüstung! Wir wollen uns nicht auch nur ein Jahr unseres Lebens nehmen lassen! Wir machen klar, dass eine Wehrpflicht auch für Frauen keine Gleichberechtigung bringt – statt gemeinsamem Dienst im Schützengraben wollen wir die tatsächliche Gleichstellung der Frau. Wir sprechen uns gegen die sozialen Ersatzdienste für die Wehrpflicht aus, die die Situation in den unterbesetzten Bereichen nicht verbessert und uns als billige Arbeitskräfte ausnutzen soll. Wir machen gemeinsam deutlich: Es braucht mehr Geld für Soziales, Bildung und Gesundheit! Wehrpflicht und Aufrüstung – ohne uns.

Ja, es ist unsere Pflicht, gegen Krieg und Militarisierung an der Seite und als Teil der Friedensbewegung und der Gewerkschaften zu kämpfen. Wir sagen klar und deutlich: Stoppt den Genozid in Palästina! Nein zur NATO-Aggression – wir brauchen Frieden mit Russland und China!

Wir wissen aber auch, dass wir den Kampf um den Frieden nicht getrennt vom Kampf um die Emanzipation der Arbeiterklasse führen können. Wir müssen den Kampf um den Frieden mit dem Kampf um die unmittelbaren Lebensinteressen, mit dem Kampf gegen den Demokratieabbau verbinden, denn sie gehen Hand in Hand. In unserer im März neu beschlossenen programmatischen Grundlage, im Zukunftspapier, benennen wir die gemeinsame Wurzel klar und deutlich: Das kapitalistische System in seinem imperialistischen Stadium. In den anstehenden Tarifrunden – Öffentlicher Dienst, Metall und Elektro, Deutsche Bahn – ist es unsere Aufgabe, gemeinsam mit unseren Kolleginnen und Kollegen für die unmittelbaren Interessen der Arbeiterklasse, für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich zu kämpfen und dabei aufzuzeigen, dass der Kriegskurs auf unsere Kosten geht, dass das Geld für den Öffentlichen Dienst und die Deutsche Bahn da wäre – dass aber stattdessen Milliarden in die Aufrüstung gesteckt werden. Eine gut organisierte, kampfstarke Arbeiterklasse ist der notwendige Kern einer starken Friedensbewegung.

Clara Zetkin machte schon vor 100 Jahren klar: „Die Brüderlichkeit zwischen den Völkern ist für die Arbeiterklasse kein leerer Wahn, der Weltfrieden kein schönes Wort. Eine greifbare Tatsache steht dahinter: die feste Solidarität der Ausgebeuteten und Unterdrückten aller Nationen. Sie darf es nicht dazu kommen lassen, dass Proletarier gegen Proletarier das Mordgewehr erheben. Sie muss den Massen die Entschlossenheit einflößen, im Krieg gegen den Krieg alle Waffen zu nützen, die es führen kann.“

Die Brüderlichkeit zwischen den Völkern ist für die Arbeiterklasse kein leerer Wahn – aber doch müssen wir, um sie zu erreichen, die kapitalistische Konkurrenz überwinden. Denn im Kapitalismus sind wir alle immer und überall Konkurrenten. Konkurrenten um die besten Abschlüsse, Konkurrenten um den Ausbildungsplatz, Konkurrenten um den Job, um die Wohnung und zunehmend auch um den Platz im Krankenhaus. Es gibt nur einen Ort, an dem wir das nicht sind: Im gemeinsamen Kampf, gegen Repression gegen Palästina-Solidarität an Schulen, gegen Stellenabbau wie bei Thyssenkrupp, im Kampf gegen den Imperialismus, im Kampf für unsere Grundrechte auf Frieden, Bildung, Arbeit, Gesundheit und Ausbildung, im Kampf für den Sozialismus. Dort sind wir keine Konkurrenten. Dieser Kampf ist unsere einzige Perspektive.

Der Zusammenschluss in revolutionären Organisationen, in den Kampforganisationen der Arbeiterklasse, in der DKP und der SDAJ, zeigt uns: Wir sind nicht allein mit unseren Problemen, nicht selbst schuld daran und nicht die einzigen, die unter dem kapitalistischen System leiden. Der Kampf zeigt uns auch: Wir können etwas erreichen, wenn wir uns zusammenschließen – ja, wir können dem deutschen Imperialismus in den Rücken fallen, können seine Bundeswehrauftritte stören. Es ist sogar möglich, Rüstungsexporte wie in Italien oder Griechenland zu verhindern. In diesen Kämpfen erleben wir etwas, was es in dieser Gesellschaft sonst nicht gibt. Ein Vorgeschmack auf das, was im Sozialismus und Kommunismus möglich sein wird. Ein Vorgeschmack darauf, was in einer Gesellschaft möglich ist, in der nicht der ständige Profitzwang und die Konkurrenz bestimmt, sondern das Prinzip der Brüder- und Schwesterlichkeit.

Clara Zetkin hat recht: Solidarität, das ist mehr als ein leerer Wahn oder ein schönes Wort. Unsere Solidarität ist unsere einzige und die stärkste Waffe, die es in diesem System gibt, die Solidarität innerhalb unserer Klasse, mit den Unterdrückten und Ausgebeuteten auf aller Welt! Solidarität und Brüderlichkeit, das heißt sich hier und heute gegen das Weltmachtstreben der BRD, gegen die Kriegspläne der NATO zu stellen, das heißt Unterstützung des palästinensischen Befreiungskampfs. Solidarität und Brüderlichkeit, das heißt, sich hier und heute gegen Unterfinanzierung und Sozialabbau zu stellen. Solidarität und Brüderlichkeit, das heißt, gegen Rechtsentwicklung, Demokratieabbau, Arbeitsplatzabbau zu kämpfen. Solidarität und Brüderlichkeit, das heißt, hier und heute gegen den deutschen Imperialismus und für den Sozialismus zu kämpfen! Solidarität und Brüderlichkeit, das heißt, zu sagen: Eure Kriege – ohne uns!

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