Vor 20 Jahren wurde ver.di gegründet

„Es gab auch Unmut“

2001 schlossen sich die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG), die Deutsche Postgewerkschaft (DPG), die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) und die Industriegewerkschaft Medien – Druck und Papier, Publizistik und Kunst (IG Medien) zur Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) zusammen.

Wir haben Renate Koppe, Personalrätin an der Universität Bonn, nach den Veränderungen beim Übergang von der ÖTV zu ver. di gefragt. Sie ist Mitglied im Fachbereich 05 (Bildung, Wissenschaft und Forschung) und im ver.di-Bezirksfachbereichsvorstand NRW-Süd.

UZ: Du hast den Übergang von der ÖTV zu ver.di vor 20 Jahren miterlebt. Was hat sich dadurch verändert? Wie hat es sich ausgewirkt, dass sich deine ÖTV mit vier weiteren Gewerkschaften zu ver.di zusammengeschlossen hat – einer Organisation mit 13 Fachbereichen?

Renate Koppe: Es gibt zwei Ebenen dieses Übergangs. Erstens war die Diskussion um die Gründung von ver.di wenig basisbezogen. Es gab auch Unmut bei uns, weil die Befürchtung war, dass es in einer so großen Organisation mit 13 Fachbereichen schwierig werden würde, klare Positionen zu entwickeln. Die zweite Ebene war, dass eine solche Gewerkschaft, die so viele und große Bereiche umfasst, nicht in der Lage sein würde, sich auf einzelne Branchen zu beziehen. Das hat sich meines Erachtens so nicht bewahrheitet.

UZ: Wie hat sich der Übergang auf die Arbeit deiner Betriebsgruppe ausgewirkt?

Renate Koppe: Vor Ort hat sich vor allem ausgewirkt, dass wir mit der Betriebsgruppe der DAG, die es bei uns auch gab, zusammengegangen sind. Wir sind also auch gemeinsam zu Personalratswahlen angetreten. Wir haben eine Leitung aus ehemaligen Mitgliedern der ÖTV und der DAG gewählt.

Mit den aktiven Mitgliedern der DAG hatten wir viel gemeinsam. Der Zusammenschluss hat zu einer Stärkung der gewerkschaftlichen Arbeit vor Ort geführt.

UZ: Du hast gesagt, dass es schwieriger geworden ist, politische Positionen für die gesamte Organisation zu entwickeln. Wie sieht die Arbeit in deiner ver.di-Betriebsgruppe heute aus? Welche Möglichkeiten habt ihr, den Kurs von ver.di mitzubestimmen und Positionen zu entwickeln?

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Nicht an alles erinnert man sich gerne:
Der ver. di-Vorsitzende Frank Bsirske präsentiert seine neue Gewerkschaft als „Start-up“. (Foto: Jürgen Seidel / ver.di)

Renate Koppe: Wir sind bei allen Diskussionen, zum Beispiel wenn es um Tarifforderungen geht, aktiv. Aber wir stellen fest, dass unsere Forderungen nur sehr begrenzt oben ankommen. Obwohl wir mitkriegen, dass solche Forderungen auch andernorts aufgestellt und geteilt werden, so zum Beispiel bei den Festbeträgen zur Stärkung der unteren Lohngruppen.

Als Betriebsgruppe arbeiten wir selbstständig, wir treffen uns regelmäßig einmal im Monat und es redet uns keiner rein, was für Flugblätter wir rausgeben oder ähnliches. Aber Forderungen nach oben hin durchzusetzen – gerade auch in Tarifauseinandersetzungen – das ist sehr schwierig, gerade wenn es um weitergehende Forderungen geht. Das scheint mir allerdings in allen großen Gewerkschaften schwierig zu sein, nicht nur bei ver.di.

UZ: ver.di legt sehr viel Wert darauf, dass die Mitglieder das Sagen haben und nicht die Hauptamtlichen. Wie ist hier das Verhältnis?

Renate Koppe: Nun, spätestens mit der Zusammenlegung der Bezirke 2018 sind Lücken gerissen worden, die wir als Mitglieder füllen müssen. Gleichzeitig wird gesagt, man müsse die ehrenamtliche Arbeit stärken. Das passiert aber gerade nicht. Riesige Bezirke bedeuten einen riesigen Aufwand für diejenigen, die auf dieser Ebene Funk­tionen übernehmen. Dadurch sinkt auch die Bereitschaft, diese Aufgaben zu übernehmen. Gewerkschaftssekretärinnen und -sekretäre, die diese großen Gebiete betreuen müssen, sind überlastet.

Vor allem, wenn die betriebsnahe Betreuung leidet, kaschiert der Hinweis auf die starke Stellung der Ehrenamtlichen diese negative Entwicklung. Gerade auf der Bezirksebene müsste meines Erachtens die Hauptamtlichkeit verstärkt werden, um eine betriebsnahe Betreuung zu ermöglichen.

Auf der anderen Seite ist es immer schon so gewesen, dass wir Mitglieder auf den Ebenen bis zur Bezirksebene das Sagen hatten. Hier haben wir uns zum Beispiel nach langen Diskussionen mit der Forderung durchgesetzt, dass Kolleginnen und Kollegen der ver.di-Jugend, die bei den G20-Protesten verhaftet worden sind, unterstützt werden. Diese Position auf einer höheren Ebene durchzusetzen hat sich allerdings als unmöglich herausgestellt.

UZ: ver.di ist eine Gewerkschaft, die die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes und viele weitere Kolleginnen und Kollegen vertritt, die früher zum Öffentlichen Dienst gehörten. Auch aus diesem Grund positio­niert sich deine Gewerkschaft zu Fragen der Haushalts- und Steuerpolitik, zu Privatisierungen, Verkehrspolitik, und so weiter. Ist ver.di die politischste unter den DGB-Gewerkschaften?

Renate Koppe: Das kann ich so nicht sagen, aber ver.di hat sehr deutliche Aussagen gemacht zur Notwendigkeit der Umverteilung von oben nach unten, damit zusammenhängend zur Steuerpolitik, zur Vermögensteuer. ver.di hat gegen Privatisierungen Stellung bezogen und vieles mehr. Solche Positionen werden von der Basis auch unterstützt, was uns verpflichtet, darum zu kämpfen, dass diese guten Positionen nicht aufgegeben, sondern verstärkt und möglichst noch deutlicher formuliert werden.

ver.di will feiern

Ein kurzer Rückblick in Bildern

„Der Situation angemessen“ will die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ihren 20. Geburtstag feiern. Am 19. März wird es von 18 bis 19:30 Uhr einen Live-Stream auf der ver.di-Website geben. Dieser soll einen Rückblick bieten, aber auch die Möglichkeit, „über die Zukunft der Gewerkschaft (zu) diskutieren“, wie es in der Ankündigung von ver.di heißt.

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Warnstreik im April 2015: Über 10.000 Beschäftigte aus NRW demonstrieren in Dortmund für die Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe. (Foto: Die Linke NRW / flickr.com / CC BY-SA 2.0)

In 20 Jahren ist einiges passiert. Gleich im ersten Jahr, Anfang 2002, wurde die „Kommission für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ (auch als Hartz-Kommission bekannt) eingesetzt. ver.di war darin durch sein Bundesvorstandsmitglied Isolde Kunkel-Weber vertreten. Die rot-grüne Koalition unter Kanzler Gerhard Schröder legte Wert auf die Einbeziehung der Gewerkschaftsspitzen zur Durchsetzung ihrer neoliberalen Politik.

2006 wurde zum Jahr der Streiks. SPD-Mann Schröder hatte zu diesem Zeitpunkt seine Schuldigkeit bereits getan, die Offensive gegen die Beschäftigten ging weiter. Die Landesregierungen wollen im Öffentlichen Dienst längere Arbeitszeiten durchsetzen, 16 Wochen lang streiken die Beschäftigten.
2014 startete ver.di eine Aufwertungskampagne für die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst. 2015 kämpften die Kolleginnen und Kollegen um eine höhere Eingruppierung, wollten eine Aufwertung ihrer Berufe bei den Tarifverhandlungen durchsetzen. Nach Warnstreiks im März und April stimmten die Gewerkschaftsmitglieder Anfang Mai mehrheitlich für unbefristete Streiks im Sozial- und Erziehungsdienst.

2016 brachte ver.di auf einer Aktionskonferenz die Forderung nach einem „Tarifvertrag Entlastung“ auf den Weg, dessen Kern ist: Mehr Personal und Gesundheitsschutz in Krankenhäusern. Im Jahr zuvor hatten 10 Tage Streik an der Charité bewirkt, dass der erste Tarifvertrag für mehr Personal im Krankenhaus abgeschlossen werden konnte. Die Losung „Mehr von uns ist besser für uns alle“ wurde zum Schlachtruf. Erstmals war es gelungen, der kontinuierlichen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für das Pflegepersonal etwas entgegenzusetzen.

Lars Mörking

Einen „Interaktiven Rückblick“ auf 20 Jahre ver.di gibt es unter: www.verdi.de/20-jahre

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"„Es gab auch Unmut“", UZ vom 12. März 2021



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