„Es ist wie im Kalten Krieg!“

Markus Bernhardt im Gespräch mit Lühr Henken, Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschla

Abschreckungslogik

überwinden

Atomwaffen-Aufrüstung stoppen

Wir dokumentieren an dieser Stelle einen Auszug aus der Pressemitteilung der „Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges“ (IPPNW) über die Protestwoche in Büchel von IPPNW und der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN).

„Die ärztliche Friedensorganisation IPPNW fordert die Bundesregierung im Vorfeld des NATO-Gipfels auf, sich gegen die sogenannte ‚Modernisierung‘ der in Büchel gelagerten US-Atombomben zu wenden. (…)

Auch die russische Seite rüstet massiv nuklear auf. Beide Seiten werfen sich gegenseitig Verletzungen des INF-Vertrages zur Begrenzung von Mittelstreckenraketen vor, wodurch das Weiterbestehen des Vertrags akut in Gefahr ist. Sollte der Vertrag aufgekündigt werden, ist eine Stationierungswelle neuer Atomwaffen in Europa zu befürchten. Der neue Start-Vertrag von 2010, der das strategische Wettrüsten zwischen den Supermächten begrenzt, läuft in zwei Jahren aus. Damit besteht die Gefahr, dass es in wenigen Jahren für die beiden atomaren Supermächte keinerlei rechtlich verbindliche Grenzen durch Rüstungskontrolle mehr gibt. (…)

Bei der Abschlussveranstaltung der IPPNW/ICAN-Woche in Büchel erklärte Dr. Angelika Claußen, Präsidentin der IPPNW Europa: ‚Im Vorfeld des NATO-Gipfels appellieren wir an die Bundesregierung, die Abschreckungslogik mit der Drohung eines jederzeit möglichen Einsatzes von Atomwaffen endlich zu überwinden.‘“

UZ: Vom 19. bis 22. Juli planen DKP und SDAJ als Teil der Friedensbewegung Proteste am Fliegerhorst Büchel in der Eifel. Dort lagern Atomwaffen der USA. Welche Rolle spielt Büchel für die NATO und die US-Streitkräfte?

Lühr Henken

Lühr Henken

Lühr Henken: Büchel ist einer von sechs nuklearen Stützpunkten der USA in Europa, Lagerstätte für 20 nukleare Fallbomben, Relikte des Kalten Krieges. Sie manifestieren die „nukleare Teilhabe“ der NATO. 46 Bundeswehr-Tornados stehen hier für ihren völkerrechtswidrigen Einsatz im Kriegsfall bereit. Mit ihnen werden Atombombenabwürfe geübt. Was es noch gefährlicher macht, ist, dass die USA 2020 ihre 2010 gestartete Entwicklung eines Einheitssprengkopfs für nukleare Fallbomben abgeschlossen haben werden. Ein neues Design macht sie präzise lenkbar und ermöglicht mehrere Meter tiefes Eindringen in das Erdreich gegen gebunkerte Ziele. Damit steigen ihre Einsatzmöglichkeiten. Die Schwelle zum Atomkrieg sinkt. Diese Bomben B61-12 kommen ab 2021 auch nach Büchel.

UZ: Regelmäßig gab es in den letzten Jahren Kampagnen, die von der Bundesregierung forderten, für den Abzug der Waffen zu sorgen. Warum verweigert die Bundesregierung dies?

Lühr Henken: Die „nukleare Teilhabe“ sichert der Bundesregierung ein Mitspracherecht in der Nuklearen Planungsgruppe der NATO. Dieses Privileg ermöglicht Mitsprache bei der Planung des Einsatzes und des Einsatzes von Nuklearwaffen selbst. Friedensbewegung, Grüne und Linke im Bundestag fordern die Regierung seit langem auf, die „nukleare Teilhabe“ aufzugeben. Die Große Koalition versteckt sich hinter NATO-Beschlüssen, die nicht auf Atomwaffen verzichten wollen, solange andere Staaten sie haben, und macht den Abzug von „erfolgreichen Abrüstungsverhandlungen“ abhängig.

UZ: Wo setzt sich die Regierung für atomare Abrüstung ein?

Lühr Henken: Für mich ist das nicht sichtbar. Zudem diskreditiert sie auch noch den von zwei Dritteln der UN-Mitglieder unterzeichneten Atomwaffenverbotsvertrag, anstatt ihm selbst beizutreten. Von der Airbase Ramstein aus steuern die USA ihre Drohneneinsätze.

UZ: Leistet die deutsche Politik damit nicht faktisch Beihilfe zum Mord?

Lühr Henken: Ja. Und zwar in all den ungezählten Fällen, in denen bei der US-Menschenjagd mit Kampfdrohnen unbeteiligte Menschen getötet werden. Das ist völkerrechtswidrig. Eine Studie der Menschenrechtsorganisation „Reprieve“ hat analysiert, dass für jede ermordete Zielperson durchschnittlich 28 Unbeteiligte, darunter viele Kinder, getötet worden sind. Der US-Stützpunkt Ramstein fällt in das Ressort des Generalbundesanwalts. Er muss ermitteln – tut es aber nicht. Die Satelliten-Relaisstation muss geschlossen werden.

UZ: Mitte Februar 2018 hat die NATO den sofortigen Aufbau neuer militärischer Infrastrukturen beschlossen. Unverkennbar mit der Absicht, einen Aufmarsch gegen Russland jederzeit zügig in Gang setzen zu können. Wie bewerten Sie das aktuelle Gebaren des zunehmend aggressiv agierenden „Verteidigungsbündnisses“?

Lühr Henken: Es ist wie im Kalten Krieg! Truppentransporte aus den USA nach Europa, Aufrüstung, Kriegsmanöver entlang der NATO-Ostgrenze, nur noch schlimmer: Die NATO ist an Moskau näher herangerückt und das NATO-Gebaren erhöht die Gefahr des Krieges „aus Versehen“. Russland muss sich – ebenso wie damals die Sowjetunion – bedroht fühlen. Denn Russland verfügt ja nur über ein Zwanzigstel der Wirtschaftsleistung der NATO-Länder, gibt nur ein Dreizehntel dessen für Rüstung aus. Die NATO hat 3,4 Millionen Soldaten unter Waffen, Russland nur 800 000. Die NATO ist Russland im konventionellen Bereich stark überlegen. Russland ist in der Defensive. Die Begründung der NATO für ihre massive Aufrüstung, Russland von einem Angriff auf NATO-Gebiet „abschrecken“ zu wollen, ist grotesk. Nicht die Konfrontation mit Russland führt zur Konfliktlösung – nur der Dialog kann eine Entspannung einleiten und zur Abrüstung führen.

UZ: Die Bundesregierung hat jedoch mitbeschlossen, die Militärausgaben der NATO-Länder bis 2024 möglichst auf 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu erhöhen.

Lühr Henken: Sie war 2014 im Lichte der Ukraine-Krise im NATO-Rat sogar die treibende Kraft für mehr Rüstungsausgaben. Die Aufrüstung richtet sich gegen Russland, ermöglicht aber auch mehr Bundeswehreinsätze im Ausland. Ihre Soldatenzahl soll von jetzt 180000 dann auf 200000 steigen. Heimlich, ohne Parlamentsdebatte, hat die Bundesregierung sich gegenüber der NATO verpflichtet, ab 2027 eine und ab 2032 drei voll ausgerüstete Divisionen – rund 20000 bzw. 60000 Soldaten – aufzustellen. Dafür fehlt bisher das Kriegsgerät. Das steckt hinter der Aufrüstungsplanung. Regierungsnahe Studien gehen davon aus, dass 2024 zwei Prozent des BIP für den Bundeshaushalt 85 Milliarden Euro bedeuten. Das sind 50 Milliarden Euro mehr als 2014 (34,75 Milliarden Euro), also fast das 2,5-fache der Ausgaben von 2014. Deutschland würde dann 30 Mrd. Euro mehr ausgeben als Frankreich und Großbritannien und zur zweitgrößten Militärmacht der NATO und zur größten in der EU. Ursula von der Leyen hat für ihr Ministerium über den bisherigen Regierungsansatz hinaus 15 Milliarden Euro für 2021 und 10 Mrd. für 2022 gefordert. CDU und CSU setzen alles daran, das 2-Prozent-Ziel so früh wie möglich zu erreichen. Im nächsten Jahr steigt der Bundeswehrhaushalt auf 42,9 Milliarden Euro. Das ist ein Zuwachs um 11 Prozent gegenüber 2018 – der höchste Prozentsatz seit Anfang der 1960er Jahre.

UZ: Wäre das Geld nicht besser im Bereich der Entwicklungshilfe zu investieren, auch, um Fluchtursachen zu bekämpfen? Wo wäre das Geld sonst noch besser investiert?

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Lühr Henken: Ja. Laut Koalitionsvertrag soll der Entwicklungsetat sogar in gleicher Weise steigen wie die Militärausgaben. Davon ist die Regierung schon jetzt abgerückt, weil das angesichts der schon beschlossenen massiven Erhöhung nicht finanzierbar ist. Die Aufrüstung ist unbegründet und rausgeschmissenes Geld. Notwendig wären dagegen Gelder für eine bedarfsgerechte Pflege. Die kostet etwa 5 Milliarden Euro im Jahr. Oder für einen Öffentlichen Personennahverkehr in der gesamten Republik zum Nulltarif. Eine sozial-ökologische Verkehrswende kostet etwa 15 Milliarden Euro im Jahr. Wir haben darüber hinaus große Bedarfe bei der Rente, den Schulbauten, der Bildung, im Umweltschutz und vielem mehr.

UZ: Mehrere Zehntausend Menschen haben mittlerweile den Aufruf „Abrüsten statt Aufrüsten“ unterzeichnet. Warum verweigert sich die Mehrheit der etablierten Politik diesem Ansinnen?

Lühr Henken: Die eingegangenen Unterschriften liegen aktuell bei 70000. Damit lässt sich eine Mehrheit im Bundestag noch nicht beeindrucken.

UZ: Wie kann der politische Druck erhöht werden?

Lühr Henken: Ich glaube, die Schreckensszenarien müssen sich erst mal verbreiten. Der bevorstehende Horror ist bei den Leuten noch gar nicht angekommen. Das ist auch in der Friedensbewegung so. Ich erinnere mich an die Zeit nach dem sogenannten NATO-Doppelbeschluss Ende 1979. Auch damals bedurfte es vieler Diskussionen, um die Einsicht in die Bedrohung des Friedens bei den Menschen zu wecken und, das ist ganz wichtig – die Erkenntnis, dass sie es selbst durch Handeln in der Hand haben, sich dagegen zu stemmen. Selbst aktiv werden – nicht auf andere warten, sondern in den bestehenden Friedensinitiativen, Gewerkschaftsgruppen, Kirchenkreisen, unter Freundinnen und Freunden, Nachbarn, Kolleginnen und Kollegen mit der Unterschriftenliste „Abrüsten statt Aufrüsten“ in der Hand das Gespräch suchen. Ich bin mir sicher, die Kampagne wird Schwung aufnehmen. Uns bleibt gar nichts anderes übrig.

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"„Es ist wie im Kalten Krieg!“", UZ vom 13. Juli 2018



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