In einer Rede stellte US-Präsident Joseph Biden am letzten Freitag im Weißen Haus einen neuen Vorschlag für ein Waffenstillstandsabkommen vor, einen neuen „israelischen Vorschlag“, wie er betonte. Es sei ein entscheidender Moment, der den Weg zu einem dauerhaften Waffenstillstand und der Befreiung der Geiseln zeige.
In vielem ähnelte Bidens Entwurf dem Vorschlag, den die Hamas vor Beginn des israelischen Angriffs auf Rafah akzeptiert hatte. In einem dreistufigen Prozess solle ein Waffenstillstand gelten, während dessen Geiseln ausgetauscht, Hilfsmittel in großer Menge geliefert werden und die vertriebenen Einwohner Gazas in ihre ursprünglichen Wohnorte zurückkehren könnten. Die israelische Armee würde sich zunächst aus den Bevölkerungszentren des Gazastreifens zurückziehen, danach vollständig abziehen. Auch wenn viele Einzelheiten noch nicht ausgearbeitet wären – solange Verhandlungen andauerten, würde der Waffenstillstand gelten. Und in einem Seitenhieb auf Benjamin Netanjahu erklärte Biden, wer den „totalen Sieg“ wolle, schade Israel nur.
Zehntausende in Israel – Veranstalter sprachen von 120.000 Demonstranten alleine in Tel Aviv – zeigten Unterstützung für Bidens Rede. Viele forderten den Rücktritt Netanjahus und Neuwahlen.
International wurde der Vorschlag begrüßt. Auch Vertreter der Hamas in Katar äußerten sich positiv zu Bidens Rede. Zweifel rief die Stellung der USA hervor, die weiterhin Israel mit den Waffen versorgt, mit denen Gaza zerstört wird. Und zugleich lud der US-Kongress Netanjahu zu einer Rede vor beiden Häusern des US-Parlaments ein.
Der US-Präsident sprach von einem „israelischen Vorschlag“ und betonte in seiner Rede am Freitag dennoch, wie sehr sein eigenes Team von Diplomaten und Vermittlern in Gesprächen mit allen Seiten an dem Vorschlag gearbeitet hätte. Man darf vermuten, dass es eher ein US-Vorschlag war, dem Israel zustimmen musste. Das Kriegskabinett habe den Vorschlag einstimmig akzeptiert, hieß es aus Tel Aviv. Oder doch nicht? Unmittelbar nach Bidens Rede erklärte Netanjahus Büro ausgerechnet am Sabbat, was nur selten vorkommt, an den Zielen Israels habe sich nichts geändert. In einer zweiten Erklärung ließ er allerdings mehr Offenheit für Bidens Vorschlag erkennen.
Und selbst der Vertreter der Opposition im Kriegskabinett, Benjamin Gantz, ließ sich Zeit, bis er schließlich den „israelischen Vorschlag“ öffentlich unterstützte. Für ihn gilt weiterhin der Termin des 8. Juni. Er hatte angekündigt, an diesem Tag die Regierung zu verlassen, sollte es keinen klaren Weg zu einer Rettung der Geiseln geben. Für die rechtsextremen Mitglieder im Kabinett war die Sache von vornherein einfach: sie würden die Regierung platzen lassen, sollte Israel Bidens Vorschlag annehmen. Für diesen Fall versprach Oppositionspolitiker Yair Lapid Netanjahu bereits seine Unterstützung.
Arabische Medien berichten, dass die Hamas den vollständigen Text des Vorschlags noch nicht erhalten habe. Tatsächlich ist noch nicht einmal sicher, ob der Deal, den Biden vorstellte, mit einem Deal übereinstimmt, den Israel formulierte. Tatsächlich sieht zumindest die israelische Regierung Bidens Vorschlag mehr als eine Rahmenvereinbarung, deren Details noch ausgearbeitet werden müssten – in erneut langen Verhandlungen.
Anders als Biden will Netanjahu nur einen vorübergehenden Waffenstillstand zum Austausch der Geiseln und danach den Krieg fortsetzen.
Die Alternative zu einem andauernden Waffenstillstand und Austausch der Geiseln zeigten die aktuellen Kämpfe. Die Hisbollah weitete die Intensität und Reichweite ihrer Angriffe auf Ziele im Norden Israels und im besetzten Golan aus, Ansar Allah griff erneut Frachtschiffe und sogar einen US-Flugzeugträger an.