Der Friedensprozess in Kolumbien, der inzwischen mit der Abgabe der Waffen der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) an einem eigentlich unwiderruflichen Punkt angelangt ist, droht an einem juristischen Bescheid zu scheitern. Das Verfassungsgericht hat die Buchstaben h und j des Gesetzes 01/2016 wegen angeblicher Aufhebung von Verfassungsbestimmungen für verfassungswidrig erklärt und gab damit der rechten Opposition, namentlich der Partei „Centro Democrático“ (CD) Recht, deren Ehrenvorsitzender der Friedensgegner und Ex-Präsident Álvaro Uribe ist.
Hintergrund ist, dass die Regierung den Friedensvertrag mit den FARC per „Fast Track“ durch das Parlament bringen wollte. Das Verfassungsgericht verteidigt in seinem Beschluss jedoch das Recht der Parlamentarier, den Text der Vereinbarungen Artikel für Artikel abändern zu können und nicht etwa nur in kompletten Blöcken ja oder nein sagen zu dürfen. Damit werde die Gewaltenteilung gesichert, so das Gericht in seiner Stellungnahme vom 18. Mai.
1,3 Millionen Menschen hatten eine entsprechende Eingabe an das Gericht unterschrieben, die vor allem vom CD-Abgeordneten Iván Duque vorangetrieben wurde. Dieser zeigte sich begeistert und äußerte, dass „der Kongress nicht der Notar der Casa de Nariño“ (Präsidentenpalast, also des Präsidenten Juan Manuel Santos) sei.
Fakt ist, dass dadurch nicht nur erhebliche Verzögerungen verursacht werden, weil die Debatten im Parlament sich nun Monate hinziehen dürften, sondern auch wesentliche Vereinbarungen mit den FARC noch zu einem Zeitpunkt verändert werden können, wo diese ihr stärkstes Argument – ihre Bewaffnung – abgegeben haben. Auch und vor allem aufgrund der vielen negativen Erfahrungen in den sieben Jahrzehnten des Bürgerkriegs, wo immer wieder ehemalige Kämpferinnen und Kämpfer nach Abgabe ihrer Waffen massakriert wurden, sind die Waffen für die Guerilleros die einzige Option für das Überleben, wenn der Staat sich von den gemachten Versprechen verabschiedet.
FARC-Chefunterhändler Iván Márquez äußerte die Erwartung, dass Präsident Santos von seinen verfassungsmäßigen Rechten Gebrauch mache, um den Friedensprozess weiterzubringen. Nach Auffassung der FARC ist das durch den Verfassungsartikel 189 (6) möglich, der dem Präsidenten Vollmachten zur Aushandlung und Umsetzung von Friedensabkommen gibt. Die Organisation veröffentlichte eine Erklärung ihres Sekretariats mit einem „Aufruf zum Gebrauch des gesunden Menschenverstands, damit die Möglichkeit, Frieden zu schaffen, zum obersten heiligen Recht in der Verfassungsordnung wird, der uns anzuschließen wir akzeptiert haben.“ Die FARC sehen die reale Gefahr der weiteren Sabotage des Prozesses durch die rechten Kräfte, die das als ihr Ziel auch öffentlich erklärt hatten.
Gleichzeitig würdigen die FARC die Kongressmehrheit, die wichtige Gesetze zur Umsetzung der Vereinbarungen verabschiedet habe. Die FARC erklären ihre Bereitschaft, weiterhin auf dem Weg in das legale politische Leben zu gehen, aber sie stellen fest, dass der vorgesehene Zeitablauf infrage gestellt ist. Sie blieben daher wachsam. Eine neue Leitung des Prozesses sei notwendig, weil es zu einer „substantiellen Änderung der Bedingungen“ gekommen sei. Deshalb schlagen die FARC auch einen Dialog mit allen politischen und gesellschaftlichen Kräften vor, um endlich die in Havanna vereinbarte nationale politische Übereinkunft zu erreichen; außerdem werden alle Kolumbianerinnen und Kolumbianer aufgerufen, ihre Zustimmung zu den Friedensabkommen zu zeigen. „Sechs Jahre hat es uns gekostet, den komplexen Weg der Verhandlungen, der Unterschrift unter ein Abkommen und jetzt seiner vorgezogenen Umsetzung zu beschreiten. Solch kollektive Anstrengung darf nicht an juristischen Entscheidungen scheitern. Dieser Friedensprozess braucht mehr Taten und weniger Gesetze.“
Unterdessen sind durch anhaltende Gefechte auch die Verhandlungsgespräche der Regierung mit dem Nationalen Befreiungsheer (ELN) gefährdet. Die Auseinandersetzungen finden zunehmend in Gebieten statt, die die FARC nach dem Friedensschluss verlassen haben und in die neben dem ELN auch paramilitärische Todesschwadronen einsickern. Im ganzen Land wird außerdem von Morden an politischen Aktivisten berichtet, die die versprochene Rückgabe von Land verlangen, von dem sie im Verlauf des Krieges vertrieben worden waren. Außer dem ELN sind in Kolumbien auch noch Reste der maoistischen Guerilla EPL sowie eine Front der FARC aktiv, die sich dem Friedensschluss nicht anschließen will, weil sie der herrschenden Klasse nicht traut. Wie es scheint, könnte sie Recht behalten.