Dramatische Wohnungsnot in Erlangen

Erschreckendes Bild

Die DKP-Kleinzeitung „Erlanger Rot“ befasst sich in ihrer aktuellen Ausgabe unter anderem mit der Wohnungsnot in der Stadt. Die vollständige Ausgabe ist als PDF abrufbar.

Der Wohnungsmarkt in Erlangen gilt als „angespannt“ – und das ist noch freundlich ausgedrückt angesichts der realen Misere. Zahlen, Daten und Fakten liefern sowohl der Erlanger Sozialbericht (2021) als auch der Wohnungsbericht (2022). Ergänzend hierzu ist im vergangenen Jahr nun auch der Teilhabebericht (2023) erschienen, eine gemeinsame Arbeit des Sozialreferats und des Organisationsbündnisses „Ratschlag für soziale Gerechtigkeit“. Der Teilhabebericht wertet vorliegende Daten aus und formuliert Schlussfolgerungen sowie Handlungsmöglichkeiten. Der „Ratschlag für soziale Gerechtigkeit“ steuert dankenswerterweise anonymisierte Interviews mit Betroffenen bei, was der dramatischen Wohnungsnot ein sehr konkretes und erschreckendes Bild gibt.

Tausende sind in Erlangen auf der Suche nach passendem Wohnraum – passen sollen Größe, Ausstattung und Lage, aber eben auch die Kosten. Am bedrohlichsten ist die Lage für all diejenigen, deren Einkommen nicht ausreicht, sich am sogenannten freien Wohnungsmarkt zu bewerben. Diese Menschen sind angewiesen auf sozial geförderte Wohnungen.

Von den 64.000 Wohnungen in Erlangen sind nur etwa 4.000 Sozialwohnungen. Und es werden jedes Jahr weniger, da ein großer Teil der Wohnungen zwar mit staatlichen Fördermitteln errichtet wurde, sich aber in privater Hand befindet. Nach Ablauf einer gewissen Anzahl an Jahren erlischt die Sozialbindung, das heißt, die Mietpreise sind dann nicht mehr gedeckelt, sondern der Vermieter kann sie entsprechend dem „freien Wohnungsmarkt“ festlegen.

Hier haben wir schon den ersten Systemfehler: Mit öffentlichen Geldern werden nur kurzfristige Sozialbindungen erkauft, anstatt in dauerhaften Sozialwohnungsbau zu investieren. Im Ergebnis erhält man dann (relativ teure) Wohnungen, die vorübergehend einer sozialen Nutzung dienen, um nach Ablauf der Sozialbindung gewinnbringend als Immobilie verwertet zu werden.

Dabei ist der Bedarf an sozial leistbaren Wohnungen riesig. Familien, Alleinerziehende und andere Mehrpersonenhaushalte stellen mehr als die Hälfte der Mieterinnen und Mieter in Erlanger Sozialwohnungen. Allerdings wächst auch die Zahl der alleinstehenden Mieterinnen und Mieter stark an, darunter immer mehr ältere Menschen, deren Rente nicht armutsfest ist. Von dieser Problematik sind Frauen um ein Vielfaches stärker betroffen als Männer. Die Wohnung suchenden Haushalte (!) liegen seit Jahrzehnten konstant über 1.000. Studierende mit BAFöG-Anspruch erhalten in der Regel keinen Wohnberechtigungsschein, sind hier also gar nicht mitgezählt.

Im Verhältnis zum Bedarf ist die Vermittlungsquote von etwa 500 Wohnungen pro Jahr erschreckend gering. Die Folgen sind zunehmende und sich verfestigende Wohnungslosigkeit unter Erlanger Bürgerinnen und Bürgern. Ein Teil wird in sogenannte „Verfügungswohnungen“ gewiesen. Das sind Wohnungen, die den heute üblichen Standard unterschreiten und „eigentlich“ nicht vermietet werden können. Im Interview beschreibt ein Betroffener die Zustände dort „schlimmer als 9 Quadratmeter Asylzimmer“. Derzeit befinden sich etwa 270 Menschen in Verfügungswohnungen – mit relativ geringer Aussicht, dort schnell herauszukommen. Die durchschnittliche Verweildauer beträgt mittlerweile mehr als drei Jahre.

Wer nicht in einer solchen Wohnung unterkommt, sitzt auf der Straße. Die faktische Obdachlosigkeit aber wird in Erlangen nicht erfasst. Diese Zustände sind kein Versehen, sondern Systemfehler: Wohnen ist in der Bundesrepublik kein Menschenrecht. Selbst ein geringes Einkommen und der entsprechende Wohnberechtigungsschein gewährleisten noch lange nicht, dass frau auch eine Wohnung erhält.

Aus einem marktwirtschaftlich organisierten Wohnungsbau erwachsen menschenunwürdige Zustände mitten in unserer Stadt. Von den ganz Großen auf dem privatisierten Wohnungsmarkt findet sich in den Berichten keine Zeile: Siemens AG (Verkauf der Werkswohnungen), Patrizia SE (Vermarktung der ehemaligen GBW-Wohnungen), Danowia.

Reden wir über Mietkosten. Während die kommunale GeWoBau in Sozialwohnungen derzeit noch einen durchschnittlichen Quadratmeterpreis von circa 6 Euro halten kann, verlangen Patrizia SE und Danowia bei Neubauwohnungen bis zu 16 Euro. Bei solchen Preisen steigt der Druck auf den Sozialwohnungsbereich noch stärker.

Diesen Systemfehler wollen die Berlinerinnen und Berliner beseitigen: Sie haben in einem Volksentscheid die Vergesellschaftung der Wohnungskonzerne gefordert. Noch bevor sich in Erlangen eine ähnlich starke Mieter:innenbewegung für bezahlbare Wohnungen einsetzt, hat das oberste eine Prozent der Stadtbevölkerung schon mal Mauern hochgezogen.

An Burgberg und Rudelsweiher entstehen immer mehr „Gated Communities“. Dabei handelt es sich um geschlossene, elektronisch gesicherte Wohnkomplexe für die Reichen. Vermögende errichten Parallelgesellschaften und demonstrieren, dass ihnen der Rest der Welt scheißegal ist.

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"Erschreckendes Bild", UZ vom 12. April 2024



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