Streit um Zahlungsmodalitäten. Russland stoppt Lieferungen nach Polen und Bulgarien

EU-Sanktionsfanatismus

Im Streit um russische Erdgaslieferungen in die EU entwickeln sich die Dinge derzeit rasant. Erst vor Kurzem hatte die Ukraine noch verlangt, die EU solle russisches Erdgas stärker über ukrainische Pipelines beziehen statt über Nord Stream 1. Jetzt aber sieht es bereits so aus, als habe sich diese Forderung wohl bald erledigt. Denn möglicherweise – das war zumindest der Stand zu Wochenbeginn – scheitert eine Lösung im Streit um die Zahlungsmodalitäten für russische Erdgaslieferungen an der Hartleibigkeit der EU – mit dramatischen Folgen.

Der Teufel, dessentwegen sich die EU selbst in eine gravierende Erdgaskrise stürzen könnte, liegt dabei im Detail. Ursache ist, dass Russland die Bezahlung seiner Erdgaslieferungen jetzt in Rubel verlangt: Es ergibt wenig Sinn, mit den Erlösen für das Erdgas Euro- oder US-Dollar-Guthaben anzuhäufen, wenn die westlichen Staaten deren Nutzung jederzeit mit neuen Sanktionen sabotieren können. Weil die EU die direkte Bezahlung in Rubel verweigert und auf der – vertragsgemäßen – Zahlung in Euro oder US-Dollar besteht, hat Moskau eine andere Regelung getroffen. Demnach müssen die Erdgaskäufer den Kaufpreis auf ein Euro- oder US-Dollarkonto bei der Gazprombank überweisen, die ihn dann in Rubel umtauscht und auf ein zweites Konto überweist. Gezahlt wird in westlicher Währung, kassiert wird in östlicher – ein einfacher Trick, sollte man meinen.

Hier aber schlägt der Teufel im Detail zu. Moskau erklärt – Stand: Anfang dieser Woche –, es sehe die Bezahlung erst nach dem Umtausch in Rubel als abgeschlossen an. Dann wären die westlichen Erdgaskäufer auch noch für den Umtausch mitverantwortlich, also dafür, dass in Russland letztlich Rubel ankommen und nicht sanktionsbedingt womöglich unnütze Euro oder US-Dollar. Die EU sperrt sich dagegen. Der Grund: In den Umtausch ist Russlands Zentralbank involviert; diese allerdings ist mit EU-Sanktionen belegt. Wären nun westliche Erdgaskäufer noch für den Umtausch mitverantwortlich, dann wären sie in Geschäfte mit einer von der EU sanktionierten Finanzinstitution eingebunden – sie brächen die Sanktionen. Das freilich darf laut den Sanktionsfanatikern in Brüssel auf gar keinen Fall sein.

Was nun? Bei den großen Erdgasversorgern, bei Uniper etwa, suchen hoch spezialisierte Finanzjongleure und Juristen seit Wochen nach kreativen, mit den Sanktionen zu vereinbarenden Umwegen. Auch die Energieminister der EU befassten sich diese Woche mit dem Problem. Ob es gelingt, eine Lösung zu finden, dürfte sich im Laufe des Monats zeigen, wenn die nächsten Zahlungen bei Gazprom fällig werden; Uniper etwa ist Ende Mai dran.

Dass Russland bereit ist, im Fall der Fälle ernst zu machen, zeigt die Tatsache, dass es seine Lieferungen an Polen und Bulgarien einstellt. Die beiden Länder hatten sich geweigert, eine Umstellung auf das Zweikontenmodell auch nur in Betracht zu ziehen; Gazprom hat daher jetzt einen Schlussstrich gezogen. Für Warschau und Sofia steht nun ein harter Umbruch bevor, den beide allerdings anstrebten: Sie hatten ihre Lieferverträge, die Ende des Jahres auslaufen, nicht verlängert. Polen will sich maßgeblich über eine neue Pipeline aus Norwegen versorgen, die noch im Herbst in Betrieb genommen werden soll; Bulgarien wiederum setzt auf eine Gasleitung aus Griechenland, die gleichfalls noch 2022 fertiggestellt werden könnte.

Indem sie ihre Lieferverträge mit Russland nicht verlängerten, haben die zwei Länder ein gern beschwiegenes Problem umschifft, vor dem viele andere Erdgaskäufer stehen: Diese haben langfristige Verträge mit Moskau geschlossen, die sie verpflichten, eine Mindestmenge unabhängig vom tatsächlichen Erdgasbezug zu bezahlen. Nicht wenige Firmen sind bis Ende der 2020er Jahre, Uniper zum Teil sogar bis 2036 vertraglich gebunden. Der Gasboykott könnte die Erdgaskäufer teuer zu stehen kommen – und dies, wo die Erdgaspreise ohnehin in die Höhe geschossen sind. Weltpolitische Aggressionen sind eben teuer.

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"EU-Sanktionsfanatismus", UZ vom 6. Mai 2022



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