Der ANC hat kaum Antworten auf aktuelle Probleme

Erinnerung an Befreiungskampf verblasst

Von Paul Rodermund

Die politische Dominanz des African National Congress (ANC) war in Südafrika lange Zeit unumstritten, weil er die Partei der Befreiung von der Apartheid ist. Diese Zeiten scheinen vorbei, ist doch über die letzten Jahre hinweg ein klarer Abwärtstrend in der Unterstützung des ANC zu beobachten. Konnte der ANC seit 1994 durchweg mit einer stabilen absoluten Mehrheit regieren, deutet sich nun ein grundlegender Wandel hin zu Koalitionsregierungen an. 22 Jahre nach Ende der Apartheid gibt es offenbar insbesondere für junge Wähler wenig Anlass, den ANC allein aus Tradition des Kampfes gegen die Apartheid zu wählen. Das zeigte sich besonders deutlich bei den jüngsten Kommunalwahlen Anfang August dieses Jahres.

Mit landesweit 54,5 Prozent hat der ANC sein schlechtestes Wahlergebnis der Geschichte eingefahren und den Abstiegstrend der letzten Jahre fortgesetzt. Während das westliche Kap schon länger in der Hand der größten Oppositionspartei, der Democratic Alliance (DA), ist, hat der ANC nun auch in Nelson Mandela Bay, Tshwane und Johannesburg seine absolute Mehrheit eingebüßt. Die Economic Freedom Fighters (EFF), mit dem ehemaligen Vorsitzenden der ANC-Jugendliga, Julius Malema, an der Spitze, traten erstmals zu den Kommunalwahlen an und erreichten mit landesweit 8,2 Prozent mehr als einen Achtungserfolg. Während die EFF einerseits eine Koalition mit der DA kategorisch ausschlossen, verhalfen sie andererseits jüngst Bürgermeistern der DA ins Amt, um die als korrupt und unfähig empfundenen Vertreter des ANC abzustrafen.

Vom Vorsitzenden Jacob Zuma und aus der Parteiführung des ANC waren nach der Wahl kaum selbstkritische Töne zu vernehmen. Anders bei den beiden dauerhaften Koalitionspartnern des ANC, dem Gewerkschaftsbund COSATU und der Kommunistischen Partei (SACP). Beide betonten, dass die Entfernung der Partei von den Anliegen der Massen eine gefährliche Entwicklung sei. Korruption, Arroganz führender Politiker und das Fortbestehen drängender sozialer Probleme hätten viele dazu veranlasst, dem ANC einen Denkzettel zu verpassen. Dazu passt, dass auch im Wahlkampf interne Machtkämpfe, Korruptionsskandale und die schwindende Popularität Zumas eine größere Rolle gespielt haben als die Frage, wie die drängendsten sozialen Probleme zu lösen seien.

Die Stimmverluste des ANC gehen Medienberichten zufolge weniger auf eine gewachsene Zustimmung zur DA, sondern vor allem auf eine Abkehr weiterer Teile der Bevölkerung vom ANC zurück. Traditionell erhält der ANC insbesondere aus ärmeren, ländlichen Gegenden einen Großteil der Stimmen. Während vor allem in den ersten Jahren nach Ende der Apartheid umfangreiche Häuserbauprogramme, Elektrizitätsversorgung und Ausbau der öffentlichen Daseinsfürsorge angekurbelt wurden, folgten schon bald neoliberale Maßnahmenprogramme, Freihandelsabkommen und Schaffung weiterer Investitionsmöglichkeiten für ausländisches Kapital. Während sich Südafrika zu einem aufstrebenden kapitalistischen Land entwickelt hat, haben die Klassenunterschiede innerhalb des Landes weiter zugenommen.

Ein größerer Teil der ländlichen, verarmten Bevölkerung ist den Wahlen dieses Mal ganz ferngeblieben. Auf der anderen Seite hat sich in den Metropolen Südafrikas mittlerweile eine Schicht von Facharbeitern und leitenden Angestellten herausgebildet, die der ANC mit seiner Rhetorik ebenfalls immer weniger erreicht. Sie treiben Verlustängste, Sicherheit und persönliche Freiheiten um – kurz gesagt, ihre sozialen Probleme sind vordergründig andere als die der Menschen in den Vororten und Townships.

Die Wahlergebnisse sind damit gleichzeitig auch Symbol für die Zerrissenheit des ANC selbst. Der ANC hatte 1994 als Massenorganisation nicht viel mehr Zusammenschweißendes als den Kampf gegen die Apartheid. In einem Interview im Juni 1990 ging Mandela sogar so weit, den ANC als Bewegung ohne eine umfassende Ideologie zu beschreiben. COSATU und SACP versuchen daher von Beginn an, den ANC auf eine linkere Linie mit stärkerer Verbindung zur Arbeiterklasse zu drängen. War die bedingungslose Unterstützung des ANC in beiden Organisationen immer wieder umstritten, ist nach der Wahl vor allem der Ruf nach Einigkeit zu vernehmen. Die Kommunisten fürchten, dass eine Änderung ihrer Strategie sie selbst in die politische Bedeutungslosigkeit befördert und den rechten Kräften in- und außerhalb des ANC die politische Macht übergibt.

Gab es zum Ende der Apartheid tatsächlich eine Phase, in der die politische Ausrichtung des ANC umkämpft war, deutet heutzutage nichts darauf hin, dass der ANC von seiner liberalen Wirtschaftspolitik abrückt und einen Schwenk hin zu einer Politik zu Lasten des aus- und inländischen Großkapitals vollziehen könnte. Die aufrüttelnde Wirkung, die insbesondere die jüngsten Wahlergebnisse eigentlich haben sollten, scheint damit auszubleiben. Leider.

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"Erinnerung an Befreiungskampf verblasst", UZ vom 14. Oktober 2016



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