Am 14. April fand in Luxemburg ein Treffen der EU-Außenminister mit Vertretern der sechs sogenannten Westbalkanstaaten und dem Kiewer Außenminister Andrej Sybiha statt. Dieser lud seine EU-Kollegen ein, statt nach Moskau am 9. Mai nach Kiew zu fahren. Die in den USA arbeitende ukrainische Historikerin Marta Havryshko wies zu dem Ansinnen in der „Berliner Zeitung“ darauf hin, dass zum Beispiel die „Galizische Division“ der SS im Jahr 2023 mit einer Ausstellung in Kiew geehrt wurde, die anschließend durch Litauen wanderte. Havryshko fragte: „Werden europäische Staats- und Regierungschefs, die am 9. Mai Kiew besuchen, Präsident Wolodymyr Selenskyj fragen, warum einige ukrainische Soldaten Waffen-SS-Divisionen glorifizieren?“ Der Westen schweige beredt „zur Nazi-Apologie in der Ukraine“.
Mindestens so dreist und geschichtsvergessen wie Sybiha trat die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas in der Pressekonferenz nach dem Treffen auf: Sie warnte europäische Staats- und Regierungschefs, am 9. Mai in Moskau zu feiern. Kallas drohte: „Es wurde auch sehr deutlich diskutiert und von verschiedenen Mitgliedstaaten zum Ausdruck gebracht, dass eine Teilnahme an den Paraden oder Feierlichkeiten zum 9. Mai in Moskau von europäischer Seite nicht auf die leichte Schulter genommen wird, da Russland in Europa tatsächlich einen umfassenden Krieg führt.“ Auf Nachfrage eines ukrainischen Journalisten, ob sie verfolge, welche EU-Staaten oder Bewerberstaaten planten, am 9. Mai Moskau zu besuchen, antwortete Kallas: „Wir haben deutlich gemacht, dass wir die Teilnahme eines Kandidatenlandes an den Veranstaltungen am 9. Mai in Moskau nicht wünschen. Das war also klar und deutlich.“
Der Drohung folgte die Ankündigung weiterer Militärhilfe für Kiew. Kallas verkündete, die EU habe „zwei Drittel“ der für die Lieferung von zwei Millionen Artilleriegranaten an die Ukraine erforderlichen Mittel gesichert. Bis Jahresende seien dafür fünf Milliarden Euro erforderlich. Die sind offenbar noch nicht zugesagt, weil die Außenbeauftragte es nicht nur mit ungarischem Widerstand in der EU zu tun hat. Kallas packte das in die Formel: „Eine große Mehrheit der Mitgliedstaaten ist sich einig, dass wir mehr tun müssen.“ Ihr zufolge wird in der EU zudem an einem 17. Sanktions„paket“ gearbeitet.
Ihre offizielle EU-Warnung vor der Teilnahme an den Siegesfeierlichkeiten in Moskau stieß auf zum Teil scharfen Widerspruch. Am gelassensten reagierte der Pressesprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow, der am Dienstag vergangener Woche gegenüber „Tass“ zu Kallas sagte: „Wir nehmen ihre sehr, sehr harten Aussagen zur Kenntnis. Wir halten sie nicht für richtig.“ Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Marija Sacharowa, kommentierte auf X: „Wenn das so ist, dann wird der Euro-Nazismus vor unseren Augen wiederbelebt. Auf diese Weise zwangen die Faschisten vor 80 Jahren diejenigen, die sie als ‚Menschen zweiter Klasse‘ betrachteten, ihre Heimat, ihre ethnische Zugehörigkeit und ihren Glauben aufzugeben.“
Ihre Anwesenheit bei der Militärparade haben neben Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping und Brasiliens Präsident Lula da Silva unter anderem auch Serbiens Präsident Aleksandar Vučić und Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan zugesagt. Beide Länder streben in die EU. In Eriwan wurde Paschinjans Teilnahme nach der Warnung aus Brüssel nochmals bestätigt. Parlamentschef Alen Simonjan erklärte: „Das ist auch unser Sieg, 300.000 Armenier sind für den Sieg gestorben.“ Der Besuch Paschinjans in Moskau stehe in keinem Zusammenhang mit der EU.
Der slowakische Präsident Robert Fico hatte bereits im November 2024 seine Teilnahme angekündigt. Er fragte nun am 15. April auf X: „Ist die Warnung von Frau Kallas eine Form von Erpressung oder ein Signal, dass ich nach meiner Rückkehr aus Moskau bestraft werde? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass wir das Jahr 2025 haben und nicht 1939.“ Der Philosoph und slowakische EU-Abgeordnete Ľuboš Blaha schrieb am 17. April auf Telegram, er sei „bereit, weiterhin schwere ideologische Verbrechen zu begehen“. Das nächste Mal am 9. Mai in Moskau gemeinsam mit Fico. Er fügte hinzu: „Die Brüsseler Extremisten unter der Führung von Kallas stottern bereits. Der Westen hat sich offensichtlich noch nicht damit abgefunden, dass er den Krieg 1945 gegen die Rote Armee verloren hat.“