Gesamtmetall legt Angebot für Tarifrunde vor

Erpresserisch und unverschämt

Die dritten Verhandlungsrunden für die Metall- und Elektroindustrie sind angelaufen. Der Gesamtmetallverband hat nach monatelangem Nullrunden-Geschrei nun ein Angebot vorgelegt: Eine Einmalzahlung oder auch Inflationsbeihilfe/-prämie genannt in Höhe von 3.000 Euro, steuer- und sozialabgabefrei, plus eine unbezifferte Lohnerhöhung bei 30 Monaten Laufzeit. Harald Marquardt, Verhandlungsführer und stellvertretender Vorsitzender des Arbeitgeberverbands Südwestmetall, sagt deutlich, was Sache ist: „Wenn wir uns verlässlich auf eine lange Laufzeit verständigen, ist auch eine Tabellenerhöhung möglich.“ Die tabellenwirksame Erhöhung soll es also nur bei einer langen Laufzeit geben, so die Erpressung von Seiten des Kapitals. Eigentlich ist es ist eine Schande, dass die Gewerkschafter, die da am Tisch saßen, diese Veranstaltung nicht sofort unter Protest verlassen haben, um die notwendigen Streiks vorzubereiten!

Aber die Forderungen der Metallkapitalisten gehen noch weiter. So heißt es auf ihrer extra eingerichteten Homepage „zusammennachvorn“: „Da derzeit die wirtschaftliche Situation von Betrieb zu Betrieb extrem unterschiedlich ist, sei der Vorschlag der Arbeitgeber daran gebunden, dass eine dauerhafte, automatische Differenzierung vereinbart werde, sagte Marquardt: ‚Wir müssen uns zudem auf einen Prozess verständigen, wie wir auf eine mögliche Energienotlage während der Laufzeit des Tarifvertrags reagieren.‘“ Sie wollen also weitere Ausstiegsszenarien festklopfen. Dabei ist die Belastung durch die 8-Prozent-Forderung eher gering. Denn die Personalkosten machen in der Industrie nur 20 Prozent vom Umsatz aus. Das heißt: „Eine Erhöhung der Entgelte um acht Prozent entspricht rechnerisch einer Erhöhung der Gesamtkosten um lediglich 1,6 Prozent“, wie die IG Metall am 27. September erklärte.

Die IG Metall hat diesem Angebot von Gesamtmetall zumindest mal eine Absage erteilt. Roman Zitzelsberger, Verhandlungsführer und IG-Metall-Bezirksleiter für Baden-Württemberg, macht klare Ansagen für die kommenden Wochen: „Wer angesichts der steigenden Inflation und der Abschlüsse in anderen Branchen mit so einem unzureichenden Angebot um die Ecke kommt, der provoziert den Konflikt und wirkt ihm nicht entgegen. … Wir machen kein Geheimnis daraus, dass wir uns auf eine konfliktäre Auseinandersetzung vorbereiten. Wir denken auch verschiedene Szenarien und somit unterschiedliche Schärfegrade der Eskalation durch. Wenn die Arbeitgeber nicht schnell ein besseres Angebot auf den Tisch legen, ist eine Steigerung der Arbeitskampfmaßnahmen zu erwarten.“ Eine tabellenwirksame Erhöhung der Entgelte habe in dieser Tarifrunde oberste Priorität. Dass dies die KollegInnen auch so sehen, zeigten die zahlreichen und kämpferischen verhandlungsbegleitenden und betrieblichen Aktionen.

Nach viereinhalb Jahren ohne tabellenwirksame Erhöhung ist es mehrals dringend, dass es jeden Monat mehr Geld gibt und nicht schon wieder nur eine Einmalzahlung. Der Vorschlag von 3.000 Euro – umgerechnet auf 30 Monate – wären gerade einmal 100 Euro mehr im Monat. Das ist einfach nur lächerlich und unverschämt, weil damit absolut nichts ausgeglichen werden kann und sich auch nicht in der Tabelle niederschlägt.

Würde sich die Metallkapitalisten mit ihrer geforderten dauerhaften automatischen Differenzierung je nach wirtschaftlicher Lage der Betriebe durchsetzen, könnte es passieren, dass weitere zweieinhalb Jahre in einigen Betrieben nichts in die Tabelle kommt. Die Befürchtung ist groß, dass sie die wirtschaftliche Lage entsprechend hinein rechnen und dann manche Belegschaften sieben Jahre ohne Lohnerhöhung dastehen. Schon jetzt bräuchte es zwischen 14 und 16 Prozent bei einer Laufzeit von 12 Monaten, um den Lebensstandard einigermaßen zu halten. Mit der 8-Prozent-Forderung können die Preissteigerungen der letzten Jahre nicht ausgeglichen werden. Außerdem schaden Differenzierungen im Flächentarifvertrag in mehrfacher Hinsicht. Sie unterhöhlen die hart erkämpften Standards und Löhne innerhalb einer Branche. Sie stärken den neoliberalen Glauben, wenn die Profite stimmen, ist alles gut. Sie befördern das Standortdenken in den Köpfen der Kolleginnen und Kollegen „Hauptsache uns geht es gut“ und führen damit zur Entsolidarisierung innerhalb der Klasse. Im schlimmsten Falle wird die Abweichung zum Normalfall – das wäre dann das Aus für den Flächentarif. Auch würden unternehmerische Risiken auf Teile der Arbeiterklasse abgewälzt, was den Klassenzusammenhalt bricht und die Klasseninteressen verwischt. Eine starke Gewerkschaftsbewegung wird dann nicht mehr möglich sein. Deshalb ist der Kampf gegen Differenzierungen so wichtig und notwendig.

In der Nacht von Freitag auf Samstag endete die Friedenspflicht, ab 0 Uhr am 29. Oktober waren die ersten Warnstreiks in den Nachtschichten, so bei Kolbenschmidt in Neckarsulm und am 31. Oktober bei Bosch Reutlingen. Im November wird es zwei Warnstreikwellen geben. Die nächsten Verhandlungen sind im Südwesten am 8. November – mitten in der ersten Warnstreikwelle. Mitte November soll es dann in allen Bezirken Aktionstage geben. Die Wirkung von eintägigen Streiks wird eher gering sein, sowohl was die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit als auch was die ökonomischen Auswirkungen betrifft. Wegen der Lieferkettenproblematik kann mit längeren Streiks mit einer klugen und flexiblen Streiktaktik wesentlich mehr Druck aufgebaut werden.

In den Streiks muss klar und deutlich zum Ausdruck gebracht werden, dass die Laufzeit keine Verhandlungsmasse sein darf. Alles weist auf eine lange Krise hin. Deshalb braucht es Handlungsfähigkeit. Eine bescheidene Forderung von 8 Prozent darf auch nicht auf eine noch längere Zeit gestreckt werden, sonst ist der Reallohnverlust noch höher. Wir müssen die Verhandlungsführer auf ihren Aussagen festnageln. Es gibt genug Betriebe mit guter Auftragslage, über die durch Streiks der Druck aufgebaut werden kann für:

  • 8 Prozent mehr und keinen Cent weniger! Laufzeit maximal 12 Monate und keinen Tag mehr!
  • Keine Kompensation von nötigen Tabellenerhöhungen durch Einmalzahlungen! Keine Differenzierungen!
  • Vorbereitung von Urabstimmung und Voll-Streik für die volle Durchsetzung der Forderung!

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"Erpresserisch und unverschämt", UZ vom 4. November 2022



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