Es scheint unglaublich, dass die Sieben-Tage-Inzidenz in Kuba Anfang dieser Woche auf 7,7 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner gefallen ist, nachdem sie im August bei fast 10.000 gelegen hatte. Noch Anfang September litt das Land unter dem schwersten Corona-Ausbruch seit Beginn der Pandemie. Am Montag dieser Woche wurden dann nur noch 88 neue Covid-19-Fälle und zwei an oder mit dem Virus verstorbene Patienten gemeldet. Damit ist ein Land des globalen Südens in der Pandemie-Bekämpfung erfolgreicher als wohlhabende Industrienationen wie Deutschland, Österreich oder die Schweiz, von den Vereinigten Staaten ganz zu schweigen.
Doch was wie das „Wunder von Kuba“ wirkt, ist nicht das unerklärliche Ergebnis von Magie oder göttlicher Gnade, sondern das einer Gesellschaftsordnung, in der die Bedürfnisse der Bevölkerungsmehrheit Vorrang vor den finanziellen Interessen einer Minderheit haben. Die Überlegenheit eines Systems, das ein am Gemeinwohl orientiertes und deutlich effizienteres Gesundheitssystem ermöglicht, zeigt sich in der Pandemie auch bei der Verteilung und Wirksamkeit der – trotz verschärfter US-Blockade – im Land entwickelten Impfstoffe. „Das kubanische Vakzin Soberana weist in klinischen Studien eine hohe Wirksamkeit von 92,4 Prozent auf“, stellte die britische Fachzeitschrift „Nature“ am 22. November fest. Ein weiterer kubanischer Impfstoff sei „ähnlich gut“.
Die sozialistische Inselrepublik hat als einziges Land Lateinamerikas fünf eigene, hochwirksame Covid-19-Vakzine entwickelt und produziert. Als Ergebnis einer landesweiten Kampagne hatten – nach Angaben der Johns Hopkins University – bis Anfang Dezember 10,2 Millionen und damit über 90 Prozent der 11,3 Millionen Einwohner eine Erstimpfung erhalten. „Innerhalb weniger Monate wurden mehr als 80 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft, einschließlich Kindern ab einem Alter von zwei Jahren. Offenbar mit Erfolg. Die Epidemie ist derzeit unter Kontrolle“, berichtete das „Deutsche Ärzteblatt“ am Dienstag vergangener Woche anerkennend. Selbst die rechtskonservative „Welt“ musste unter der Schlagzeile „Kubas Impf-Sensation“ eingestehen: „Binnen weniger Wochen hat es Kuba offenbar geschafft, beim Impfen locker die USA und Deutschland zu überholen.“
Doch „obwohl die Statistiken über die Inzidenz zurückgehen und die Impfungen voranschreiten“ bestehe heute „die größte Herausforderung darin, bei der Bekämpfung der Krankheit wachsam zu bleiben, um einen erfolgreichen Übergang zur neuen Normalität zu gewährleisten“, zitierte das Zentralorgan der Kommunistischen Partei Kubas, „Granma“, den Appell einer von Präsident Miguel Díaz-Canel geleiteten Arbeitsgruppe zur Prävention und Eindämmung der Pandemie, die am Samstag in Havanna getagt hatte. Zwar war bis Montag noch kein Fall der Omikron-Variante in Kuba nachgewiesen worden, doch will das Land das bisher Erreichte nicht aufs Spiel setzen. Drei Tage, nachdem die Weltgesundheitsorganisation die neue Omikron-Variante am 26. November als „besorgniserregend“ eingestuft hatte, erklärte der Präsident von BioCubaFarma, Eduardo Martínez Díaz: „Wir sind bereits dabei, spezifische Impfstoffe zu entwickeln.“
Ein Vorteil der kubanischen Impfstoffe bestehe darin, dass sie im Gegensatz zu den mRNA-Präparaten von Biontech/Pfizer und Moderna nicht bei extrem niedrigen Temperaturen gelagert werden müssen und deshalb leichter in entlegene Gebiete geliefert werden können, hebt „Nature“ hervor. „Ich denke, dass das Vakzin eine nützliche Ergänzung für die ganze Welt werden wird“, zitierte das Magazin den US-Virologen John Grabenstein. Für viele Länder des globalen Südens, die im Verteilungskampf um Impfstoffe bisher keine Chance gegen die wohlhabenden Industrienationen hatten, ist Kuba eine Hoffnung. Laut Vicente Vérez Bencomo, dem Leiter des Finlay-Instituts für Impfstoffe in Havanna, ist das Land in der Lage, pro Jahr 100 Millionen Dosen herzustellen. Kuba liefert seine Vakzine bereits nach Venezuela, Nicaragua, Vietnam und in den Iran.