„Fast scheint es, als sei die Netanjahu-Regierung in einem Wettbewerb mit ihren Vorgängern, wer tödlicher sei für die Palästinenser.“ Das schreibt die Knesset-Fraktion von Chadasch-Ta’al zu dem Angriff der israelischen Besatzungstruppen auf Jenin am 26. Januar. Dutzende Personen wurden bei diesem Angriff verletzt, zehn wurden getötet – und damit mehr als 30 Palästinenser seit Anfang des Jahres. Palästinensische bewaffnete Gruppen drohten mit Vergeltung. Schon am nächsten Tag war es so weit: Ein 21-jähriger Palästinenser tötete sieben jüdische Israelis bei einer Synagoge auf einem Gebiet, das von Israel 1967 besetzt worden war. Es war der tödlichste Angriff seit 2008.
Videos aus Jenin zeigen das Ausmaß der Zerstörung. Das palästinensische Gesundheitsministerium erklärte, dass Krankenwagen an der Durchfahrt gehindert und in einem Fall direkt beschossen worden seien. In der Kinderabteilung des staatlichen Krankenhauses in Jenin gab es Verletzte, weil in der Nähe Tränengas eingesetzt wurde.
Die Autonomiebehörde erklärte nach einem Treffen mit ihrem Präsidenten Mahmud Abbas, sie würde jegliche Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen mit Israel mit sofortiger Wirkung beenden. Es war nicht die erste derartige Entscheidung. Auch in der Vergangenheit – beispielsweise 2020 – wurden solche Beschlüsse gefasst, die ohne Folgen blieben. Ob es mehr ist als Verhandlungsgegenstand für die anstehenden Gespräche beim Besuch von US-Außenminister Antony Blinken, wird sich noch zeigen müssen.
Auf israelischer Seite haben der Angriff bei der Synagoge vom Freitag und ein Angriff am Samstag in Jerusalem mit zwei Verletzten – zusätzlich wurde der Angreifer von Passanten angeschossen – hektische Aktivitäten ausgelöst. Dutzende Personen unter anderem aus den Familien der Angreifer wurden verhaftet, die Häuser dieser Familien werden zerstört. Überdies sollen die Besatzungstruppen auf der Westbank verstärkt werden.
Das israelische Sicherheitskabinett beschloss, Familienmitgliedern von Attentätern ihre Wohn- und Bürgerrechte zu entziehen, soweit sie Wohnrecht in Jerusalem haben oder israelische Bürger sind. Um wirksam zu werden, muss dieser Beschluss als Gesetz verabschiedet werden. Die Ausgabe von Waffen an Zivilisten soll erleichtert werden.
Der rechtsradikale Finanzminister Bezalel Smotrich verlangte gar, die Wohnviertel der Attentäter abzuriegeln. Der Forderung nach einem forcierten Siedlungsbau auf der Westbank schloss sich Benjamin Netanjahu zu Wochenbeginn an und beendete erneut die Hoffnung auf einen palästinensischen Staat: „Den Terroristen wird es nicht gelingen, uns von unserem Land Judäa und Samaria (also der Westbank – M. Z.) zu vertreiben“, erklärte er. Folgerichtig forderte Außenminister Eli Cohen die israelischen Botschaften weltweit auf, von ihren Gastgeberländern eine härtere Haltung einzufordern – gerade auch gegenüber der palästinensischen Autonomiebehörde.
Israelische Siedler greifen mittlerweile zur Selbstjustiz. Sie setzten mehrere Häuser und Autos in Brand, eine Vielzahl weiterer Angriffe ereignete sich allein am Samstag. Steinwürfe auf Palästinenser, ihre Häuser und Gewächshäuser sorgten für hohen Schaden.
Die Proteste gegen die Justizreform in Israel gingen auch nach den Anschlägen weiter. Erneut demonstrierten Zehntausende in Tel Aviv gegen die Reform. Ayman Odeh, der Fraktionsführer der linken Chadasch-Ta’al, twitterte dazu: „Die Faschisten in der Regierung sind ruhig, denn sie wissen, dass selbst in der liberalen Opposition Rassisten sind, denen die Besatzung gleichgültig ist. Aber der Kampf für die Demokratie muss auch und vor allem ein Kampf gegen die Besatzung sein.“