Mittwochnachmittag, 17 Uhr: Der „Biergarten Gretchen“ (Hannover-Linden) ist gefüllt bis auf den letzten Platz. Das liegt heute nicht nur am guten Wetter – die Beschäftigten der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und das Bündnis „Gesundheit statt Profite“ haben zu einer Stadtversammlung eingeladen. Sie fordern einen Tarifvertrag Entlastung (TV-E). Auf dem Transparent hinter dem Podium steht: „Wer rettet Dich, wenn wir nicht mehr können?“
Eigentlich arbeite sie gerne in ihrem Beruf, sagt Sandra, aber: zu wenig Personal, zu wenig Zeit, zu viele Patientinnen und Patienten – da könne sie nicht so pflegen, wie sie es gelernt hat. Als Praxisanleiterin ist sie für die Wissensvermittlung der Auszubildenden verantwortlich, auch hier müsse sie „Abstriche machen“. „Da werde ich meinem Anspruch an die Pflege nicht gerecht“, bringt sie ihren Pflegealltag auf den Punkt.
Kolleginnen und Kollegen aus anderen Bereichen bestätigen Sandras Bericht. Personalmangel und Überlastung als Folgen permanenten Kostendrucks schaden der Qualität der Pflege. Der Personalmangel wird noch verstärkt durch Einsätze in fachfremden Bereichen mit hohem Einarbeitungsbedarf, zum Beispiel für Kolleginnen und Kollegen aus dem OP.
Überlastet ist nicht nur die Pflege, so Momo aus dem Transportdienst. Schwere Wagen und Geräte viele Kilometer weit zu bewegen ist körperlich schwere Arbeit. Dazu kommen Überstunden und Einspringen aus dem „Frei“.
Eigentlich gibt es genügend ausgebildete Pflegekräfte, nur wandern viele wegen der schlechten Bedingungen ab, so die Studie „Ich pflege wieder, wenn …“. Zudem brechen viele Auszubildende ihre Ausbildung ab – an der MHH ein Drittel.
Lina, Auszubildende im ersten Jahr, schildert, woran das liegt. Pflege ist ein Handwerk und braucht praktische Übung, doch die leidet unter Personal- und Zeitmangel. Azubis übernehmen auch Aufgaben, ohne dafür ausgebildet zu sein. Und: „Empathie braucht Zeit – die fehlt.“ Am elften Arbeitstag kann man ohnehin nicht mehr davon sprechen, etwas zu lernen.
Was soll der Tarifvertrag regeln? Klare Untergrenzen fürs Personal, Obergrenzen für die Belastung, und bei Über- beziehungsweise Unterschreitung dieser Grenzen einen Ausgleich durch freie Tage. Damit wollen die MHH-Beschäftigten „eine Erfolgsgeschichte fortschreiben“ – an der Berliner Charité seien nach Durchsetzung eines TV-E netto 500 Pflegekräfte dazugekommen.
Nadja Rakowitz vom „Verein demokratischer Ärztinnen“ schildert die Ursachen der Misere: Kaputtsparen und Ökonomisierung des Gesundheitswesens durch die diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRGs). Genug Geld für ein besseres Gesundheitswesen sei in der reichen BRD vorhanden, aber falsch verteilt. „Warum bezahlen wir kapitalistische Konzerne aus Krankenkassengeldern?“ fragt sie unter großem Beifall.
Lisa berichtet vom erfolgreichen 77-tägigen Streik am Uniklinikum Münster für Entlastung und betont: „Nicht der Streik gefährdet Patientinnen, sondern die aktuelle Situation.“ Die anwesenden Beschäftigten des MHH machen deutlich: auch sie sind streikbereit, wenn es bis zum Ablauf ihres 100-Tage-Ultimatums am 16. August keine Einigung gibt.
Jürgen, Stadionwirt und ehemaliger Patient, dankt für seine Behandlung in der MHH. In seinem langen Aufenthalt sei allerdings auch „für jeden Blödmann erkennbar“ gewesen, dass alle Stationen unterbesetzt waren. Darum unterstützt er jetzt die Krankenhausbewegung für Entlastung.
Ihre Unterstützung erklären auch Ärzte und Studierende der MHH sowie weitere Menschen aus der Hannoverschen Stadtgesellschaft. Beim Thema Entlastung gehe es nicht nur um die im Krankenhaus Beschäftigten, sondern gemeinsam für alle. Das ist das Bündnis!
Am Freitag, den 16. August, wird ab 14.30 Uhr eine öffentliche Kundgebung im Stadion des SV Arminia Hannover (Bischofsholer Damm) stattfinden.
Das Bündnis „Gesundheit statt Profite“ trifft sich mittwochs von 18 bis 19.30 Uhr in den ver.di-Höfen (Goseriede 10, Hannover).