Es gibt Momente, in denen selbst die leidgeprüften Dauerbeobachter des Berliner Politikbetriebs kurz zusammenzucken müssen. Diesen Montag war es soweit, als Familienministerin Lisa Paus (Grüne) vor die Bundespressekonferenz trat: „Nach Jahrzehnten der politischen Diskussion ist es diese Bundesregierung, die eine Antwort auf Kinderarmut in Deutschland gefunden hat“, leitete sie ihr Fremdscham-gebietendes Statement zur gerade ausgehandelten Kindergrundsicherung ein. „Darauf können wir stolz sein.“
Worauf die Ministerin genau stolz sein will, bleibt unklar. Gerade einmal 2,4 Milliarden Euro sollen ab dem Jahr 2025 für die Kindergrundsicherung zur Verfügung gestellt werden. Das meiste Geld fließt in eine Verwaltungsreform, mit der Prozesse digitalisiert und bestehende Leistungen gebündelt werden sollen. Bei den von Armut betroffenen Kindern wird nach aktuellen Einschätzungen wenig bis nichts davon ankommen. Dass Sozialverbände und Armutsforscher zuvor Beträge von mehr als 20 Milliarden Euro gefordert hatten, um Kinderarmut wirksam zu bekämpfen, erwähnte Paus natürlich nicht. Auch auf die von ihr selbst ursprünglich geforderten 12 Milliarden Euro ging sie nur beiläufig ein. Stattdessen zeigte sie sich „zufrieden“, dass „die Ampel für dieses zentrale sozialpolitische Projekt endlich auf Grün gestellt“ werden konnte.
Schließlich gebe es bald einen „neuen Kindergarantiebetrag“. Dies sei, so Paus wörtlich, „der neue Name für Kindergeld, aber bis auf den Namen ändert sich nichts“. Zusätzlich zu solchen Segnungen soll in drei Jahren ein „digitales Kinderchancenportal“ eingerichtet werden, um die monatlich 15 Euro aus dem Bildungs- und Teilhabepaket effektiver zu verwalten.
Sehr zufrieden war auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Schon zum Jahresende 2022 hatte sein Ministerium gegen „Leistungsausweitungen“ im Sozialsystem gewettert und befürchtet, dass durch die Kindergrundsicherung „aus guten Motiven die Arbeitsanreize für Geringqualifizierte beeinträchtigt werden“ könnten. Das Elend der Kinder sollte als Druckmittel erhalten bleiben, um die Eltern in prekäre Jobs zu zwingen. Die nun vereinbarte Kindergrundsicherung setzt genau das um. Lindner freute sich auf der Plattform „X“, dass Alleinerziehenden keine zusätzlichen Anreize gegeben wurden, „sich nicht um Arbeit zu bemühen“.
Weder Paus noch Lindner ließen einen Zweifel daran, dass die Kindergrundsicherung der letzte sozialpolitische Akt dieser Regierung sein werde. Die Familienministerin verwies auf die „Haushaltssituation des Bundes“, um zu unterstreichen, wie hart sie für diese Reform-gewordene Erbärmlichkeit kämpfen musste.
Nicht kämpfen müssen die Vertreter des militärisch-industriellen Komplexes. Über 2,4 Milliarden Euro würde in den Chefetagen der Rüstungskonzerne ohnehin nur müde gelächelt werden. 100 Milliarden Euro Kreditaufnahmen für das „Sondervermögen“ der Bundeswehr, jährliche Steigerungen des Rüstungshaushaltes im zweistelligen Milliardenbereich und mehr als 20 Milliarden Euro für „Ukraine-Hilfen“ – all das gibt es ohne „Ampel-Streit“. Um den Stellvertreterkrieg gegen Russland voranzutreiben, bedarf es keines „Kanzler-Machtwortes“. In den wesentlichen Fragen ist sich die Bundesregierung erstaunlich einig.