Zu „Programm und Wirklichkeit“, UZ vom 23. Februar

Ernüchternd

Benedict Kolbe, Köln

In dem Interview mit Christel Buchinger zu Losurdos Buch „Der Kommunismus – Geschichte, Erbe und Zukunft“ stoße ich mich an den Schlagwörtern „westlicher Marxismus“ und „Degrowth“. Zum einen sehe ich die kommunistischen Bewegungen des Westens nicht als einheitlichen Block, zum anderen wird der „Degrowth-Vorwurf“ recht plump mit unserer China-Diskussion vermengt. Eine solche Strömung gibt es aber in unserer Partei nicht und diese ideologische Sackgasse war auch nie Teil der Diskussion. Ich habe das Buch inzwischen gelesen. Die inhaltliche Auseinandersetzung zu den Vorwürfen „Degrowth-Kult, Messianismus, Populismus und Rebellismus“ führt Losurdo mit Caillé und Zizek, zwei Leuten, die in unserer Parteirealität keine Rolle spielen. Seine Erkenntnis über „den westlichen Marxismus“ setzt sich aus deren plattesten Argumenten zusammen, die einem Grundkurs in historischem Materialismus nicht standhalten. Eine Rückentwicklung der Produktivkräfte, ein sofortiges Abschaffen des Staates, ein Verklären der Revolution als Wendepunkt, ab dem alles Elend vorüber sei, eine Entsolidarisierung mit Befreiungsbewegungen, sobald sie staatliche Souveränität haben – das mag alles irgendwo in linken Bewegungen vorkommen, mit Marxismus-Leninismus hat es aber nichts zu tun. Die von mir erhofften neuen Erkenntnisse zu unserer China-Debatte haben sich aus der Losurdo-Lektüre nicht ergeben. Unsere Debatte, zumindest mein Eindruck, geht tiefer und hat eine andere Qualität, und da bin ich auch froh drüber. Entsprechend nüchtern fällt mein Fazit über das Buch aus. Ich fand es wenig hilfreich, weder für die Probleme, vor denen wir in diesem Land stehen, noch für Konkreteres wie unsere China-Diskussion. Das Buch wird seinem Titel nicht gerecht, er ist für ein Buch allerdings auch ein hoher Anspruch. Es ist allerdings genau der richtige Anspruch für uns als Partei. Sie ist der richtige Ort für die Aufarbeitung der Geschichte, den Umgang mit dem Erbe und dem Erringen der Zukunft.

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"Ernüchternd", UZ vom 19. April 2024



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