Der April 1961 war kein guter Monat für US-Präsident John F. Kennedy. Am 12. April verloren die USA den Wettlauf ins All, am 19. April wurde die durch die USA geplante, finanzierte und ausgerüstete Invasion in der Schweinebucht vernichtend geschlagen. Man könnte fast sagen, da hat das Nachrichtengucken noch Spaß gemacht.
Auch bis dahin hatte es für die USA bei der Eroberung des Weltalls nicht gut ausgesehen, die Sowjets hatten stets die Nase vorn. Von Sputnik 1 (Biep, biep, biep) über Sputnik 2 (Laika, arm, aber unvergessen) und 3 (erste wissenschaftliche Messungen im All), Sputnik 5 (Belka und Strelka mit Ratten, Mäusen und Pflanzen) bis zu Sputnik 10 (Swjosdotschka und der letzte Test vor Gagarin) sahen die US-Amerikaner alt aus und hinkten oft nicht nur einen Schritt hinterher, sondern erweckten den Eindruck, sie seien noch gar nicht losgelaufen.
Diesem auf mehreren Ebenen ungleich anmutenden Wettlauf hat der Dokumentarfilmer Stephen Walker das Buch „Ins All“ gewidmet. Abwechselnd betrachtet er die Vorbereitungen, wissenschaftlich, technisch wie politisch auf beiden Seiten, erzählt vom Training in Cape Canaveral und im heute Baikonur genannten Leninsk. Er hat sich tief durch Archive gewühlt, Presseschauen und Tagebücher gelesen und mit Zeitzeugen gesprochen. Und er stellt die Ereignisse rund um den Weltraumflug in größere politische Zusammenhänge. Wie gut der April für uns war und wie doof für Kennedy, ist mir erst beim Lesen dieses Buches klargeworden.
Walker gibt interessante Einblicke in Vorbereitung und Auswahl der Kosmo- beziehungsweise Astronauten und gibt Einblicke, zum Beispiel in Leben und Arbeit des Raketenkonstrukteurs Sergei Pawlowitsch Koroljow, die man so konzentriert nur in wenigen Arbeiten über den ersten Schritt, den die Menschheit in den Kosmos wagte, findet. Dabei hat er allerdings zwei Probleme: Er wiederholt sich ständig und er ist nicht fair.
Die tatsächlich herzergreifende Geschichte über die Freundschaft zwischen den beiden Kosmonauten Juri Gagarin und German Titow (Nummer zwei bei der Mission „Wostok 1“ und im August 1961 mit „Wostok 2“ der zweite Mensch im orbitalen Raum) erzählt er zum Beispiel bei jeder Gelegenheit im Buch, und das sind nicht wenige. Genauso zitiert er die Ärztin Dr. Adilja Kotowskaja, die die Kosmonauten betreute, immer und immer wieder mit dem gleichen Satz über ihre letzte Untersuchung Gagarins vor dem Flug: „Ich habe ruhig meine Arbeit gemacht, ohne Aufhebens, aber mit Liebe.“ So kann man auch dafür sorgen dass ein Buch knapp 600 Seiten dick wird.
Die Wiederholungen machen das Buch zäher, aber nicht weniger lesenswert. Anstrengender ist da schon die fehlende Fairness. Stephen Walker kann sich der Faszination und der Bedeutung der Leistung der Sowjetunion, den ersten Menschen ins Weltall gebracht zu haben, nicht entziehen, scheut aber streckenweise davor zurück, sie auch anzuerkennen. So schreibt er zum Beispiel über Koroljow: „Er war der Magier, der all die Millionen Amerikaner verblüffte und verunsicherte, wie Alan Shepard und Lyndon B. Johnson, die einfach nicht fassen konnten, wie eine Nation, die so sehr von Krieg und Kommunismus gebeutelt war, jemals etwas hatte schaffen können, was die reichen, mächtigen und demokratischen Vereinigten Staaten nicht zuwege brachten.“
Walker wirft der Sowjetunion ihre Geheimhaltungen rund um die Weltraumprojekte und auch die des Flugs von Gagarin bis nach seinem geglückten Start vor, das Verhalten der US-Amerikaner, die mit ihren Fehlschlägen öffentlich im Regen standen, findet er irgendwie „demokratischer“. Dass er nebenher von der Spionage der CIA erzählt, die sich auch und gezielt auf das Weltraumprogramm der Sowjetunion richtete, kommt ihm offensichtlich nicht wie ein Widerspruch vor.
Ansonsten versucht Walker den Eindruck zu schüren, die Sowjetunion sei ruchloser mit Menschenleben umgegangen, hätte alles riskiert, nur um einen Erfolg vorzuweisen. Dass das Vordringen in unbekannte Welten kein risikofreies Geschäft ist, ist und war allen Beteiligten klar. Eine bewusste Fahrlässigkeit nicht nur den eigenen Kosmonauten gegenüber, sondern irgendwie gleich der gesamten Menschheit zu konstruieren scheint seltsam, ist aber bei Walker der Fall. So nutzt er zum Beispiel den tragischen Unfall von Walentin Bondarenko, um der Sowjetunion die Schuld an einer Katastrophe der US-Raumfahrt zuzuschieben. Bondarenko hatte durch eine Unaufmerksamkeit ein Feuer in der Isolationskammer entstehen lassen, in der er sich im Rahmen des Kosmonautentrainigs befand. Der Sauerstoffanteil in der Kabine lag mit 40 Prozent fast doppelt so hoch wie in normaler Atmosphäre, das Feuer ließ sich nicht löschen, die Kammer aufgrund der Druckverhältnisse nicht schnell öffnen – Bondarenko erlitt schwerste Verbrennungen und starb 16 Stunden später im Krankenhaus. „Es gibt jedoch bis heute Leute, die glauben, dass, hätten die Sowjets bloß ihre Politik des Schweigens gelockert und die Details der Geschichte bereits öffentlich gemacht, als das Unglück geschah, eine andere, auf schreckliche Weise ähnliche Tragödie hätte durchaus verhindert werden können“, schreibt Walker. „Sechs Jahre später, im Januar 1967, brach in der hundertprozentigen Sauerstoffatmosphäre der Kapsel von Apollo 1 während eines Starttests ein Feuer aus – die Kapsel befand sich auf der Rampe in Cape Canaveral. Bevor die Luke geöffnet werden konnte, waren alle drei amerikanischen Astronauten in der Kapsel, Gus Grissom, Ed White und Roger Chaffee, in den Flammen ums Leben gekommen.“ Welche Leute es sind, die der Ansicht sind, dass in den USA ohne den Unfallbericht aus der Sowjetunion niemand auf die Idee kommen konnte, dass reiner Sauerstoff höchst brennbar ist, behält Walker für sich.
Trotz der antikommunistischen Ressentiments ist „Ins All“ ein vergnügliches Buch für diejenigen, die ein wenig hinter die Kulissen des ersten bemannten Flugs, ins Weltall schauen, beim Start mitfiebern und den Imperialisten in Gedanken die Zunge rausstrecken möchten.
Und auch wenn Walker am Ende seines Buches betont, „berühmt und verehrt, wie er in seinem Heimatland stets blieb, ist Gagarins Name im Bewusstsein der übrigen Welt heute weitgehend verblasst“ und andere Namen wie die Neil Armstrongs seien an seine Stelle getreten, so bleibt doch sicher: Juri Alexejewitsch Gagarin, der Sohn eines Zimmermanns, der am 12. April 1961 um 9 Uhr 7 „Pojechali“ rief, hat die Geschichte der Menschheit für immer verändert.
Stephen Walker
Ins All
Die faszinierende Geschichte vom ersten Flug in den Weltraum
Hoffmann und Campe, 592 Seiten mit 30 Abbildungen, 26 Euro