Die Rede der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vom 13. September, die etwas bombastisch und angelehnt an US-amerikanischen Traditionen als „Rede zur Lage der EU“ angekündigt war, wäre von den meisten Medien hierzulande wahrscheinlich wenig beachtet worden, hätte sie nicht dort die „Einleitung eines Antisubventionsverfahrens“ angekündigt, das, wenn es die dafür notwendigen Fristen und Beratungsinstanzen durchlaufen hat, wohl zur Erhebung eines 20-Prozent-Zolls auf chinesische E-Autos führen wird.
Wer Zölle kassiert, hat Angst. Sie sind Schutzmauern gegen einen als wirtschaftlich stärker erlebten ökonomischen Gegner. Die EU war einst angetreten, um den völlig freien Warenverkehr inner-, aber auch außerhalb Europas zu fördern und hatte jahrzehntelang dank der Produktivität der von ihr ausgebeuteten Arbeiter und Angestellten gegen Zölle und andere Schutzmaßnahmen wirtschaftlich schwächerer Nationen gekämpft. Diese Zeiten sind vorbei. Gab es noch vor drei Jahren praktisch keine elektrogetriebenen Autos aus China auf dem europäischen Markt, haben sie inzwischen einen Marktanteil von 8 Prozent, und schon für 2025 sind 15 Prozent prognostiziert – Tendenz weiter steigend. Der Grund ist simpel: Sie sind besser und billiger. Ihre Preise liegen im EU-Durchschnitt um 20 Prozent unter den in Deutschland oder anderen EU-Ländern gefertigten Fahrzeugen und ihre Ausstattung lässt Wolfsburger oder andere hiesige Modelle für Technikbegeisterte altbacken aussehen.
Schon deswegen sind die Klagen über Subventionen ein mehr als durchsichtiger Vorwand mit hoher Bumerang-Wahrscheinlichkeit. Denn es ließen sich Aktenordner mit den Versprechungen füllen, mit öffentlichen Mitteln die Entwicklung europäischer Elektrofahrzeuge zu fördern. China hat das ebenfalls getan, braucht das aber immer weniger, weil den dortigen Autobauern nach den Anschubfinanzierungen mit dem entstandenen Know-how, dank der sicheren Versorgung mit allen nötigen Rohstoffen und vor allem durch die Vorteile der großen Zahl ein technisch und wirtschaftlich kaum einzuholender Vorsprung erwachsen ist.
Also mauert die EU sich ein. Viele sind skeptisch, ob da nicht der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben wird. Ferdinand Dudenhöffer vom Duisburger Center of Automotive Research spricht von einem „schrecklichen Szenario“, weil jede Gegenmaßnahme Chinas zuerst die deutsche Autoindustrie träfe, die trotz bröckelnder Marktanteile in China ein Drittel ihres Umsatzes erwirtschafte. Nach dem Wirtschaftskrieg gegen Russland würde der mit diesen Zöllen forcierte Wirtschaftskrieg gegen China nach der Chemie- und Stahlindustrie einen weiteren deutschen Industriezweig aus den Weltmärkten schießen.
Manche Erkenntnisse sind alt und wahr und zeigen gleichzeitig, was sich gerade verschiebt in der Welt. 1848 formulierten die beiden jungen Leute Karl Marx und Friedrich Engels mit Blick auf das damalige europäische Unternehmertum im Kommunistischen Manifest: „Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind die schwere Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt, mit der sie den hartnäckigen Fremdenhass der Barbaren zur Kapitulation zwingt.“ Zu ersetzen wäre wohl nur „chinesischen“ durch „europäischen“ – der Rest, vor allem die Kapitulationsankündigung, kann bleiben.