Als im Frühjahr 1525 die roten Hähne auf Klöstern und Burgen flatterten, war der Maler Jörg Ratgeb einer der wenigen Bürger, die sich auf die Seite der revolutionären Bauern schlugen. Er wurde Bauernkanzler und bezahlte das wenig später mit seinem Leben. Die Reflektion von Ratgebs Werk als Künstler und Bauernführer steht exemplarisch für das Zaudern des deutschen Bürgertums: Im Angesicht der aufbegehrenden Unterschichten sucht es den Kompromiss mit der Reaktion.
An der Wende zum 16. Jahrhundert
Im Verlauf des 15. Jahrhunderts bedrückten steigende Abgaben und Frondienste die unteren Klassen und nahmen ihnen das Nötigste zum Leben. Die Leibeigenschaft band die Bauern an die Scholle, der Großteil des Volkes war der Willkür adeliger Herrscher unterworfen.
1493 entstand im heutigen Südwesten Deutschlands die „Bundschuh-Bewegung“. Dieser Zusammenschluss von Leibeigenen versuchte um die Jahrhundertwende mehrmals, seine Forderungen durch Aufstände durchzusetzen. Der Ruf nach Freiheit wurde lauter.
Die Ursachen für die Zunahme von Unzufriedenheit und Aufbegehren waren vielfältig. Die Städte bekamen aufgrund der Entwicklung der Produktivkräfte wachsende ökonomische Bedeutung. Auch weil dort die bürgerlichen Freiheiten zu erlangen waren, wurden sie zu immer bedeutenderen Anziehungspunkten. Der wachsenden Konkurrenz der Städte begegnete der Adel mit einer zunehmenden Auspressung der Bauern. Verschärft wurde die Situation durch schlechte Ernten und Kriegsabenteuer der Fürsten.
Jörg Ratgeb wuchs in dieser Zeit auf. Um 1480 in Schwäbisch Gmünd geboren, war er Zeuge der zunehmenden Konflikte. Als junger Mann erhielt er 1503 das Bürgerrecht in Stuttgart. Württemberg wurde zu dieser Zeit vom 16-jährigen Herzog Ulrich von Württemberg regiert. Schon zu diesem Zeitpunkt war das Herzogtum hoch verschuldet. Dennoch hielt Ulrich an der aufwendigen Hofhaltung fest und führte mehrere Kriege.
In Heilbronn und Frankfurt
1509 zog Ratgeb in die Freie Reichsstadt Heilbronn. Die etwa 7.000 Einwohner zählende Stadt war ein wichtiges Handelszentrum und unterstand nur dem Kaiser. Er wirkte beim Ausbau einer Kirche in der näheren Umgebung mit und gestaltete dort den „Barbara-Altar“.
Die Übersiedlung nach Heilbronn war für Ratgeb mit sozialem Abstieg verbunden. Er konnte dort nicht das Bürgerrecht erlangen, da er mit einer Leibeigenen verheiratet war. Diese unterstand – ebenso wie Ratgebs Kinder – Herzog Ulrich. Mehrmals versuchte der Maler vergeblich, seine Angehörigen loszukaufen.
Sein nächster Auftrag führte Ratgeb nach Frankfurt. Die Stadt am Main gehörte mit 10.000 Einwohnern zu den bedeutendsten Städten. Dort wurden die deutschen Kaiser von den Kurfürsten gewählt. Zugleich war Frankfurt eine Stadt mit enormem sozialen Sprengstoff – vor Ankunft des Malers kam es immer wieder zu Protesten der Einwohner wegen hoher Steuerlasten. Ratgeb arbeitete bis 1518 für das Frankfurter Karmeliterkloster. Er erstellte in dessen Auftrag umfangreiche Wandbilder, mit denen er die Geschichte des Ordens nacherzählte.
Armer Konrad
Während Ratgeb in Frankfurt lebte, spitzte Herzog Ulrich die Lage in Württemberg zu. Er brauchte Geld für neue Kriegszüge und versuchte, die letzten Reste aus seinen Untertanen zu quetschen. Er führte Verbrauchssteuern auf bestimmte Lebensmittel ein und reduzierte Maße und Gewichte. Dadurch erhielten die Menschen zum selben Preis weniger, was innerhalb kürzester Zeit zu einer Vervielfachung der Preise führte. Offiziell wurde behauptet, Währung, Maße und Gewichte hätten vereinheitlicht werden müssen.
Zum wachsenden Hunger gesellte sich die Wut der Bevölkerung auf die Obrigkeit. Während Adel und Kirche aufgrund ausschweifender Lebensweise zunehmend den Hass auf sich zogen, bildete die Rückbesinnung auf das Christentum die ideologische Orientierung der Massen. Reformorientierte Theologen gehörten deshalb mit zu den Aufrührern.
Ein Auslöser des „Armen Konrad“ war dann auch ein „Gottesurteil“. „Gaispeter“ aus Beutelsbach nördlich von Stuttgart führte im Mai 1514 die Wasserprobe durch. Er warf die neuen herzoglichen Gewichte in die Rems. Würden sie schwimmen, seien sie rechtens, gingen sie unter, wären die „Gemeinen“ im Recht. Auch ein gewisser Jos Fritz soll die Menschen aufgestachelt haben.
Die Bewegung schwoll an und verbrüderte sich mit den Handwerksgesellen der Städte. Getragen wurde sie von denjenigen, die sich gewisse Reserven erarbeitet hatten und es sich daher leisten konnten, Haus und Hof eine Zeit lang unbewirtschaftet zu lassen und sich der Politik zu widmen. Viele verarmte Leibeigene wurden mitgerissen. Die Bewegung schwoll zum Aufstand an. Bis in den Sommer hinein gelang es dem chronisch klammen Herzog Ulrich nicht, der „Gemeinen“ wieder Herr zu werden.
Die städtische Oberschicht – die „Ehrbarkeit“ – zauderte und ließ sich mit dem Herzog ein. Mit dem „Tübinger Vertrag“ vom Juli 1514 erhielt die „Ehrbarkeit“ zusätzliche Privilegien und übernahm dafür einen Großteil der herzoglichen Schulden. Mit dem Vertrag wurde auch der Weg frei gemacht zur grausamen Niederschlagung des Aufstands: „Wer sich gegenüber der Obrigkeit – egal ob fürstliche Räte, Amtleute, Geistlichkeit, Bürgermeister oder Stadtgericht – als ungehorsam erzeigt, hat Leib und Leben verwirkt“. Vor dem Winter 1514 war der Aufstand niedergeschlagen.
Herzog Ulrich indessen setzte sein ausschweifendes Leben fort. 1515 erschlug er den Ehemann seiner Geliebten. Daraufhin sprach der deutsche Kaiser Maximilian I. die Reichsacht gegen Ulrich aus und enthob ihn damit seines Amtes. Vollstreckt wurde dies allerdings erst nach dem Überfall Herzog Ulrichs auf die Freie Reichsstadt Reutlingen im Jahr 1519. Ulrich wurde verbannt und das Herzogtum Württemberg dem Kaiser unterstellt.
Aufbegehrende Kirche
Am 31. Oktober 1517 nagelte Martin Luther seine 95 Thesen an das Hauptportal der Schlosskirche in Wittenberg. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht – glomm doch das Aufbegehren gegen die Obrigkeit schon seit Jahren.
Ein Jahr später begann Ratgeb mit der Arbeit am Altar der Stiftskirche in der südlich von Stuttgart gelegenen Stadt Herrenberg. Dort hatte sich die aus den Niederlanden stammende, aus der christlichen Reformbewegung hervorgegangene Ordensgemeinschaft „Brüder vom gemeinsamen Leben“ – auch „Fraterherren“ genannt – niedergelassen. Herzog Eberhard I. von Württemberg, an dessen Hof Herzog Ulrich erzogen wurde, förderte die „Fraterherren“ und übertrug ihnen das Stift in Herrenberg in der Hoffnung, „dass der Gottesdienst gefördert, die Ausschweifungen beseitigt und überhaupt das Heil des Volkes gefördert werden“. Die Ordensbrüder lebten in Gütergemeinschaft und bildeten damit einen Kontrapunkt zum Lebenswandel der weltlichen und geistlichen Oberschicht. Hinzu kam das Wirken des 1495 verstorbenen Theologen Gabriel Biel im nahen Tübingen. Bei ihm hatten die Pröpste der Herrenberger Stiftskirche studiert. Biel hatte sich mit den Themen Recht und Gerechtigkeit beschäftigt, aber auch mit der Nationalökonomie. Abgeleitet von der göttlichen Gerechtigkeit kritisierte er diejenigen Herrscher, die sich auf Kosten der „Gemeinen“ bereicherten. Er sprach sich gegen die Einschränkung von Nutzungsrechten der Bauern an Wäldern, Weiden und Gewässern aus. Damit stellte er sich klar auf die Seite der Unterdrückten.
Ratgeb, persönlich betroffen von den Auswirkungen der Leibeigenschaft, hatte schon in Frankfurt für eine reform-orientierte Kirche gearbeitet. Ihm kann nicht entgangen sein, dass er mit der Ordensgemeinschaft der „Fraterherren“ einen noch fortschrittlicheren Auftraggeber hatte.
Das letzte Abendmahl
Ratgebs Altar besteht aus acht Bildern auf vier Holztafeln. Ausgeklappt ist er beeindruckende vier Meter hoch und fast sieben Meter breit. Die Innenseite, die an Festtagen gezeigt wurde, hat damit eine Darstellungsfläche von über 27 Quadratmetern. Der Stil des Malers zeigt neben spätmittelalterlichen Elementen schon Einflüsse der Renaissance.
Auf den inneren Tafeln stellte Ratgeb jeweils eine Hauptszene aus den letzten Lebenstagen Jesu dar. Er beginnt links mit dem Letzten Abendmahl. Zentral ist die Figur des Jesus, der nicht idealisiert dargestellt wird, sondern wie ein Gleicher unter seinesgleichen wirkt. Auch die am Tisch sitzenden Jünger sind als einfache Menschen aus dem Volk gestaltet. Der Tisch ist eher schlicht gedeckt.
Ganz anders dagegen die etwa 25 Jahre früher entstandene Darstellung der Szene von Leonardo da Vinci: Leonardos Tisch ist vornehm mit Tellern und Gläsern gedeckt, seine Jünger sind aufwendig gekleidet, frisiert und schon mit Heiligenschein gemalt. Ratgebs Figuren sind bescheidener und natürlicher wiedergegeben. Sie erinnern eher an das Leben der „Gemeinen“, deutlich zu erkennen am sich schnäuzenden Jünger links im Vordergrund.
Die Judas-Figur im Vordergrund hebt sich in allem deutlich von der Runde ab. Sie ist mit einer grellgelben Landsknechtskluft bekleidet. In der damaligen Symbolik stand die Farbe Gelb für Ketzerei und den Teufel. Sie wurde auch für die Darstellung der Ausgegrenzten genutzt. Ratgeb unterstrich die abstoßende Wirkung seines mit zahlreichen Details wie der von Judas umgestoßenen Kanne. Oberhalb des erigierten Penis fallen Judas Spielkarten und Würfel aus der Tasche. Eine Fliege, als Symbol des Teufels, fliegt dem Verräter in den Mund.
Prozess und Folter
In den Mittelpunkt der folgenden Tafel stellte Ratgeb eine Jesus-Figur, die in einem Palast an eine prunkvolle Säule gekettet ist. Im Vordergrund griff er auf einen gelb gekleideten Folterknecht zurück, der die Peitsche schwingt. Ein zweiter Folterer in Landsknechtskluft schlägt auf Christus ein, während ein dritter, verdeckt durch den zweiten, sich an den Gefolterten wendet und ihn zu verhöhnen scheint. Rechts von der Folterszene wird Jesus von den gleichen Landsknechten mit der Dornenkrone gequält und erniedrigt. Unten in der Bildmitte finden sich neben einer Peitsche wieder Spielkarten und Würfel.
Links oberhalb des angeketteten Jesus griff Ratgeb erneut eine gelb gekleidete Figur auf. Sie ist im Gespräch mit einer zweiten Person, die hinter einer Säule hervorschaut – der Verrat. Rechts davon stellte Ratgeb die öffentliche Verhandlung gegen Jesus dar. Dieser steht nackt und schon deutlich von Folter gezeichnet neben der Figur des römischen Statthalters Pontius Pilatus, der sich an die unterhalb stehende aufgebrachte Menge wendet, unter der sich wieder eine Figur in Gelb befindet. In den Hintergrund der Menschenmenge hat Ratgeb eine mittelalterliche Burg gemalt, auf der eine gelbe Fahne mit schwarzem Doppeladler weht. Auf den Zinnen der Burg, ganz dunkel, überwachen Soldaten die Menge. Die Fahne ist ein deutlicher Hinweis auf das Habsburger Kaiserhaus, zudem weist das Gesicht des Pilatus eine deutliche Ähnlichkeit mit historischen Darstellungen von Kaiser Maximilian I. auf und auch die Darstellung der Insignien – wie das Zepter oder die üppige Kopfbedeckung – deutet auf den Kaiser. Seinem „Pilatus“ wies Ratgeb eine eindeutige Verantwortung zu: Er wäre in der Lage gewesen, Jesus zu retten – stattdessen setzte er ihn weiteren Leiden aus.
Kreuzigung und …
Auf der dritten Tafel gestaltete Ratgeb den Kreuzweg, die Kreuzigung und das Begräbnis Jesu. Dominiert wird sie vom gekreuzigten Christus mit Dornenkrone. Trotz seiner Leiden strahlt er Ruhe aus. Ein Teil seiner Jünger steht unterhalb des Kreuzes, in Trauer vereint. Mit Jesus werden auf Ratgebs Altar zwei weitere Menschen hingerichtet. Die Darstellung geht auf das Lukas-Evangelium zurück. Während der Gekreuzigte rechts von Jesus seine Taten bereut und ihm dafür Erlösung versprochen wird, wird laut Lukas Jesus von dem Verurteilten zu seiner Linken verspottet. Ratgeb griff hier wieder die gelbe Kleidung auf. Auch hängt dem Sterbenden die Zunge aus dem Mund, unter seinem Kreuz liegt ein Totenschädel.
Zwischen den Kreuzen zieht die Menge aus der Stadt zum Kreuzigungsberg. Angeführt wird sie von einem gelb gekleideten Henker. Jesus, der unter seinem Kreuz zusammenbricht, erhält Unterstützung von einem Zuschauer. Beäugt wird die Szene von einem berittenen Soldaten.
Ebenfalls zwischen den Kreuzen ordnete Ratgeb die Grablegung Jesu durch seine Jünger an. Der Tote ist ausgemergelt, gezeichnet von Folter und Hinrichtung. Auch diese Szene ist sehr schlicht dargestellt und bildet Menschen in tiefer Trauer und Verzweiflung ab.
… Auferstehung
Die vierte Tafel wird überragt vom auferstehenden Jesus. Er entschwebt der noch geschlossenen und versiegelten Grabkammer und steigt in Richtung Himmel auf. Sein Oberkörper ist von einem regenbogenfarbenen Heiligenschein umgeben. Unter ihm purzeln die Wachen hilflos durcheinander. Sie brechen vor der schieren Kraft, die Ratgeb seinem Jesus verlieh, zusammen. Auch hier gestaltete Ratgeb teilweise in Gelb gekleidete Landsknechte. Zwei von ihnen müssen sich schützend die Hand vor die Augen halten. Zwischen ihnen tauchen wieder symbolhaft Spielkarten auf, daneben Münzen, wieder wird der Schambereich betont. Die Verbindung zwischen dem Verräter Judas und den Söldnern bildete Ratgeb über die Darstellung ihrer niederen Neigungen ab. Diese gehen durch die Auferstehung und damit die Verkündung des Himmelreichs in der realen Welt kläglich zugrunde. Letztlich demonstrierte Ratgeb mit dieser Szene die Machtlosigkeit der weltlichen Herrschaft gegenüber dem siegreichen Glauben. So ist dieser Altar ein in christlichem Gewand gemaltes Manifest für die „Gemeinen“ mit dem Tenor: Im Zeichen des auferstandenen Jesus werden wir siegen.
Ratgeb vollendete sein Werk 1519 in einer Zeit, in der die Mehrheit der Menschen weder lesen noch schreiben konnte. Die Kirchen waren der Ort der Wissensvermittlung. Sicher ist Ratgebs Altar noch kein Aufruf zum Aufstand. Ähnlich wie die Thesen Luthers oder das frühe Wirken Thomas Müntzers muss er aber als Anklage gegen Unrecht und Unterdrückung in einer damals üblichen Form betrachtet werden.
Noch war das Aufbegehren eher still und die Kritik kleidete sich in die den Menschen vertrauten Formen. Doch die kommenden fünf Jahre sorgten für eine rasante Zuspitzung.
Der Aufstand
Leibeigenschaft, ausschweifende Hofhaltung von Adel und Kirche, Kriegsabenteuer und Missernten bedrückten die unteren Klassen zunehmend.
Im Sommer 1524 kam es zu ersten Zusammenschlüssen von Bauern, Handwerkern und einfachen Geistlichen im Schwarzwald sowie in Franken und Thüringen. Dort und in Sachsen, im süddeutschen Raum bis hinein ins Elsass, in der Schweiz und in Tirol bildeten sich lokale Bauernhaufen. Sie wählten aus ihrer Mitte Anführer und zogen Richtung Burgen und Klöster. Immer mehr Städte solidarisierten sich mit den Bauern. Bis Jahresende wuchsen die Haufen auf eine für damalige Verhältnisse unglaubliche Größe an – der „Seehaufen“ in der Nähe von Lindau am Bodensee soll bis zu 12.000 Aufständische vereint haben.
Zwölf Artikel
- Das Recht der Gemeinden zur Wahl und Absetzung der Pfarrer.
- Der „Zehnt“, also eine zehnprozentige Kornsteuer, soll ausschließlich zur Versorgung der Pfarrer, für die Armen und zur Landesverteidigung verwendet werden. Der „Kleine Zehnt“, also eine erweiterte Steuer, beispielsweise auf das Vieh, soll abgeschafft werden.
- Aufhebung der Leibeigenschaft.
- Die Freigabe von Jagd und Fischerei.
- Die Rückgabe der Wälder und Forsten.
- Die Reduzierung der Dienste.
- Die Einhaltung der Bestimmungen der Lehensbriefe.
- Die Neufestsetzung der Gülten, also der Steuern für die Grundstücke.
- Eine Neuregelung der Strafen für Gesetzesüberschreitungen.
- Die Rückgabe von Allmenden (gemeinsames Gemeindegut), die von weltlichen Herrschern konfisziert worden waren.
- Abschaffung der Todfallabgabe, also der Abgaben, die nach dem Tod eines abhängigen Bauern dem Grundherrn zustehen.
- Es wurde die grundsätzliche Bereitschaft erklärt, auf alle Forderungen zu verzichten, die nicht mit der Bibel begründet werden können.
Zitiert nach „Der Maler Jerg Ratgeb und der Bauernkrieg“
Den meisten Bauernhaufen ging es weniger um Rache für jahrhundertelange Unterdrückung als vielmehr um die konkrete Verbesserung ihrer Lage. Eine besondere Bedeutung für die weitere Mobilisierung erlangten die „Zwölf Artikel“. Diese wurden im März 1525 in der Freien Reichsstadt Memmingen durch Abgeordnete von drei oberschwäbischen Bauernhaufen erarbeitet. Dank der technischen Neuerung des Buchdrucks erlangte dieses soziale und demokratische Programm der Bauern eine schnelle und weite Verbreitung.
Mit dem Anwachsen der Bauernhaufen und der Formulierung ihrer Forderungen wurden sie zu einer wirksamen Kraft. Einige Fürsten versuchten zu verhandeln und machten Zugeständnisse, andere setzten auf Repressionen. Erste Bauernhaufen wurden niedergeworfen und vorerst gegen hohe Strafgelder entlassen.
Prägend für den weiteren Verlauf in Württemberg wurden die Ereignisse in Weinsberg nahe Heilbronn am Osterwochenende 1525. 60 Reiter unter Graf Ludwig von Helfenstein sollten den Aufstand eindämmen, ihnen gegenüber standen 6.000 Bauern.
Graf Ludwig war den Bauern als Verwalter von Württemberg verhasst. Er forderte die Bauern auf, sich zurückzuziehen oder er würde sie brennen lassen. Gegen acht Uhr stürmten die Bauern zuerst die Burg, nahmen wenig später auch die Stadt Weinsberg ein und plünderten Stadt und Kirche. Während die Bürger verschont wurden, verurteilten die Bauern 16 Adelige – darunter Graf Ludwig – zum Tode und ließen sie am nächsten Morgen durch die Spieße laufen – eine für Adelige nicht „standesgemäße“ Form der Hinrichtung.
Den Bauernhaufen gab der Sieg bei Weinsberg Auftrieb, die Herrschenden dagegen entschlossen sich zur blutigen Antwort. Luther nahm das Ereignis zum Anlass, sich auf die Seite der Reaktion zu schlagen. Mit seiner Schrift „Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern“ gab er die ideologische Stoßrichtung vor, welche die Bewertung des Bauernkriegs lange Zeit bestimmen sollte.
Bauernführer
Zu dieser Zeit wohnte Jörg Ratgeb wieder im 6.000 Einwohner zählenden Stuttgart. Mit Eintreffen der ersten Berichte aus Weinsberg flohen der Adel und ein Großteil der „Ehrbarkeit“ vor den „Gemeinen“ in Richtung Tübingen. Wenig später erreichte die Bauernarmee Stuttgart. Der zurückgebliebene Stuttgarter Rat bestimmte drei Männer, um mit den Bauern zu verhandeln. Einer von ihnen war Ratgeb, der sich auf die Seite der Bauern schlug. Er wurde von ihnen zum Kanzler und in den Kriegsrat gewählt.
Seine Zeit als Bauernführer war kurz. Georg Truchsess von Waldburg war mit einem Söldnerheer schon auf dem Weg in Richtung Stuttgart. Der Maler gehörte der Delegation an, welche die Aufständischen am 9. Mai zu den Regierungstruppen sandten. Doch die Zeit für Verhandlungen war vorbei – drei Tage später wurden die Bauern bei Böblingen vernichtend geschlagen. Allein Georgs Truppen metzelte während des Bauernkriegs 20.000 Bauern nieder.
Zunächst konnte Ratgeb fliehen, wurde aber bald darauf denunziert. Die Obrigkeit machte ihm den Prozess – die Akten belegen seine Solidarität mit den Bauern. Dafür wurde er zum Tode verurteilt und durch Vierteilung zu Tode gefoltert.
„Ehrbare“ und „Gemeine“
Bis heute zweifeln bürgerliche Kunsthistoriker einen Zusammenhang zwischen Ratgebs Kunst und seinem Engagement im Bauernkrieg an. Wie schon ein Großteil der „Ehrbarkeit“ gegenüber dem „Armen Konrad“ lieber mit dem reaktionären Adel paktierte, setzen sie die damals entstandene deutsche Tradition fort. Wenn sich die „Gemeinen“ erheben, dann kann das nichts Gutes sein. Mit den „mörderischen und räuberischen Rotten“ möchte man lieber nichts zu tun haben. Die „Ehrbarkeit“ prägt seitdem die Geschichte von den obrigkeitshörigen Deutschen.
Doch es gab auch andere wie den Maler Jörg Ratgeb, der sich auf die Seite der Unterdrückten schlug und für soziale und demokratische Rechte eintrat. Wie viele seiner Mitstreiter hat er dafür mit seinem Leben bezahlt. Sie begründeten vor fast 500 Jahren die stolze revolutionäre Tradition Deutschlands. Sie waren damit ihrer Zeit voraus – aber auch „ein ganzes Stück zu früh“.
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Sigrun Müller, Christian Weiß:
Der Maler Jerg Ratgeb und der Bauernkrieg
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