Nazigruppen veranstalten Hetzjagden in Chemnitz. Mehrere zehntausend Menschen positionieren sich gegen rechte Gewalt

Eskalation mit Ansage

Von Markus Bernhardt

Im Nachgang zu mehreren Aufmärsche von Neofaschisten, Rassisten und rechten „Wutbürgern“ in Chemnitz haben am vergangenen Montag über 70 000 Menschen an einem Konzert gegen Rechts teilgenommen. Dort traten neben den „Toten Hosen“ und anderen Bands auch „K. I.Z“ und „Kraftclub“ auf. Die Konzertbesucher protestierten gegen Nazis und Rassisten, die zuvor versucht hatten, die Ermordung des Deutsch-Kubaners Daniel H. beim Chemnitzer Stadtfest knapp eine Woche zuvor für ihre Propaganda zu missbrauchen (UZ berichtete).

Erst am vergangenen Samstag hatte die völkisch-nationalistische AfD erneut gemeinsam mit dem Rechtsaußenbündnis „Pro Chemnitz“, Pegida-Anhängern, der faschistischen Kleinstpartei „Der III. Weg“, gewaltbereiten Hooligans und anderen ex­tremen Rechten zu einem angeblichen „Trauermarsch“ mobilisiert, an dem rund 8 000 Personen teilnahmen. Wie schon bei den Aufmärschen zuvor, wurde auch am Wochenende erneut mehrfach der Hitlergruß gezeigt. Auch wurden wiederholt Journalistinnen und Journalisten und potentielle Nazigegner attackiert. An antifaschistischen Gegenprotesten beteiligten sich am Wochenende hingegen rund 3 000 bis 4 000 Nazigegner.

Am Montag hatte sich unterdessen auch der Innenausschuss des Sächsischen Landtages mit den Demonstrationen und Gewalttaten befasst. Dabei spielte vor allem die Frage eine Rolle, warum die sächsische Polizei zuvor geäußerte Warnungen des Landesamtes für Verfassungsschutz nicht ernst genommen hatte, das vor Protesten von Neonazis mit mehreren tausend Personen gewarnt hatte.

„Die sächsische Polizei konnte am 27. August in Chemnitz offenbar nur durch Glück Schlimmeres verhindern. Weil zu geringe Kräfte konzentriert wurden, musste sie sich teilweise darauf beschränken, das Zeigen des Hitlergrußes videotechnisch zu dokumentieren, anstatt sofort einzugreifen und die Identität der Täter festzustellen. Sie musste hinnehmen, dass Wasserwerfer an der Weiterfahrt gehindert wurden, Polizeibeamte von gewaltbereiten Hooligans und Neonazis geschubst, beschimpft und tätlich angegriffen wurden. All das, weil die Zahl der Einsatzkräfte zu gering war“, konstatierte Enrico Stange, Innenpolitischer Sprecher der sächsischen Linksfraktion, im Nachgang der Sondersitzung. Solche Zustände seien „nicht zu verantworten, zumal sich die Demonstrations- und Veranstaltungslagen verändern und gewaltbereite wie hoch mobile Hooligans und Neonazis im gesamten Bundesgebiet massiv mobilisieren“, stellte Stange zugleich klar und forderte „personelle Konsequenzen in der Führung der sächsischen Polizei“.

Als Konsequenz aus dem gemeinsamen Aufmarsch von AfD-Spitzenpolitikern, darunter Björn Höcke, mit militanten Faschisten sprachen sich zu Beginn der Woche mehrere Politiker von SPD und Bündnis 90/Die Grünen dafür aus, die AfD vom sogenannten Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Das hieße jedoch, „den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben“, warnte die Innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke. Verfassungsschutz und AfD seien schließlich zwei Seiten einer Medaille, „von beiden geht eine Gefahr für unsere demokratische Ordnung aus“, so Jelpke. Die Verfassungsschutzämter seien außerdem seit Jahrzehnten über ihre V-Leute auf das Engste mit der extremen Rechten verstrickt. „Ich erinnere nur an die Unterwanderung der NPD durch Verfassungsschutzspitzel, woran bereits das erste NPD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht scheiterte, und an die Rolle der Verfassungsschutzämter beim Schreddern der Akten über den Einsatz von V-Leuten im Umfeld des rechtsterroristischen NSU. Die Sorge um das Wohlergehen der AfD scheint im Verfassungsschutz sowieso Chefsache zu sein – so steht Geheimdienstchef Maaßen im Verdacht, die Partei diesbezüglich beraten zu haben“, sagte die Bundestagsabgeordnete, die sich für mehr Wachsamkeit und für antifaschistischen Selbstschutz aussprach.

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"Eskalation mit Ansage", UZ vom 7. September 2018



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