Über die reaktionäre Gefährdung des Atomausstiegs

EU-Booster für AKW

Die EU-Kommission stuft Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke als „klimafreundlich“ ein. Sie gelten damit als „nachhaltig“ und förderungswürdig. Das lenkt Kapitalströme in alte und neue AKWs und zugleich in den „Green New Deal“. Gegen den Plan protestieren Umweltverbände, SPD und Grüne. Die Ampel-Regierung lehnt ihn ab.

Beim Thema Gaskraftwerke unterscheidet sich die EU-Position allerdings nicht vom Ampel-Koalitionsvertrag, in dem es realistischerweise heißt: „Wir beschleunigen die Errichtung moderner Gaskraftwerke“, die „für eine Übergangszeit unverzichtbar“ seien. Laut Statistischem Bundesamt ist Erdgas mit einem Anteil von 31 Prozent der mit Abstand wichtigste Energieträger der deutschen Industrie. FDP-Sprecher begrüßten daher die Einstufung als „Erfolg der deutschen Argumente“.

Die Einstufung der Atomkraft als „grün“ ist dagegen ein Erfolg der „französischen Argumente“. Macron betreibt sie seit Langem. Er will sie als Rückenstärkung bei den Präsidentschaftswahlen, zumal Frankreich im ersten Halbjahr 2022 die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Nach den USA betreibt Frankreich mit 56 Atomkraftwerken die zweitmeisten AKWs der Welt. Ihr Anteil an der Stromerzeugung ist mit 71 Prozent weltweit der höchste. Die Atomindustrie Frankreichs entstand aus dem militärischen Komplex, der die Atombewaffnung umsetzte. De Gaulle wollte nach der Suezkrise, in der sich der US-Imperialismus gegen den französischen und britischen Imperialismus stellte, die Unabhängigkeit vom US-„Schutzschirm“ und von US-Öllieferungen erreichen.

In der BRD kämpfte seit den 1970er Jahren eine starke Bewegung für den Ausstieg aus der Atomkraft. Entstehung, Identität und Geschichte der Grünen sind mit der Anti-AKW-Bewegung verbunden. Die SPD-Basis schloss sich an und auch die Mehrheit der Bevölkerung war dafür. Dass 2000 der Ausstieg begann, war ein Erfolg der demokratischen Bewegung. 2010 verlängerte eine CDU-geführte Regierung nochmal die Laufzeiten. Erst nach Fukushima 2011 schwenkte Kanzlerin Merkel auf den Ausstieg ein. Die deutsche Großbourgeoisie fand sich mit dem Ausstieg ab, wenn auch mit Murren. Am Ende hatte der Erhalt der Hegemonie ihrer Hauptpartei CDU/CSU Vorrang vor der Atompolitik. Drei der letzten sechs AKWs wurden Ende 2021 abgeschaltet. Der Atomanteil an der Stromerzeugung betrug 2020 noch 11 Prozent.

Der Vorstoß der EU-Kommission überrascht nicht. Wahrscheinlich wurde er im Vorfeld mit den deutschen Unternehmerverbänden und den Spitzen der alten und neuen Bundesregierung konsultiert. Den EU-Rechtsakt wieder zu kippen gilt als unrealistisch. Dazu wäre eine „qualifizierte Mehrheit“ von 20 Staaten im EU-Rat nötig, die 65 Prozent der Einwohner repräsentieren. Auch ein Beschluss des EU-Parlaments fände wohl keine Mehrheit, zumal der Vorsitzende der Christdemokraten im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), die Zustimmung der größten Fraktion bereits ankündigte. Viele Mitglieder von SPD und Grünen sind nun enttäuscht. Die Führungen beider Parteien werden es aber bei formalen Ablehnungsgesten belassen. Die „deutsch-französische Freundschaft“ als Garantin einer EU mit Weltmachtambitionen hat für sie Vorrang vor dem Atomausstieg.

Der Koalitionsvertrag will eine „handlungsfähigere und strategisch souveränere EU“. Er will zu Lasten des Vetorechts „Mehrheitsentscheidungen“ in der EU ausweiten. Er fordert sogar die „Weiterentwicklung zu einem föderalen europäischen Bundesstaat“. Dabei zeigt gerade der „Atomkompromiss“, wie recht Lenin hatte, als er auf das Gesetz der Ungleichmäßigkeit der Entwicklung von Unternehmen, Branchen und Ländern hinwies. Die Basis für Vereinbarungen zwischen Staaten kann infolge dieses Gesetzes nur deren ökonomische, politische, militärische und sonstige Macht sein. Lenin schlussfolgerte: Unter diesen Umständen sind Vereinigte Staaten von Europa unmöglich oder reaktionär.

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"EU-Booster für AKW", UZ vom 14. Januar 2022



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