Zur Freiheit an deutschen Hochschulen

Erdrosselungsstrategie

Bei den Feiern zum 75. Jahrestag des Grundgesetzes ist sein Artikel 5 wenig in den Reden aufgetaucht und dessen Absatz 3 praktisch nirgends. Er lautet: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“

Der zweite Satz dieses Absatzes ist in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts missbraucht worden, um Kommunistinnen und Kommunisten und allen, die mit ihren Ideen auch nur liebäugelten, den Weg auf Anstellungen im Hochschulbereich zu untersagen, bis dann der Europäische Gerichtshof dem ein wenig Einhalt gebot und diese Berufsverbotspraxis für unvereinbar mit den europäischen Werten erklärte.

Artikel 5, Absatz 3 hätte hochgehalten werden können und sollen, als „Bild“ in bester Anknüpfung an die Jahrzehnte dieser Gesinnungshatz Mitte Mai auf einer ganzen Seite die „UniversiTÄTER“ brandmarkte, die „als Lehrkräfte den Studentenmob“ in ihrem „Israel-Hass“ an Berliner Universitäten unterstützen würden. Auf zwei Spalten mit zwölf Fotos, Namen und Funktionsangaben wurden die „Lehrkräfte“ an den öffentlichen Pranger gestellt, die den „offenen Brief für Juden-Hass-Demos“ unterschrieben hätten. Gemeint war: Die sich gegen den Einsatz repressiver Mittel gegen die Aktionen von Studentinnen und Studenten gewendet hatten, die gegen den anhaltenden Völkermord im Gaza-Streifen protestierten und ihre Stimme gegen die völlige Vernichtung buchstäblich aller universitären Einrichtungen durch die dortige Besatzungsmacht erhoben. Die Protestlager der palästinensischen Studierenden und ihrer Unterstützer hatten, wie „Bild“ befriedigt feststellte, „die Leitungen der Berliner Freien Universität und der Humboldt-Uni inzwischen von der Polizei vertreiben lassen“. Filipp Platon, Kommentator des Blattes, reichte das nicht: „Der Rechtsstaat, der diese Lehrkräfte finanziert, muss alle Möglichkeiten prüfen. Wer Gewaltaufrufe gegen Juden deckt, sollte niemals junge Menschen unterrichten.“

Kurz nach diesem medialen Warnschuss beging die Präsidentin der Technischen Universität Berlin, den, wie sie es formulierte, „Fehler“, Berichte über das anhaltende Massaker im Gaza-Streifen zu „liken“, also mit einer kurzen Zustimmung zu versehen. Danach wurde die analoge und digitale Medienmeute auf sie losgelassen. Im Vollzug dieser Stimmungsmache forderte der Akademische Senat der Universität sie mit knapper Mehrheit in einem „Meinungsbild“ zum Rücktritt auf. Sie lehnte zwar ab, muss sich aber nun – nach Abfassen dieses Kommentars – noch einer Sondersitzung des Kuratoriums der Universität stellen, die sie mit Zweidrittelmehrheit aus dem Amt jagen könnte. Aufgefordert durch den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz meldete am letzten Wochenende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schon mal Vollzug: Bei der anstehenden Neuordnung des bei ihm angesiedelten „Zukunftsrates“ werde die auch international renommierte Mathematikerin nicht mehr berücksichtigt werden.

Stück für Stück wird so im Pingpong zwischen Medienkonzernen, Staatsführung und polizeilicher Gewalt die grundgesetzlich geschützte Freiheit an den deutschen Hochschulen erdrosselt. Im Grundgesetz ist als einzige Grenze der Freiheit von Wissenschaft und Lehre die „Treue zur Verfassung“ gesetzt. Nun aber wird die von der Regierung deklarierte „Staatsräson Israel“ zur Grenze erhoben, hinter der weder gedacht noch gesprochen oder gar demonstriert oder geliked werden darf. Auf dem Marsch in den Krieg geht damit dieser deutsche Staat noch über die Repressionspraxis der Berufsverbote hinaus.

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"Erdrosselungsstrategie", UZ vom 14. Juni 2024



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