Aus dem Referat auf der Konferenz des DKP-Parteivorstandes zum Tag der Befreiung vom Faschismus am 2. Mai 2015 in Berlin

Erscheinungen und Funktionen reaktionärer Bewegungen für imperialistische Strategien heute

Von Daniel Bratanovic

Wir können uns“, führt der Mann mit dem schütteren, kurzen Haar und der Brille in aller Ruhe aus, „alle sehr gut an den sowjetischen Einmarsch in die Ukraine und nach Deutschland erinnern. Das muss man vermeiden.“ Was sagt er da? Hat er sich versprochen? Oder war ihm bewusst, was er von sich gibt? Wäre er deutscher Staatsbürger, man hielte ihn aufgrund dieser revisionistischen Anwandlung vermutlich für einen Nazi. Doch er ist weder dies noch das, wenngleich er sich mit den einen wie den anderen in Erwartung eines Vorteils bereitwillig einlässt. Der Mann ist, das erklärt die Aussage und ihre dahinterstehende Absicht, amtierender ukrainischer Ministerpräsident. Und mit diesem Anfang Januar im deutschen Staatsfernsehen vorgebrachten eigenwilligen Exkurs in die Historie, appellierte Arseni Jazenjuk an ein dieser Tage zu stiftendes deutsch-ukrainisches Bündnis, auf dass sich Vergangenes, so wie er es sieht, nicht wiederhole: „Keiner hat das Recht, die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs neu zu schreiben, und das versucht der russische Präsident Wladimir Putin.“

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( Christian Martischius/r-mediabase.eu)

Daran ist so viel schief und falsch – man möchte sich mit Grauen abwenden, anstatt darauf ernsthaft einzugehen. Vielleicht nur so viel: Selbst wenn er wollte – Putin könnte gar nicht die Ergebnisse dieses Krieges umschreiben, denn das ist längst geschehen, nämlich vor ziemlich genau einem Vierteljahrhundert. Wäre das nicht der Fall, Jazenjuk stünde nicht der Regierung in Kiew vor. Und in dieser Funktion hat er Geschichtspolitik und nicht Geschichtswissenschaft zu betreiben, man will es ihm nicht verübeln, er füllt seine Rolle angemessen aus, auch wenn oder gerade weil er grotesken Unfug erzählt.

Die Moderatorin des Ersten Deutschen Fernsehens, die dem ukrainischen Premier Gelegenheit zu dessen rhetorischen Verdrehungen gab, widersprach nicht. Wusste sie es nicht besser? War sie einen Moment lang umnachtet? Oder handelte sie aus Kalkül? Auch ihr will man nichts verübeln, auch sie füllt ihre Rolle aus, auch wenn oder gerade weil sie schweigt. Denn Jazenjuk ist (zur Zeit zumindest) ein Verbündeter des deutschen Staates, mit ihm hat man einen gemeinsamen Feind, so einen korrigiert man nicht. Doch da geht noch mehr. Ein deutscher Außenminister mit SPD-Parteibuch posiert mit einem ukrainischen Faschisten, dessen Partei allergrößte ideologische Verwandtschaft zur NPD besitzt? Kein Problem, solange es den eigenen Interessen dient.

Diese Vorgänge sind dazu angetan, die Fragestellung dieses Konferenzbeitrages schlaglichtartig zu erhellen: „Erscheinungen und Funktionen reaktionärer Bewegungen und Organisationen für imperialistische Strategien heute“. Die Schwächung, Zurückdrängung und letztlich auch die Zerschlagung der Russischen Föderation in ihrer jetzigen Gestalt ist das Ziel, das BRD-EU und USA gemeinsam, aber zugleich in kaum mehr zu verschleiernder Konkurrenz zueinander verfolgen. Eine Etappe auf dem Weg dorthin war, bzw. ist, geographisch, wie politisch und ökonomisch – die Ukraine.

Was eine in Staunen, Angst und Schrecken versetzte Öffentlichkeit im vergangenen Jahr in der Ukraine zu sehen bekam, war denn im Wesentlichen dies: Die Installation eines offen prowestlichen Regimes unter knochenbrechender und mordbrennender Beteiligung faschistischer Gruppierungen. Letzteres wird achselzuckend hingenommen oder gleich ganz geleugnet. Und ein von Faschisten begangenes Pogrom, wie das vom 2. Mai 2014 – also vor genau einem Jahr – im Gewerkschaftshaus von Odessa, hatte dann konsequenterweise und bestenfalls „unter ferner liefen“ Platz in der Berichterstattung.

Angesichts dieser Ereignisse muss der Befund demnach lauten, dass USA und EU den Faschismus als machtpolitische Option wieder hoffähig gemacht haben. Die bewusst in Kauf genommene und heruntergespielte faschistische Brutalität ist nicht einfach nur ein weiteres Beispiel für die gewaltvolle Durchsetzung von deren Interessen. Sie stellt eine neue Qualität dar und könnte angesichts des Aufstiegs rechter und extrem rechter Parteien in ganz Europa länderübergreifend den Auftakt für eine wieder einmal angewandte extrem reaktionäre und im Zweifel terroristische machtpolitische Option des Kapitals bilden. Die Vorgänge in der Ukraine bestätigen die Funktion des Faschismus als offensive Aggression.

Das jedoch sollte umgekehrt nicht zu der Annahme verleiten, in der Ukraine sei der Faschismus bereits an der Macht. Das ist er nicht, er ist an der Macht beteiligt, herrscht aber nicht. Vielmehr nehmen seine Vertreter von Swoboda, Rechter Sektor und anderen, von Funktion war bereits die Rede, die mit dem marxistischen Politikwissenschaftler Reinhard Opitz schon beinahe klassisch zu nennenden Aufgaben der terroristischen Einschüchterung, der Hilfspolizei-, der Straßenkampf- und der Bürgerkriegstätigkeit wahr. Ihr teils geduldetes, teils gefördertes Einnisten in den ausgefransten und zerfledderten Staatsapparat läßt gleichwohl die Bezeichnung Faschisierung, die eine Tendenz angibt, durchaus als berechtigt erscheinen.

Der vorliegende Fall ist zweifelsohne der offensichtlichste der jüngsten Zeit, von dem sich sagen lässt, dass hier reaktionäre Bewegungen und Organisationen einstweilen verlässliche Erfüllungsgehilfen einer imperialistischen Strategie abgeben. Doch nicht immer ist das alles von Anfang durchschaubar. Nicht immer hat man es in einer solchen Klarheit mit solchen Spießgesellen, Knochenbrechern und Mordbrennern zu tun. Die Reaktion kann – und sie tut das nicht selten – auch in anderer Gestalt auftreten. Sie ist vielgestaltiger und nicht einzig faschistisch.

(…)

(Der) deutsche Imperialismus führt wieder Krieg oder lässt Kriege führen. Einstweilen wird dieses Programm mit einer ethischen Ummantelung betrieben. Es gehe um Demokratie und Menschenrechte, heißt es allenthalben. Das macht die Sache nicht minder reaktionär. Es geht tatsächlich um Kontrolle und Vorherrschaft über andere Länder. Doch neben diese Kräfte eines „ethischen Imperialismus“ sind mittlerweile wieder offen reaktionäre Kreise getreten.

Mit der AfD ist in den vergangenen Jahren eine Kraft entstanden, die sich dauerhaft rechts von der CDU ihren Platz erobern könnte. Noch ist nicht eindeutig ausgemacht, wohin die Reise geht. Noch lässt sich nicht mit aller Klarheit sagen, welche Teile des Kapitals hinter dieser Alternative für Deutschland stehen. So viel ist aber klar: diese Partei ist eine Partei des Kapitals oder besser gesagt bestimmter Teile. Ein paar Hinweise gibt es gleichwohl. In einer leider kaum beachteten Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung vom September 2013 wurden die Positionen deutscher Wirtschaftsverbände zur Eurokrise untersucht. Auffällig daran war in welch verblüffender Weise die Positionen des Verbandes der Familienunternehmen mit denen der AfD übereinstimmten. In dieser Richtung müssten weitere Untersuchungen angestellt werden, um sich über Zwecke und Absichten der AfD und der dahinterstehenden interessierten Kreise klar zu werden.

Noch etwas hat sich in der jüngsten Zeit in dieser Republik an Neuem ergeben. In Sachsen hat sich – in dieser Größe und Kontinuität bisher unbekannt – eine Massenbewegung formiert, deren Richtung, das ist über jeden Zweifel erhaben, nach rechts weist. Wie beständig sie ist, bleibt einstweilen Spekulation.

Der naserümpfende Ekel vor dem ungeschliffenen „Wir sind das Volk“-Nationalismus, mit dem Kommentatoren und Politiker Pegida oftmals begegneten, weigerte sich auch nur in Erwägung zu ziehen, dass die Gründe solcher Zusammenrottungen in den politischen Maßnahmen der vergangenen 25 Jahre liegen könnten. Die weitgehende Zerschlagung des Sozialstaates, die Beseitigung des Normal­arbeitsverhältnisses, die Gängelei von Amts wegen, jede Arbeit anzunehmen, und sei sie auch noch so entwürdigend und schlecht bezahlt – all diese per Parlamentsbeschluss umgesetzten Schritte haben hunderttausende Staatsbürger als Vereinzelte und Ausgegrenzte zurückgelassen, die sich tagein, tagaus einem erbarmungslosen Konkurrenzkampf stellen und ihre Haut zu Markte tragen müssen.

Es dürften vor allem solche Leute sein, die sich da auf Dresdens Straßen als ein einig Volk zusammenfinden, um ein Erlebnis von Gemeinschaft zu erfahren, das sich in der restlichen Woche nicht einstellen will: Abgehängte, mit ALG II Abgespeiste, kleine Selbstständige, deren Inventar der Bank gehört, auch Arbeiter und Angestellte, deren Beschäftigungsverhältnis prekär ist, Leute jedenfalls, die den Abstieg fürchten oder ihn schon hinter sich haben.

Als in sächsischen Städten vor 25 Jahren schon einmal der Ruf „Wir sind das Volk“ erscholl, da ging es den einen, denen mit den Bürgerrechtlerbärten, um mehr Demokratie. Die anderen aber, die mit den Deutschlandfahnen, wollten die D-Mark. Sie trieb die Sehnsucht nach Teilhabe am rheinischen Kapitalismus mit seinen Konsumverheißungen an. Der von Erhardt versprochene „Wohlstand für alle“ in einer formierten Gesellschaft mit unbefristeten, gutdotierten Arbeitsverhältnissen und sicheren Renten war, was diese Leute begehrten. Doch statt des eigenen Heims gab es Hartz IV.

Ein Vierteljahrhundert später hat man nicht begriffen, dass die ersehnte Ruhe, die Sorglosigkeit und Unbedrängtheit einer provinziellen Bonner Republik, in der an Weltpolitik kaum gedacht werden konnte, nicht zu haben war. Man hat nicht begriffen, dass gerade die Existenz des Staates, der ihnen unerträglich geworden war, die Voraussetzung und die Garantie jener goldenen Zustände im Westen abgab, derer man teilhaftig zu werden verlangte. Das Verschwinden der DDR bedeutete das Verschwinden der alten BRD.

In Zeiten, in denen die Arbeiterbewegung komatös darniederliegt, ist das Bewußtsein von der Zugehörigkeit zu einer Klasse verschütt gegangen. An seine Stelle tritt die Verbundenheit mit der Nation, die sich nach außen gegen Eindringlinge abgrenzt. Dementsprechend klingen denn auch die einschlägigen, bei Pegida nachzulesenden Forderungen: „Null-Toleranz-Politik“, „sofortige Abschiebung“, „verstärkte Wiedereinreisekontrollen“. Angerufen wird damit der starke Staat, sich endlich zu rühren. Sollte er das nicht tun, werde man, so die unterschwellige Drohung, eben selbst Hand anlegen. Die Demonstranten tragen in ihrer Ordnungssehnsucht längst schon Uniform im Geiste. Darin äußert sich bei aller Unzufriedenheit und Wut ein prinzipielles Einverständnis mit den staatlichen Einrichtungen. Im Tausch für die erteilte Loyalität wird eine restriktivere Einwanderungspolitik verlangt.

Auch hier ist noch nicht klar, ob und welche Fraktion des Kapitals sich dieses Potential der Straße zu Nutzen zu machen beabsichtigt. Immerhin ist aber deutlich geworden, dass es eine Arbeitsteilung zwischen Straße und Staat gibt. Bereits Ende November, da war Pegida schon bundesweit Mediengespräch, verkündete Sachsens christdemokratischer Innenminister Markus Ulbig, er werde „eine spezialisierte Gruppe bei der Polizei einsetzen, die sich mit den straffälligen Asylbewerbern intensiv beschäftigen wird“. Der Zeitpunkt der in der Dresdner Morgenpost platzierten Ansage dürfte kaum zufällig gewählt worden sein und konnte als staatsaktives Signal an die „Patriotischen Europäer“ verstanden werden. Ihr war zu entnehmen, dass nach Auffassung Ulbigs Asylbewerberheime offenbar Orte sind, an denen Kriminelles ausbaldowert wird und nicht etwa solche, die des permanenten Schutzes vor Leuten bedürfen, die sich ihren Stimulus zur ausländerfeindlichen Tat auf Zusammenrottungen wie denen von Pegida abholen.

Ob solche Maßnahmen, zu denen der Staat immer wieder griff, wenn es darauf ankam, einen angestachelten wütenden Mob wieder zu bändigen, ausreichen werden, um einer sichtbarer werdenden Legitimationskrise noch einmal Herr zu werden, ist noch nicht ausgemacht. Als Alternative steht schon das ganze Spektrum rechter Organisationen und Vordenker bereit. „Freie Kameradschaften“, NPD, Verfechter der konservativen Revolution wie Götz Kubitschek, der rege Querfrontler und selbsternannte Nationalbolschewik Jürgen Elsässer – sie alle sehen in Pegida den endlich erwachsenen Massenanhang zur Realisierung ihrer eigenen Ziele und Zwecke. In der AfD könnte, mit Pegida als Schwungmasse, der nationalkonservative Flügel um Alexander Gauland und Frauke Petry gegen den von Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel repräsentierten nationalliberalen letztlich obsiegen. Wer auch immer sich durchsetzen wird – zu prognostizieren, dass sich diese Republik weiter nach rechts entwickeln wird, ist nicht gewagt. Friedlicher wird sie dadurch gewiss nicht – weder nach innen noch nach außen.

Wir befinden uns in einer Zeit der Krise, die längst die rein ökonomischen Sphären verlassen hat und zu einer politischen Krise, zu einer Repräsentations- und Glaubwürdigkeitskrise geworden ist. Es ist auch eine Krise der Linken, die allerdings schon seit mindestens 25 Jahren anhält.

In diesen Zeiten treten – wir haben das im vergangenen Jahr erlebt – vermehrt Volkstribune auf. Es sind Figuren, bei denen die Grenze zwischen Politiker und Stammtischbruder verschwimmt. Es sind Personen, die in der Bevölkerung vorhandene Ressentiments nicht bekämpfen, sondern verstärken. Es sind Leute, die gegen diesen Staat und diesen Imperialismus nichts grundsätzlich einzuwenden haben.

Man sollte in diesen Tagen schon sehr genau hinsehen, mit wem man sich einlässt und mit wem besser nicht. Der Irrationalismus ist aus seinem Kellerloch gekrochen und auf die Straße getreten. Der Versuch, ihn zu umarmen, könnte sich angesichts unserer eigenen Schwäche als verhängnisvoll erweisen.

(Kürzungen UZ-Redaktion)

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"Erscheinungen und Funktionen reaktionärer Bewegungen für imperialistische Strategien heute", UZ vom 19. Juni 2015



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