„Es gab hier eine andere Zeit“

Roman Stelzig im Gespräch mit Peter Wachata

Diplom-Volkswirt Peter Wachata ist Mitglied der jw-Leser-Initiative Chemnitz

Diplom-Volkswirt Peter Wachata ist Mitglied der jw-Leser-Initiative Chemnitz

( Privat)

Am 5. Mai feierten in Chemnitz circa 30 Marxisten aus dem Kreis der Partei „Die Linke“, der Deutschen Kommunistischen Partei, der Freien Deutschen Jugend und des Rotfuchs-Fördervereins den 200. Geburtstag von Karl Marx. In seiner Rede erinnerte Professor Dr. Ekkehard Lieberam, Vorsitzender des Marxistischen Forums Sachsen, daran „dass Karl Marx uns eine ganz andere, wirklich taugliche politische Erkenntnis hinterlassen hat: Machtpolitische Grundlage linker Politik sind die Interessen der Lohnarbeiter; machtpolitische Voraussetzung erfolgreicher linker Politik ist nicht die Standhaftigkeit linker Politiker, sondern das aktive Eingreifen der Lohnarbeiterklasse in die politischen Prozesse.“ UZ

 

UZ: Das Karl-Marx-Denkmal bedeutet für Sie?

Peter Wachata: Erst einmal ist es für mich die Inkarnation des menschlichen Wissens in der Gesellschaftswissenschaft, die sich in diesem Kopf widerspiegelt.

Zweitens sehe ich es als einen Pfahl, der dieser heutigen Gesellschaft immer wieder ins Auge gestoßen wird, um die Mächtigen daran zu erinnern: Es gab hier eine andere Zeit und es leben Menschen, die immer noch versuchen sie unter neuen Bedingungen umzusetzen. Diese holen sich Rat und Unterstützung bei Karl Marx.

UZ: Heute wird auch von der Stadt Chemnitz des 200. Geburtstages von Karl Marx gedacht. Wie ist Ihr Eindruck davon?

Peter Wachata: Ich bin enttäuscht, dass sich so wenige Chemnitzer hier eingefunden haben. Denn immerhin, diejenigen, die etwas älter sind, haben mit dem Namen täglich gelebt. Aber es fehlen mir vor allem die jungen Menschen, die irgendwann einmal zu Ende führen sollten, was wir angefangen und eben verbockt haben.

UZ: Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Peter Wachata: Das ist schwierig. Zum Teil an der unqualifizierten Vorbereitung. Ich halte nichts von diesem Auflauf, den man in Trier macht. Aber was tut die Stadt Chemnitz für Karl Marx, von dem sie das größte Denkmal besitzt? Sie tut nichts, weil sie mit ihm nichts zu tun haben will.

Man hat die Vorbereitung elegant der Chemnitzer Wirtschafts- und Entwicklungsgesellschaft übertragen und technisch wurde das vorbildlich gemacht. Aber der Inhalt? Den überträgt man der RLS und einer Gewerkschaft, die selbst für DGB-Verhältnisse eher als rechts einzusortieren ist.

UZ: Sie gehören zur Leser-Initiative der „jungen Welt“ in Chemnitz?

Peter Wachata: Uns gibt es seit fünf Jahren. Wir haben angefangen mit zwei bis drei Leuten, mittlerweile sind wir ein harter Kern von sieben bis acht Personen. Dazu kommt ein Kreis von Mitarbeitern, die sich sporadisch zu Verteilaktionen einfinden, aber nicht regelmäßig dabei sind.

Unser Ziel ist, das marxistische Gedankengut im weitesten Sinne zu verbreiten und uns selber mit aktuellen Problemen auseinanderzusetzen. Wir haben uns z. B. sehr kontrovers über die Rolle Russlands verständigt oder das Thema Antisemitismus und Israel diskutiert. Außerdem möchten wir, so weit es geht, auf Menschen einwirken. Dabei sind wir noch ganz am Anfang, und wenn ich ehrlich bin, war es heute unser erstes Mal, dass wir uns öffentlich darstellen.

UZ: Sie haben gestern eine erfolgreiche Veranstaltung mit Gina und Frauke Pietsch durchgeführt. Heute gibt es noch eine Diskussion.

Peter Wachata: Für uns ist es ein Anlass. Wir feiern nicht Marx um ihn totzufeiern. Wir nutzen diese Gelegenheit um uns zu verständigen und das marxistische Denken weiterzutragen. Und dass sich der 200. Geburtstag anbietet für jemanden, der mit Marx geistig verwoben ist, liegt auf der Hand. Wir sind dabei mit unseren Kräften durchaus bis an unsere Grenzen gegangen.

UZ: Und welche Reaktionen werden Ihnen entgegengebracht?

Peter Wachata: Die Reaktionen auf die Pietsch-Veranstaltung am Freitagabend waren durchweg positiv. Natürlich von Leuten, die uns nahestehen. Aber ich muss sagen, soweit ich das am Rande mitbekommen habe, waren auch junge Besucher anwesend, die Marx wahrscheinlich noch nicht so gut kennen und trotzdem sehr begeistert waren.

Auf den heutigen Info-Stand ist die Resonanz – das muss man auch so deutlich sagen – auf diejenigen beschränkt, die sowieso mit der „jungen Welt“ verbunden sind, die sie lesen, kaufen oder abonniert haben. Oft hört man: „Was, euch gibt es noch? Die Zeitung haben wir doch früher schon gelesen.“ Das ist für uns nicht unwichtig, weil man daran anknüpfen kann.

Aber ich hatte mir erhofft, dass wir hier auch Schichten der Chemnitzer Bevölkerung erreichen, die uns sonst nicht begegnen. Das war eine Fehleinschätzung.

UZ: Hat Marx Zukunft?

Peter Wachata: Wer sonst?

UZ: Danach sieht es aber im Augenblick nicht aus.

Peter Wachata: Das hat viele Ursachen. Die Arbeiterbewegung hat sich nicht nur spalten, sondern in ihrer Organisiertheit zertrümmern lassen. Dass die Arbeiterklasse an sich existiert, muss man gegenüber der UZ nicht diskutieren. Aber die Arbeiterklasse versteht es nicht, sich als subjektiver Faktor als Klasse zu bewegen.

Außerdem ist unser Gegner nicht dumm, und man sieht auch heute, wie er Marx regelrecht totfeiert. Von Marx wird irgendetwas herausgenommen, z. B. – hier auf der Bühne in Chemnitz – seine ökonomischen Erkenntnisse, und wohlwollend diskutiert. Aber der Marx als Gesamtheit – dass Marx der Begründer des historischen Materialismus ist, der die ganze Weltanschauungsproblematik als Konsequenz seiner ökonomischen Studien in den Mittelpunkt gerückt hat – das geht unter, egal, welche Zeitung man aufschlägt.

UZ: Gebaut wurde der Karl-Marx-Kopf in der DDR, als ein großer Teil dessen, was Marx beabsichtigt hatte, verwirklicht war.

Peter Wachata: Karl-Marx-Stadt war das Herzstück der Industrie der DDR. Man hat nicht ohne Grund das „sächsische Manchester“ ausgewählt für den Namen und damit auch für das Denkmal. Karl-Marx-Stadt galt was in der Welt.

Leider haben sich die Karl-Marx-Städter 1990 am Ausverkauf ihrer Industrie beteiligt, wobei sie letzten Endes nicht danach gefragt worden sind.

Bei Älteren gibt es noch eine Erinnerung, was Karl-Marx-Stadt einmal bedeutet hat. Bei Jüngeren nicht. Aber das ist auch schon 25 Jahre her, und die Leute, die heute lernen und studieren, waren damals noch nicht einmal geboren.

UZ: Die UZ ist traditionell und historisch eine westdeutsche Zeitung. Was würden Sie sagen: Gibt es etwas Besonderes, was man berücksichtigen sollte, wenn man im Osten politische Arbeit leistet?

Peter Wachata: Das ist schwierig. Vorhin habe ich mich mit einem KPD-Freund aus Thüringen über diese Frage unterhalten. Er sagt: „Der Ostler macht gern was gemeinsam, der Westler macht gern was für sich.“ Das ist sein Zitat, und ich kann das aus meiner Erfahrung unterstützen.

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"„Es gab hier eine andere Zeit“", UZ vom 18. Mai 2018



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