Die große Bühne der Abschlusskundgebung der Friedensdemonstration am 3. Oktober in Berlin war vor allem den „großen“ Namen vorbehalten: Lötzsch, Stegner, Gauweiler, Wagenknecht. Am Ende machten Iris Hefets von der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost und Nadija Samour, deutsch-palästinensische Rechtsanwältin, die Ausnahme. Auf den drei Auftaktkundgebungen sprachen in der Regel Aktivisten der Friedensbewegung und auch Kommunisten kamen zu Wort. Neben DKP-Mitglied, Olaf Harms, der in Alt Moabit für ver.di Hamburg sprach, hielt Andrea Hornung, Vorsitzende der SDAJ, am Breitscheidplatz eine Rede für das Bündnis „Nein zur Wehrpflicht“. Im Folgenden dokumentieren wir ihre Rede:
Als Helgoland 1947 durch die britische Besatzungsmacht als Übungsgelände für Bombenabwürfe genutzt wurde, besetzten Jugendliche die Insel und erzwangen die Einstellung der Bombenabwürfe. Sie sagten: Ohne uns.
Als die Bundesrepublik remilitarisiert werden sollte, organisierten Friedenskräfte eine Volksbefragung, bei der sich mehr als 8 Millionen Menschen gegen die Remilitarisierung aussprachen. Jugendliche in ganz Deutschland mauerten Sprengkammern zu. Sie sagten: Ohne uns.
Als es im letzten Jahr vermehrt zu Waffenlieferungen in Kriegsgebiete kam, ob in die Ukraine oder nach Israel, bestreikten in Italien Hafenarbeiter Rüstungsexporte und sagten: Ohne uns.
Wehrpflicht? Ohne uns!
Jetzt wollen sie die Wehrpflicht wieder einführen. Fast 1 Million junge Menschen sollen zu ihrem 18. Geburtstag einen Fragebogen erhalten, Männer müssen darauf antworten. Bisher musste man sich aktiv dafür entscheiden, zur Bundeswehr zu gehen. Jetzt wird die Logik umgedreht: Man muss sich aktiv dagegen entscheiden. Erstmal soll nur ein Zehntel eines Jahrgangs gemustert werden. Das ist aber nur der erste Schritt: Von SPD bis CDU wird schon jetzt eine Ausweitung der Wehrpflicht gefordert, Boris Pistorius kündigte bereits an, dass er nach der Bundestagswahl umfassendere Schritte für nötig hält.
Die Wehrpflicht wird uns ein Jahr unseres Lebens nehmen, über das wir nicht länger selbst entscheiden dürfen. Wir sollen in Kasernen zu Drill und Gehorsam erzogen und „kriegstüchtig“ gemacht werden. Wir sagen: Wehrpflicht – ohne uns. Wir wollen stattdessen lernen, kritisch zu denken und uns für den Frieden einsetzen! Wir wollen über unser Leben selbst verfügen!
Eine mögliche Wehrpflicht auch für Frauen, also der gemeinsame Dienst in der Kaserne oder im Zweifel im Schützengraben bringt keine Gleichberechtigung. Wir kämpfen stattdessen für die tatsächliche ökonomische, juristische und politische Emanzipation der Frau.
Ausbildung statt Bundeswehr!
Es bleibt aber nicht bei der Wehrpflicht, sie wollen uns auch darüber hinaus für die Bundeswehr ködern. Das machen sie schon seit Jahren, indem man bei der Bundeswehr ohne NC zum Beispiel Medizin studieren kann – sich aber für 17 Jahre verpflichten und im Regelfall auch in den Auslandseinsatz muss. Sie ködern uns, indem man beim freiwilligen Jahr bei der Bundeswehr das Vier- bis Fünffache des Gehalts eines freiwilligen sozialen Jahrs verdient. Die Bundeswehr nutzt damit die schlechten Ausbildungsbedingungen und den Ausbildungsplatzmangel aus, sie profitiert von Stellenstreichungen, sie nutzt aus, dass Jugendliche in dieser angeblichen sozialen Marktwirtschaft keine Perspektive haben.
Die Zeit bei der Bundeswehr wird uns auf TikTok, in Youtube-Serien, bei Schulbesuchen und auf Werbeplakaten als Abenteuer verkauft. Doch es gibt einen Grund, warum die Bundeswehr immer mehr werben muss, um ausreichend Nachwuchs zu bekommen: Sie ist kein normaler Arbeitgeber. Befehlsgehorsam und Schikane, Mobbing, viele Fälle von sexualisierter Belästigung und die Rückkehr aus dem Auslandseinsatz mit Traumata sind die Normalität, im schlimmsten Fall kommt man sogar nur noch im Sarg zurück.
Wir sagen: Ein Kriegseinsatz ist kein Abenteuer! Die Bundeswehr bietet der Jugend keine Zukunft. Es braucht stattdessen eine echte Ausbildungsplatzgarantie, es braucht Ausbildungsgehälter, die zum Leben reichen, es braucht ein Ende der Stellenstreichungen!
Mehr Personal statt Ersatzdienste!
Als Alternative für das Ableisten der Wehrpflicht wird auch wieder über soziale Ersatzdienste diskutiert. In einem sogenannten „Gesellschaftsjahr“ könne die Jugend der Gesellschaft „etwas zurückgeben“. Doch in Wahrheit geht es ihnen nicht um die Gesellschaft. Es geht ihnen darum Löcher im Sozialsystem zu stopfen, Löcher die durch das Kaputtsparen in den letzten Jahrzehnten entstanden sind und sich in letzter Zeit zugunsten des Rüstungshaushalts verschlimmert haben. Aber soziale und andere Ersatzdiensten werden diese Löcher nicht stopfen können. Statt qualifizierten Fachkräften werden Ungelernte eingestellt. Für Jugendliche bedeutet das, als billige Arbeitskräfte und unter miesen Arbeitsbedingungen zu arbeiten. Für die Bevölkerung bedeutet das ein marodes Gesundheitssystem und fehlende soziale Einrichtungen zu haben.
Wir fragen: Wofür sollen wir denn eigentlich etwas zurückgeben? Dafür, dass wir unsere Schulzeit in kaputten Schulgebäuden mit Lehrermangel verbracht haben? Dafür, dass uns eine zerstörte Umwelt hinterlassen wird? Dafür, dass die Gefahr eines großen Krieges auch auf europäischem Boden steigt und unser aller Leben bedroht wird? Wir sagen: Wir brauchen stattdessen Entlastung durch mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen! Wir brauchen Geld für Bildung, Gesundheit, Klimaschutz und Soziales statt für Krieg!
Wir sind nicht kriegstüchtig!
Jetzt wollen sie die Schulen, die Krankenhäuser, die gesamte Gesellschaft kriegstüchtig machen. Das Bildungsministerium fordert ein „unverkrampftes Verhältnis von Schulen zur Bundeswehr“. Was das konkret heißt, das zeigt das bayerische Bundeswehrgesetz, das Zivilklauseln verbietet und Schulen und Hochschulen zu einer engeren Zusammenarbeit mit der Bundeswehr verpflichtet. Die Bundeswehr wirbt schon seit Jahren an Schulen und verkauft uns Krieg als unvermeidbar – die Friedensbewegung wird hingegen nicht in die Schule eingeladen. Mittlerweile fängt der Kampf um die Köpfe schon bei Kindern an: Mit Comics wie „Ben dient Deutschland“ soll uns schon früh eingetrichtert werden, dass die Bundeswehr gut sei. Man fängt früh an und rekrutiert früh – die UN kritisiert die Bundesregierung zurecht dafür, dass die Bundeswehr allein im letzten Jahr 2.000 Minderjährige, 2.000 Kindersoldaten rekrutiert hat.
Wir wollen keine Erziehung zum Krieg, sondern eine Erziehung im Sinne des Friedens. Wir setzen uns für Zivilklauseln und für bundeswehrfreie Schulen ein. Wir sagen: Kriegstüchtigkeit und Kriegserziehung – ohne uns!
Kein Krieg gegen Russland – Stoppt die Eskalation in Nahost!
Die Wehrpflicht, sie soll nicht ohne Grund eingeführt werden. Bisher war die Bundeswehr eine schnelle Eingreiftruppe, die weltweit einsetzbar sein sollte. Sie sollte weltweit einsetzbar sein, um Handelswege, Rohstoffe und Absatzmärkte, also den Profit zu sichern, wie es einigermaßen offen von der Bundesregierung zugegeben wird. Jetzt soll die Bundeswehr nicht mehr nur schnelle Eingreiftruppe sein. Sie soll massiv ausgebaut werden. Dafür werden mal eben 100 Milliarden Euro locker gemacht, dafür wird der Militärhaushalt immer weiter erhöht, dafür soll das NATO-2-Prozent-Ziel noch übertroffen werden. Eine Wehrpflicht, die braucht es dann, wenn man einen großen, langen und verlustreichen Krieg führen möchte. Kriegstüchtigkeit und Propaganda, die braucht es dann, wenn man die Bevölkerung auf einen solchen Krieg vorbereiten will, wenn man die ganze Gesellschaft danach ausrichten will.
Einen solchen großen Krieg, der sich vor allem gegen China und Russland richtet, bereitet die Bundesregierung gerade vor: Schiffe der Bundeswehr patrouillieren regelmäßig im südchinesischen Meer. Im Rahmen des NATO-Manövers Steadfast Defender übte die Bundeswehr von Norwegen bis Rumänien einen großen Krieg gegen Russland, 5.000 Bundeswehrsoldaten sollen dauerhaft in Litauen an der Grenze Russlands stationiert werden und jetzt sollen auch noch Mittelstreckenraketen in Deutschland stationiert werden.
Deutschland liefert immer weiter Waffen in Kriegsgebiete. Die erneute Lieferung eines deutschen U-Boots an Israel steht kurz bevor, über einen Einsatz der Bundeswehr in Gaza wird gerade diskutiert. Der Krieg in Israel und Palästina droht durch die Ausweitung auf Libanon und Iran zu einem Flächenbrand zu eskalieren. Das muss gestoppt werden! UN-Generalsekretär Guterres rief dazu auf, „die Souveränität und territoriale Integrität des Libanons“ zu respektieren. Ob durch Waffenlieferungen oder den Einsatz der Bundeswehr: Deutschland darf sich nicht weiter an diesem Krieg beteiligen!
Diplomatie statt Krieg!
Die Profite der Rüstungskonzerne steigen, Horst Köhler machte schon vor 12 Jahren klar, dass die Bundeswehr Handelswege und Profitinteressen notfalls auch militärisch verteidigen soll. Was damals noch zu einem Rücktritt führte, stand schon 2016 als selbsternannte Aufgabe im Weißbuch der Bundeswehr. Dafür soll die Bundeswehr aufgerüstet werden, dafür soll die Gesellschaft kriegstüchtig gemacht werden, dafür gibt es das 100-Milliarden-Programm, dafür wird die Wehrpflicht eingeführt. Noch mehr Aufrüstung und noch direktere Kriegsvorbereitung werden aber keinen Frieden schaffen.
Wir brauchen Entspannung und Diplomatie statt Krieg! Wir wollen nicht auf Jugendliche anderer Länder schießen, wir wollen in Frieden und Freundschaft mit anderen Völkern leben. Wir sagen: Nein zu Aufrüstung! Denn jede Investition in die Aufrüstung ist eine Entscheidung gegen höhere Ausgaben für Bildung, Gesundheit, Umweltschutz und Soziales und damit gegen unsere Bedürfnisse und Interessen. Deshalb sind wir aktiv, gegen Auftritte der Bundeswehr, gegen Wehrpflicht, gegen Aufrüstung und sagen klar und deutlich: Wehrpflicht und Krieg– ohne uns! Nein zur Wehrpflicht!