Kolumbianische KP feiert den Frieden und sucht nach Wegen für die Einheit der Revolutionäre

Erst Demokratie, dann Sozialismus

Von Günter Pohl

Das Wort „historisch“ fiel oft: Der 22. Parteitag der Kolumbianischen Kommunistischen Partei (PCC), durchgeführt vom 13. bis zum 16. Juli in der Hauptstadt Bogotá, war in der Tat ein Ereignis, das den neuen Bedingungen im Land Rechnung trug. Das spiegelte auch die hohe internationale Beteiligung mit zwanzig Delegationen von Kommunistischen Parteien wider.

Der Friedensschluss zwischen den u.a. aus der PCC hervorgegangenen Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) und der Regierung des südamerikanischen Landes beherrschte die Debatten der über siebenhundert Delegierten des Parteitags. Zu ihnen gehörten auch vierzig Delegierte der demobilisierten Guerilla, die Rede- und Stimmrecht hatten. Damit wurde der Hoffnung auf eine perspektivische Vereinigung der kommunistischen Kräfte des Landes Ausdruck gegeben. Zunächst aber werden die FARC Ende des Monats selbst eine politische Partei gründen, mit der sie im kommenden Jahr an den Wahlen teilnehmen wollen. Über siebentausend ihrer Mitglieder leben seit der Waffenabgabe Ende Juni in 26 „Ländlichen Übergangs- und Normalisierungszonen“ (siehe Seite 12 und 13). Derzeit finden auch Gespräche mit dem Nationalen Befreiungsheer (ELN) in Ecuadors Hauptstadt Quito statt; immer wieder betonten Delegierte die Notwendigkeit eines weiteren Friedensschlusses im Land. Ferner setzt sich die PCC für einen Beginn von Verhandlungen mit dem Volksbefreiungsheer (EPL) ein.

Der Parteitag wurde mit einer beeindruckenden nationalen Beteiligung eröffnet. Der ehemalige Präsident Ernesto Samper (1994–98), der an ermordete Kommunisten wie José Antequera erinnerte, begeisterte mit einer klaren Haltung auch über seine Klasse: „Der kolumbianischen Oligarchie gefällt der Frieden von Friedhöfen!“ In seiner Amtszeit war er mit Initiativen für eine Annäherung der rechten Kräfte an einen Friedensschluss mit den FARC an inneren Widerständen gescheitert, die auch heute noch Teil der kolumbianischen Politik sind. Sein Nachfolger Andrés Pastrana gewann 1998 die Wahlen zwar mit der Ankündigung einer Verständigung mit den FARC, aber im Gegensatz zu Samper unterstützen weder Pastrana noch Senator und Ex-Präsident Álvaro Uribe (2002–2010) den Friedensprozess. Die Hoffnung auf ein anderes Land mit freier politischer Betätigung ist dennoch groß. FARC-Kommandant Ricardo Téllez wies in seinem Grußwort darauf hin, dass der Staat seine Organisation nicht besiegen konnte, und dass der Frieden dem Volk gehört. Die ehemalige Präsidentschaftskandidatin des „Demokratischen Alternativen Pols“ (PDA), Clara López, erinnerte an Parteitage der PCC, die sie als Gast besucht hatte, die man „mit schusssicherer Weste verließ – da sieht es heute doch schon ganz anders aus!“ Aída Avella, Präsidentin der Pa­triotischen Union (UP), erinnerte an die „Agrarreform mit Gewehrkugeln“ der Paramilitärs, die Millionen Landsleute zur Flucht gezwungen hatten. Generalsekretär Jaime Caycedo, ein Universitätsprofessor mit musikalischer Ader, sang mit dem Chor „Sumapaz“ drei von ihm komponierte Lieder. Julián Conrado, der berühmte FARC-Sänger, trug revolutionäres Liedgut vor, weitere Grüße kamen unter anderem vom ELN, dessen Vertreter einen Waffenstillstand anlässlich des für September bevorstehenden Papstbesuchs in Kolumbien ankündigte.

Der Parteitag, an dem zeitweise auch die FARC-Kommandanten Andrés París, Jesús Santrich und Iván Márquez teilnahmen, hatte das Motto „Mit dem Leben, mit dem Frieden, mit der Einheit bauen wir ein neues Land“.

Jaime Caycedo verlas den politischen Bericht des Zentralkomitees, dessen Schwerpunkt ebenfalls auf dem Friedensschluss und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten für ein neues Kolumbien lag. Die kolumbianischen Kommunisten gehen davon aus, dass die Möglichkeit einer freien Politikausübung den linken Kräften zu Gute kommen wird. Das drückte sich auch darin aus, dass die Delegierten immer wieder skandierten: „¡Somos el partido de la vida – somos el partido de la esperanza – somos el Partido Comunista Colombiano!“ (Wir sind die Partei des Lebens – wir sind die Partei der Hoffnung – wir sind die Kolumbianische Kommunistische Partei). Oder wie es die ehemalige Senatorin Gloria Inés Ramírez ausdrückte: „ Der Weg zum Sozialismus geht hier über die Erlangung der Demokratie.“

Den Delegierten, die ein beeindruckendes Diskussionsniveau zeigten, lagen 156 Thesen zur Diskussion vor, die sich in einen internationalen (Krise des Kapitalismus und imperialistische Kriege) und vier nationale Absätze (Krise in Kolumbien, Bewertung des Friedensprozesses, neue Räume für Volkskämpfe, Einheit der Linken) sowie eine Betrachtung über Identität und historische Aufgabe der marxistisch-leninistischen Partei aufteilen. Die Thesen wurden in Arbeitsgruppen ausführlich besprochen und ergänzt.

Nach den Wahlen zu einem 71-köpfigen Zentralkomitee, für dessen organische Zusammensetzung nach Regionen, Berufsgruppen, Kadern und Geschlechtern eine längere Debatte geführt wurde und das Ende Juli zur konstituierenden Sitzung zusammentreten wird, endete der Parteitag mit einiger Verspätung am Sonntagabend mit dem Verlesen der Politischen Erklärung „Mit Einheit und Frieden bauen wir das neue Land“. Jaime Caycedo, der beim 21. Parteitag seine letzte Amtszeit angekündigt hatte, verwies darin auf die Chancen für notwendige Veränderungen der kolumbianischen Gesellschaft. Es geht um die Agrarsituation ebenso wie um eine dringende Demokratisierung des politischen Lebens. Der Staat wird angesichts der einseitigen Waffenabgabe durch die FARC aufgefordert, seinerseits von Gewalt und Waffeneinsatz gegen das Volk künftig abzulassen und den aus ihm gekommenen Paramilitarismus einzustellen.

Die politische Aktionseinheit sucht die PCC mit der Patriotischen Union, Marcha Patriótica (MP), dem Kongress der Völker, sozialistischen Strömungen, der Linken innerhalb des PDA und der Grünen Partei, mit MAIS, ONIC, Unabhängigen und natürlich der neu zu gründenden Partei der FARC. Neben dieser politischen Einheit, die natürlich auch auf die Wahlen abzielt, steht darüber hinaus die organische Einheit der „kommunistischen Familie“ als zentrale Aufgabe an, also ein Zusammenschluss mit den FARC, der als „Geduldsarbeit“ bezeichnet wird. Zuletzt wird in der Erklärung auch die überfällige Freilassung der fast zweitausend noch in Knästen befindlichen FARC-Kämpferinnnen und -Kämpfer gefordert, wie auch die Freigabe der FARC-Guerilleros Simón Trinidad und Anayibe Rojas (Kampfname Sonia), die wegen nie erwiesener Vergehen in den USA inhaftiert sind.

Während des ganzen Kongresses fehlte nie Information über das umkämpfte Nachbarland Venezuela. Zu Recht sieht man die Ereignisse in beiden Staaten in einem Zusammenhang; oft war Venezuela in einer Vermittlerrolle. Das war auch Carlos Lozano, schwer erkrankter Chefredakteur der Parteizeitung „Voz“, der erheblich am Zustandekommen des Abkommens beteiligt war und vom Parteitag speziell gewürdigt wurde. Er erhielt die meisten Stimmen für das neue Zentralkomitee.

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"Erst Demokratie, dann Sozialismus", UZ vom 4. August 2017



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