„Es blieb eine pseudo- basisdemokratische Veranstaltung“

Das Gespräch führte Markus Bernhardt

UZ: Die Initiative „Berliner Mietenvolksentscheid“ hatte über 50 000 Unterschriften gesammelt, um den Senat mittels Volksbegehren zu einer sozialeren Mieten- und Wohnungspolitik zu zwingen. Nun haben sich beide Seiten überraschend geeinigt; das Volksbegehren ist vom Tisch. Warum?

Klaus Linder ist Mitglied des Sekretariats des Landesvorstandes der DKP Berlin

Klaus Linder ist Mitglied des Sekretariats des Landesvorstandes der DKP Berlin

Klaus Lindner: Den betroffenen Unterstützern, die sich, von Hoffnungen und Verzweiflung angetrieben, vom Volksentscheid (VE) so viel versprachen: Respekt!

Ein anderes Ende war jedoch nicht zu erwarten. Es blieb eine pseudo-basisdemokratische Veranstaltung. Der VE wurde schon durch SPD, Linkspartei und Bündnis 90/Die Grünen „betreut“, als noch nichts an Initiativen und Öffentlichkeit durchsickerte. An der Abfassung war der Grüne Jan Kuhnert beteiligt. Er leitet ein Unternehmen, das kommunale Objekte in PPP-Projekte – also „Öffentlich-Private Partnerschaften“ – überführt. Aus solchem Ton ist der VE geknetet. In juristischer Sprache, durchsetzt mit unverbindlichen Floskeln, umfasst er 59 Seiten. Kein Mensch konnte das kurzfristig entziffern.

Die 50 000 Unterschriften zeigen zweierlei. Erstens: Für breite Massen symbolisierte der VE die Erwartung, dem Senat eine Lektion zu erteilen. Zweitens: GRÜNE und Linkspartei mobilisierten ihre Basis zur Unterschrift, weil sie ihn als Manövriermasse gegenüber der SPD brauchten.

Die DKP Berlin veröffentlichte hingegen eine Begründung, warum sie diesen VE nicht unterstützt. Seit längerem fanden Verhandlungen zwischen Senat und Initiative VE statt, die darauf hinausliefen, ein gemeinsames Gesetz für die kommende Legislatur vorzulegen.

UZ: Ist diese Hinterzimmerpolitik, die seitens der Initiative betrieben wurde, nicht als Verrat an den eigenen Unterstützern zu werten? Welche Gruppen tragen konkret die politische Verantwortung für dieses Vorgehen?

Klaus Lindner: Das Votum der Basis steht noch aus – ebenso wie die Neufassung des Gesetzes. Wir sollten aber nicht idealistisch einen „wahren Volksentscheid“ gegen seine „Verräter“ propagieren. Wo Verrat stattfand, lag er in den langwierigen Selektionsprozessen, die zur Formulierung des Gesetzesentwurfs führten, der die Interessen von Mietern und Lohnabhängigen an der Nase herumführte.

Es gab neben Gruppierungen und Parteien einen Hofstaat selbsternannter „Experten“, von denen niemand wusste, woher sie kamen und kraft welchen Mandats sie sprechen. Das war möglich aufgrund unserer Schwäche, den Interessen der Arbeiterklasse in der Mieterbewegung zum Durchbruch zu verhelfen. Dass Mieten-Bündnisse häufig janusköpfig sind, liegt in ihrer Natur. Mittelschichten, auch „prekäre“, sind von Wohnungsnot und Mietexplosion mitbetroffen. Es ist sinnlos überrascht zu tun, wenn diese ihre Illusionen verbreiten, wobei sie auf geschulte konzeptive Ideologen zurückgreifen können.

Am 18. August, als der „Kompromiss“ ausgehandelt wurde, hatten wir eine öffentliche Diskussion. Auf dem Podium saßen ein Vertreter der Berliner Mietergemeinschaft, der Buchautor Thomas Wagner („Die Mitmachfalle“) und ich. Wir rekapitulierten, was diesen VE so problematisch macht.

Dann kamen zwei Kollegen aus der Unterstützer-Basis – direkt aus den Verhandlungen mit der SPD. Ihre Empörung war groß, auch das Verlangen „Köpfe rollen“ zu sehen. Nach unserer Einschätzung wird es für die Standhaften in der Basis kaum möglich sein, einen harten Kern des Gesetzentwurfs gegen den Kompromiss zu retten. Der harte Kern existiert nicht, da haben Herr Kuhnert & Konsorten ganze Arbeit geleistet.

UZ: Worin besteht Eure Kritik an dem Gesetzesentwurf konkret?

Klaus Lindner: Er schreibt das Gegenteil von dem fest, als was er verkündet wird. Er senkt nicht die Mieten in der Stadt, sondern subventioniert überhöhte Mieten, insbesondere die spekulativen „Kostenmieten“ des „sozialen Wohnungsbaus“. Wir fordern kommunalen Wohnungsbau, finanziert aus Haushaltsmitteln. Die Kommune muss selber bauen, um Mietpreistreiberei auch über Bauprofite anzugehen, und zwar in Größenordnungen, ohne die es keine mietpreisdämpfende Gesamtwirkung gibt. Das wäre durchaus ein Monopol der Kommune gegen Private.

Der VE sieht das nicht vor. Er empfiehlt, den Eigentümern abgewirtschaftete Sozialwohnungen abzukaufen, womit sie noch einmal kassieren. Um sie von Mieterhöhungen „abzuhalten“, soll ihnen die Rückzahlung von Darlehen an das Land erlassen werden. Ein Schuldenschnitt für zahlungsunfähige Mieter ist hingegen nicht vorgesehen.

Wir fordern Privatisierungsstopp. Der VE hält die Tür für die Veräußerung von Liegenschaften offen und finanziert Privaten Modernisierungskosten, die weiterhin auf die Mieten umgelegt werden. Wir sagen: Eine politische Miete muss her, die gesenkt und dauerhaft eingefroren wird. Das greift in Renditeansprüche ein.

Der VE kennt solche Eingriffe nicht: Er garantiert die Profitmacherei durch Mietzins. Die Wohnungsbaugesellschaften werden zu Spekulationsgeschäften mit den erzielten Gewinnen verpflichtet. Die vorgeschriebenen Tochter- und Beteiligungsgesellschaften, die Verpflichtung zu diversen Geschäften innerhalb und außerhalb Berlins heben die „Gemeinnützigkeit“ vollends auf. Das Ergebnis sind stinknormale kapitalistische Unternehmen.

Ein Förderfonds lässt Investoren doppelt kassieren: Über Bauförderung und gestützte Mieten. Kommunale Vermieter werden verpflichtet, zusammen mit den Jobcentern Arbeitszwangsmaßnahmen gegen „geförderte“ Mieter durchzusetzen. Wir sagen: Objektfinanzierung statt Subjekt“förderung“, die nur verschärfte Abhängigkeit bedeutet! Wir fordern Ausschluss von Obdachlosigkeit.

Der VE verpflichtet Wohnungsbaugesellschaften zur Mitwirkung bei Zwangsräumungen, außer, wenn das Land für die Kosten aufkommen müsste. Wir fordern: kommunale Wohnungen für Flüchtlinge!

Der VE schließt aus, dass Flüchtlinge Wohnberechtigungsscheine erhalten. Das Mitbestimmungsmodell ist skandalös: Über Mietfragen dürfen Mieter nicht mitentscheiden, Mehrheiten gegen den Senat sind ausgeschlossen. Die Beschäftigten der kommunalen Unternehmen sollen im Aufsichtsrat nur noch mit 12,5 Prozent vertreten sein.

UZ: Die Berliner „Interventionistische Linke“ (IL) begrüßte den Gesetzesentwurf im Gegensatz zu Euch…

Klaus Lindner: Stimmt, die IL posaunte dieses Knebelgesetz als „emanzipatorisch“ heraus. Wir nicht. Im nächsten Jahr sind Abgeordnetenhauswahlen in Berlin. In der Tat ist das Gesetz vielmehr ein Boden für mögliche rosa-rot-grüne Koalitionsverhandlungen.

Die DKP wird jetzt erst recht die Wohnungsfrage im Wahlkampf vertreten. Wir Berliner sehen uns im Einklang mit der Partei, wenn wir unsere Politik darauf ausrichten, in anti-monopolistischen Bündnissen einen kommunistischen Standpunkt zu vertreten. Der muss dann aber auch vertreten werden – unter den Bedingungen von Abwehrkämpfen gegenüber einer ungeheuren Klassenoffensive, die neben der Wohnungsfrage mitsamt Energiepreisen die gesamte Daseinsvorsorge umfasst, zu schweigen von der sich verschärfenden Ausbeutung.

Niemand ist überrascht, in solchen Bündnissen auch kleinbürgerliche Standpunkte vorzufinden. Niemanden überrascht, wenn die herrschenden Kreise Keime von Massenbewegungen entweder niederknüppeln oder für sich arbeiten lassen.

Im Falle des Mieten-VE konnte der Knüppel im Sack bleiben. Aber wir müssen nicht jedes Mal, wenn der Gegner punktet, unser Adressbuch zücken, um zu sehen, von wem wir uns jetzt alles distanzieren sollten. Viel wichtiger ist die klare Formulierung einer eigenen Linie, an der sich die Spreu vom Weizen scheidet.

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"„Es blieb eine pseudo- basisdemokratische Veranstaltung“", UZ vom 28. August 2015



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