Bis Dienstag früh tagten in Brüssel die Staats- und Regierungschefs der EU und stritten über das sogenannte Corona-Wiederaufbaupaket. Statt des geplanten Wochenendes dauerten die Verhandlungen im Plenum und in etlichen Flur- und Nebengesprächen über das insgesamt 750 Milliarden Euro schwere Rettungspaket vier Tage. Die heftigsten Auseinandersetzungen drehten sich um die Höhe der zinsfreien Zuschüsse für die besonders schwer von der Krise betroffenen Länder. Beschlossen haben die 27 EU-Regierungschefs am Ende, nur 390 der geplanten 500 Milliarden Euro als Zuschüsse zu vergeben und den Rest in Form von Krediten.
„Keinem der Verhandlungspartner ging es um das Wohl der Völker, weder um das Wohl des ‚eigenen’ Volkes noch um das der EU-Partnerländer. Es ging allein um die Interessen des jeweiligen nationalen Monopolkapitals“, kommentierte der DKP-Vorsitzende Patrik Köbele am Dienstag.
Die fortwährend ungleiche Entwicklung innerhalb der EU hat tiefe Risse hinterlassen, bedingt durch die aufkeimende Wirtschaftskrise und verstärkt durch die Folgen der Corona-Pandemie. Italien und Spanien stehen vor dem Absturz und drohen der Union und dem Euro schweren Schaden zuzufügen. Von der viel beschworenen „europäischen Einigung“ oder gar „Solidarität in der Krise“ war nichts zu spüren. Und wie schon wenige Wochen zuvor bei der Wahl des Eurogruppenchefs bekamen die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron einen Dämpfer.
„In der EU mit 27 Mitgliedstaaten machen Deutschland und Frankreich oft etwas aus, und alle anderen müssen es abnicken“, kritisierte Österreichs Ministerpräsident Sebastian Kurz. Er brachte sein Land mit den Niederlanden, Dänemark und Schweden in Stellung. Auf der Konferenz gesellte sich noch Finnland zu den sogenannten „sparsamen Vier“. Diese Fünfergruppe folgte nicht den Interessen der Deutsch-EU, sondern legte die Interessen ihres nationalen Monopolkapitals in die Waagschale. Statt EU und Eurozone um jeden Preis zu retten, wollten sie die eigenen Kosten senken. Auch Italien, Spanien und die anderen südlichen EU-Ländern machten keine Anstalten, sich dem Diktat aus Berlin und Paris zu fügen. „Europa wird erpresst“, wetterte Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte. Die Erinnerungen an die Unterwerfung Griechenlands in Folge der Weltwirtschaftskrise von 2008 sind noch zu frisch. Auch der Vorstoß des niederländischen Ministerpräsident Mark Rutte gegen Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán, Zahlungen an die „Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien“ zu knüpfen, scheiterte. So waren die vier Tage in Brüssel Tage des Zorns auf allen Seiten und die EU präsentierte sich der Welt uneins und zerstritten.
„Merkel und Macron mussten Federn lassen. Für sie stand die Sicherung der EU und der Eurozone im Vordergrund, weil beides für ihre globale und Europastrategie entscheidende Instrumente sind. Darum waren sie zu größeren Zugeständnissen an die am stärksten betroffenen Ökonomien von Spanien und Italien bereit“, so Köbele. Statt als Repräsentantin des „ideellen Gesamtkapitalisten“, die Interessen des deutschen Imperialismus durchzusetzen, musste sich die Bundeskanzlerin als Vermittler zwischen Nord und Süd präsentieren. Merkel und Macron konnten die Rebellion nicht einfach übergehen. Auf dem Spiel stand nicht nur ein Gipfel, sondern die Zukunft der EU, dem zwischenimperialistischen Zweckbündnis, dass Deutschland mit Frankreich als Juniorpartner den Weg zur führenden Wirtschaftskraft der Welt ebnen soll. Man will gestärkt aus der Krise kommen, doch zunächst mussten die tiefen Risse in der EU behelfsmäßig gekittet werden.