Rede von Hans Bauer auf der anlässlich des 80. Jahrestags der Selbstbefreiung des KZ Buchenwald

Erinnerung ist Pflicht und Verpflichtung

Die Gedenkfeier des Deutschen Freidenker-Verbands Thüringen, organisiert gemeinsam mit der DKP Thüringen, der Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung (GRH), KPD und „RotFuchs“, stellt der zunehmenden Geschichtsfälschung Fakten entgegen: Buchenwald hat sich selbst befreit. Auf dieser Gedenkfeier bleiben die Nachfahren unserer Befreier willkommen. Wir dokumentieren die Rede von Hans Bauer, Vorsitzender der Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung (GRH), in voller Länge:

Liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,
liebe Genossinnen und Genossen,
verehrte Vertreter der Russischen Botschaft!

Wir stehen hier, 80 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus, am Glockenturm des Konzentrationslagers Buchenwald – der größten Gedenkstätte Europas zur Mahnung an die Verbrechen in diesen Lagern. Erbaut von der DDR, eingeweiht 1958. Am Glockenturm sehen wir die Bronze-Skulptur von Fritz Cremer, dem Antifaschisten, Kommunisten und Bildhauer. In der DDR und international hochgeachtet und gewürdigt.

Diese Gedenkstätte war ein Nationaldenkmal, nicht nur in regionaler Verantwortung – wie heute. Allein das bezeugt, welch hohen Rang der sozialistische deutsche Staat dem Erinnern an diese Hölle beimaß.

Das Gesamtensemble der Anlage symbolisiert die Verbrechen des Faschismus, den Kampf gegen und den Sieg über ihn – sowie Zukunftsoptimismus. Es symbolisiert für mich mit dem Weg von den drei Massengräbern über die Straße der Nationen bis zum Denkmal unendliches Leid, Solidarität und Internationalismus. Vor allem aber die Verpflichtung, niemals zu vergessen, was hier und in anderen dieser Todes- und Folterstätten geschah. Und die Verpflichtung, solches für alle Zeiten zu verhindern.

In der DDR war dies „Staatsräson“. Dafür standen Staat und diejenigen, die den Staat führten. Das waren nämlich antifaschistische Widerstandskämpfer, Häftlinge der KZ, Angehörige der Roten Armee und anderer alliierten Armeen, Frauen und Männer, die ins Exil getrieben worden waren.

Manche der hier Teilnehmenden haben dieses KZ noch zu DDR-Zeiten besucht, an offiziellen Gedenkfeiern teilgenommen. Ich auch, als junger Mann. Wer von den Politikern an dieser Stelle redete, wusste aus eigenem Erleben, wovon er sprach: Horst Sindermann und Walter Bartel, ehemalige Häftlinge hier in Buchenwald, Friedrich Ebert (KZ Sachsenhausen), Hermann Axen und Bruno Baum (KZ Auschwitz), aber auch Walter Ulbricht vom Nationalkomitee Freies Deutschland, Erich Honecker (Zuchthaus Brandenburg), Heinz Kessler (Angehöriger der Roten Armee).

Sie alle und viele mehr verschrieben sich nach der Befreiung vor 80 Jahren dem Aufbau einer neuen antifaschistischen Ordnung. Und trugen dafür nach 1945 in Staat und in Parteien hohe Verantwortung.

Der langjährige Generalstaatsanwalt der DDR, Dr. Joseph Streit, über viele Jahre mein Chef, war Häftling unter anderem im KZ Mauthausen. Für mich ein antifaschistisches Vorbild. Alles standhafte Antifaschisten, übrigens darunter auch Juden wie Axen, Baum und Goldstein. Kurt Goldstein und Günter Pappenheim, beide ebenfalls Buchenwald-Häftlinge, gehörten auch nach 1990 zu den Mahnern gegen Faschismus und Krieg.

Unsere Ehrung der Häftlinge galt allen Nationen, schloss sämtliche Gruppen ein, nicht nur – wie heute oft wahrheitswidrig behauptet – Kommunisten. Nachweisbar leisteten diese aber den konsequentesten Widerstand.

Liebe Freunde,
undenkbar, dass im anderen Deutschland, im westlichen Teil und der späteren Bundesrepublik nach Ende des Krieges solches Gedenken und Mahnen zur bestimmenden Politik geworden wäre. Das Gegenteil war der Fall. Dort waren die materiellen und geistigen Urheber, zum Teil sogar die Vollstrecker dieser Verbrechen, maßgeblich an der Macht beteiligt. Erwähnt sei hier nur stellvertretend Hans Maria Globke, Mitverfasser der Nürnberger Rassengesetze, zehn (!) Jahre in der BRD bis 1963 Chef des Bundeskanzleramtes.

Übrigens war mein Genosse, der Generalstaatsanwalt, der Auschwitz-Häftling Joseph Streit 1963 im Globke-Prozess vor dem Obersten Gericht der DDR Hauptankläger dieses Juden-mörders. Unser Gericht verurteilte ihn in Abwesenheit zu lebenslänglich.

Ich führte während des Prozesses als Student Hunderte von Besuchern aus dem In- und Ausland durch eine große Globke-Ausstellung der Nationalen Front der DDR. Das war Aufklärung auch über Judenverfolgung! In der BRD genoss Globke bis zum Lebensende 1973 einen friedlichen Lebensabend, mit Sicherheit bei guter Pension.

In Westdeutschland wurden Antifaschisten dagegen nahezu ohne Unterbrechung verfolgt und bestraft. Sogar von faschistischen Richtern. Unter den Verfolgten waren viele ehemalige KZ-Häftlinge. Ihre Organisationen wurden verboten, 1956 traf es die Kommunistische Partei. So viel zur „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ und dem Antifaschismus der alten Bundesrepublik.

Liebe Freunde,
Buchenwald war eines von rund 1.000 Konzentrationslagern und Nebenlagern und sieben Vernichtungslagern. Zwei Besonderheiten zeichneten Buchenwald aus: die Selbstbefreiung und der Buchenwald-Schwur.

Unter Verantwortung des Illegalen Lagerkomitees (ILK), geleitet vom Kommunisten Walter Bartel und der militärischen Führung, befreiten sich die Häftlinge vor dem Eintreffen der Amerikaner, und hier wurde der legendäre Buchenwald-Schwur geleistet.

Mit der Ideologie des seit 1990 staatlich vereinten Großdeutschlands wird heute die Selbstbefreiung geleugnet. Wenn überhaupt, soll sie erst mit Hilfe der Amerikaner erfolgt sein. Und der Schwur wird seines wesentlichen Kerns beraubt. Der Textteil des Schwurs „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung“ sei gegen die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ gerichtet. Und führte zur Beobachtung durch den deutschen Geheimdienst.

Dies war und ist Teil der Gesamtdiffamierung des Antifaschismus der DDR, der nur verordnet gewesen sei.

Der ehemalige Buchenwald-Häftling Kurt Goldstein kontert: „Es ist medien- und Politik-üblich, den Antifaschismus in der DDR herabsetzend als ,verordnet‘ zu bezeichnen. Natürlich war er verordnet. Wie sollte es auch anders sein in einem Land, dessen Menschen zu 90,95 Prozent (…) Hitler die Treue gehalten hatten. Ich bin mir auch der Defizite dieses Antifaschismus bewusst (…) Wahr ist aber auch, dass es diese Erziehung zum Antifaschismus, die Vermittlung seiner Werte zur Menschlichkeit, Toleranz, Völkerfreundschaft gab und diese Werte bei vielen sich bis heute erhalten haben. In der BRD Adenauers dagegen waren die Beamten Hitlers (…) nach kurzer Schampause staatstragende Elemente. Das soll sich nicht auf das geistige Klima in der Gesellschaft ausgewirkt haben und nicht bis heute nachwirken?“ (LAZ, Ausgabe 17, Oktober 2000).

Ja, dieses Klima wirkt nicht nur nach, es ist neu befeuert worden. Ein radikaler Bruch mit dem Faschismus ist in diesem Staat nie erfolgt. Heute gebärden sie sich als Antifaschisten, betreiben aber mit ihrem Krieg gegen Russland eine Politik, die in Hass und Hetze denen der Faschisten nicht nachsteht. Auch mit solchen Worten wie „kriegstüchtig“, bereits von Goebbels gebraucht und gefordert.

Kein Wunder, wenn antifaschistische Gedenkstätten wie jüngst in Berlin-Friedrichsfelde, wenn sowjetische Ehrenmale und Kriegsgräber geschändet werden.

Welch eine Perversion des sich feiernden Antifaschismus, wenn Russlands Teilnahme am Gedenken in Buchenwald nicht willkommen ist. Ähnliches in anderen KZ wie in Auschwitz, das sogar von der Roten Armee befreit wurde. Oder im KZ Mauthausen in Österreich, wo Vertreter der Russischen Föderation an öffentlichen Ehrungen nicht teilnehmen dürfen, wie mir meine österreichischen Genossen berichteten.

Und zum 80. Jahrestag der Befreiung in diesem Jahr legen die Geschichtsfälscher noch nach. Seit wenigen Tagen ist bekannt, dass das Auswärtige Amt eine Handreichung herausgegeben hat, wonach offizielle Vertreter von Russland und Belarus bei Gedenkveranstaltungen nicht erwünscht seien. Ausgerechnet das AA mit seiner Nazigeschichte, in dem bis heute offenbar unter Baerbock solcher Geist herrscht.

Von der belorussischen Botschaft wird berichtet, ihr sei ein Schreiben der Buchenwaldstiftung zugegangen, unterzeichnet vom Direktor Christian Wagner, belorussische Vertreter seien in diesen Wochen auf Gedenkveranstaltungen in Thüringen unerwünscht. Wir verurteilen diese feindseligen Akte der deutschen Regierung und ihrer Unterstützer und fühlen uns mit Dank eng verbunden mit den belorussischen und russischen Völkern.

Wir sind dankbar für die Teilnahme von Vertretern der russischen Botschaft an dieser Ehrung.
Wie forderte der Stiftungsdirektor Wagner auf der Gedenkveranstaltung vor wenigen Tagen? Nicht nur gedenken, sondern nachdenken! Wir wünschen auch Herrn Wagner dabei neue Erkenntnisse.

Liebe Genossinnen und Genossen,
mit Hochachtung verneigen wir uns vor den ehemaligen KZ-Häftlingen, die in diesen Wochen auf Gedenkveranstaltungen über Lehren für die Gegenwart sprechen. Nicht ehrlich sind aber die Worte von herrschenden Politikern auf diesen Feiern. Sie sprechen von Antifaschismus, betreiben aber in Wirklichkeit eine Politik des Gegenteils.

Wer 80 Jahre nach der Zerschlagung der Hitlerdiktatur den Hauptträger des Sieges über den Faschismus, Russland, mit Russophobie, Sanktionen und Kriegsvorbereitung als Feind behandelt, hat aus der Geschichte nichts gelernt.
Geschichtsfälschung und Geschichtsvergessenheit, Tatsachenunterdrückung und Tatsachenverfälschung gehören heute zu den Werten der westlichen Staatengemeinschaft. Sie gehören zur Manipulation von Fühlen, Denken und Handeln der Menschen im Interesse von Macht und Profit.

Das betrifft die Kriege in der Ukraine wie auch im Nahen Osten. Statt sich für einen ehrlichen, gerechten und nachhaltigen Frieden in diesen Konflikten einzusetzen, ist Deutschland führend bei der weiteren Eskalation des Krieges in Europa, und es unterstützt den Völkermord an den Palästinensern.

Liebe Teilnehmer!
Vor 80 Jahren haben sich die Häftlinge des KZ Buchenwald selbst befreit. Die Befreiung Deutschlands vor 80 Jahren erfolgte durch die siegreichen Alliierten, zuvorderst durch die Rote Armee.

Die Befreiung von Lüge und Krieg im heutigen Deutschland müssen wir selber erstreiten, wie es schon das Kampflied der internationalen Arbeiterbewegung, „Die Internationale“, fordert.

Angesichts der volksfeindlichen und völkerfeindlichen Politik Deutschlands, der Kriegsvorbereitung und der zunehmend faschistischen Entwicklung gilt heute umso mehr:
Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!
Frieden und Freundschaft mit Russland!

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