Was Faschismus war, woher er kam, wer von ihm profitierte, wo und wie er existierte, wie er zu bekämpfen ist – das alles sind Fragen, die sich mühelos durch weitere ergänzen ließen und hochaktuell sind. Die NATO-Kriegsallianz hat die politischen Weichen so gestellt, dass die künftige Entwicklung in eine Katastrophe von weltgeschichtlicher Dimension führen kann. Es macht sich eine Stimmung breit, die an die Zeit des aufkommenden Faschismus in Deutschland erinnert: Gleichschaltung, Heimatfront, reaktionärer Staatsumbau, Repressionsverschärfung, Abbau demokratischer Rechte. Die Befreiungstat der Sowjetunion – alles was an sie erinnert, alles was an die untilgbare Schuld Deutschlands erinnert – sowie der Zusammenhang von Kapitalismus, Krieg und Faschismus sollen aus dem Bewusstsein getilgt werden. Von den bürgerlichen Medien werden die Gehirne für den großen Krieg neu programmiert, sie werden von allem Wissen „gereinigt“.
In dieser Situation, anknüpfend an das Gedenken an die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee am 27. Januar 1945, erscheint Ulrich Schneiders Buch „1933 – Der Weg ins Dritte Reich“. Erinnern, so heißt es im Vorwort, bedeute auch, „Verantwortliche und Nutznießer der Errichtung der faschistischen Herrschaft und der Entfesselung des Krieges“ zu nennen. Dies sei auch heute noch aktuell, „wenn politische Konsequenzen für die Gegenwart gezogen werden sollen“. Warum und woran ist die Weimarer Republik gescheitert? Ausgehend von dieser Frage behandelt der Autor alle weiteren Fragen zur Entstehung und Entwicklung des deutschen Faschismus. Wenn man nicht behaupten will, Hitler sei ein „Betriebsunfall der Geschichte“ gewesen oder der 30. Januar 1933 sei „schicksalhaft“ über Deutschland gekommen, müsse man sich, so Schneider, mit den gesellschaftlichen Kräften beschäftigen, die ein Interesse an der Errichtung und dauerhaften Festigung der faschistischen Herrschaft hatten. Es geht dabei „um die in der betreffenden Gruppe vorherrschende Tendenz, die insbesondere von den in ihr hegemonialen Kräften vertreten wird“.
Dieser rote Faden zieht sich durch das ganze, in 14 Kapitel übersichtlich gegliederte Buch. Auf der Grundlage der Faschismusforschung der DDR, die entweder stigmatisiert oder gänzlich übergangen wird, weist der Autor alle Versuche zurück, den Faschismus an der Macht als „Machteroberung“ darzustellen. Vielmehr habe es sich um eine von führenden Vertretern des Monopolkapitals – Machtgruppen, die sich für die reaktionärste Variante der bürgerlichen Herrschaft entschieden hatten – gewollte Machtübertragung gehandelt. Diese ganze Verzahnung über verschiedene informelle und formelle Kreise stellt Schneider ausführlich dar. Ebenso setzt er sich mit der „Abstinenz“ der vorherrschenden Geschichtsbetrachtung gegenüber jenen Gruppen und Personen auseinander, die sich dem Vormarsch der faschistischen Bewegung widersetzt haben – vor allem gegenüber der ganzen Breite des Widerstands aus der Arbeiterbewegung, gerade auch der Kommunisten. Die Etablierung des faschistischen Regimes vollzog sich nicht heimlich. „Schon in der Weimarer Zeit waren der Straßenterror der SA, die martialischen Aufmärsche, die Gewalttaten und sogar Morde nahezu alltäglich geworden.“ Der Autor behandelt die Lehren, welche die Arbeiterbewegung gezogen hat, zeigt sehr plastisch, wie ein Schritt der Etablierung des faschistischen Regimes dem vorhergehenden folgte, was dieser Schritt für den Widerstand bedeutete, wie und warum „Antisemitismus als Ausgrenzungsideologie in staatliche Politik umgesetzt“ wurde und warum der 30. Januar 1933 den 1. September 1939 und den 22. Juni 1941 als unvermeidbare Perspektiven enthielt.
Leider ist es unmöglich, den reichen Gehalt des Buches in einer Rezension vorzustellen – man muss es lesen. Der Autor bleibt nie vage, sondern belegt jede Behauptung mit Namen, Fakten und Dokumenten. Er gibt dem Leser ein Kompendium an die Hand, das zur rechten Zeit erscheint, denn eine automatische Garantie der Nichtwiederholbarkeit von 1933 in der Bundesrepublik gibt es nicht. Viele Parallelen zur Gegenwart drängen sich auf – insbesondere auch die Erkenntnis, dass die Erfahrungen der Weimarer Republik deutlich gemacht haben, dass nur eine ihrer Interessenlage bewusste Bewegung der Lohnabhängigen im Bündnis mit allen demokratischen Kräften in der Lage ist, vorbeugenden Widerstand zu leisten und verhängnisvolle gesellschaftliche Entwicklungen zu verhindern. Das gut ausgestattete Buch enthält als Anhang eine Kurzchronik „Der Weg zur Macht und deren Festigung (1932 bis 1934)“ sowie Hinweise auf weiterführende Literatur.
Ulrich Schneider
1933 – Der Weg ins Dritte Reich
Analysen und Dokumente zur Errichtung der NS-Herrschaft
PapyRossa Verlag Köln 2022,
223 Seiten, 16,90 Euro
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