In der Türkei wüten die schlimmsten Waldbrände seit Jahrzehnten

Erdogan gießt Öl ins Feuer

Seit gut zwei Wochen brennt die Türkei. Die verheerenden Waldbrände sind eine Folge des menschengemachten Klimawandels, in ihren dramatischen Folgen allerdings vor allem Ausdruck politischen Versagens und der Privatisierung des Katastrophenschutzes. Offiziellen Angaben zufolge brannte es zwischenzeitlich in 47 von 81 Provinzen der Türkei. Betroffen sind vor allem die südlichen Touristengebiete von Antalya und Mugla. Tausende Menschen mussten ihre Häuser verlassen, mindestens acht Menschen starben, darunter ein Ehepaar aus Deutschland. Mehr als 200 Feuer wurden bisher unter Kontrolle gebracht. Gebannt ist die Brandgefahr angesichts einer anhaltenden Hitzewelle mit Temperaturen deutlich über 40 Grad Celsius und der damit verbundenen Trockenheit aber noch lange nicht. Doganay Tolunay, Forstingenieur an der Istanbul-Universität, warnt gegenüber „dpa“, bis Oktober bestehe das Risiko weiterer Brände. Die bisherigen Feuer hätten so viel Zerstörung hinterlassen wie seit 1946 nicht mehr. Damals waren in der Türkei 1.650 Quadratkilometer Waldfläche verbrannt. Bei den Feuern der vergangenen Tage sollen Schätzungen zufolge bereits 1.500 Quadratkilometer Land zerstört worden sein – ein Gebiet, das fast drei Mal so groß ist wie der Bodensee.

Die Kritik am katastrophalen Krisenmanagement der AKP-Regierung wächst – bei der Opposition wie in der Bevölkerung. Es rächt sich bitter, dass auf Betreiben des türkischen Autokraten Recep Tayyip Erdogan in den vergangenen Jahren – ganz dem Privatisierungswahn auch anderer Länder folgend – der Katastrophenschutz ausgelagert worden ist und die Türkei etwa keine eigenen einsatzfähigen Löschflugzeuge mehr hat. In der Stunde der Not müssen sie erst aus dem Ausland geordert werden. Noch dazu ist offensichtlich von den zuständigen Behörden nur ein Bruchteil des verfügbaren Gelds für den Kampf gegen Waldbrände abgerufen worden. So hat die Generaldirektion für Forstwirtschaft im ersten Halbjahr 2021 nur 1,75 Prozent der für diesen Zweck vorgesehenen fast 200 Millionen Türkischen Lira (knapp 20 Millionen Euro) ausgegeben, wie aus einem von der staatlichen Behörde selbst veröffentlichten Bericht hervorgeht. „Das ist eine Situation, die man als Verrat bezeichnen könnte“, kritisiert der Abgeordnete Murat Emir von der oppositionellen sozialdemokratischen CHP gegenüber „AFP“.

Für Empörung sorgt die vollkommene Abgehobenheit und Menschenverachtung des Präsidenten. Ein in den sozialen Medien häufig geteiltes Video zeigt Erdogan dabei, wie er auf einer Tour durch das Katastrophengebiet in Marmaris abgepackten Tee aus einem rasch vorbeifahrenden Bus in Richtung von Menschen am Straßenrand wirft, begleitet von Propagandaparolen über Lautsprecher. Ein Uniformierter duckt sich gerade noch weg, um von dem Teepaket nicht getroffen zu werden. Für viele Menschen ist das Video eindrücklicher Beweis für die Unfähigkeit der Regierung, adäquat auf die Brandkatastrophe zu reagieren, die Tausende Menschen ihrer Existenzen beraubt.

Erdogan ficht das nicht an, im Gegenteil, er gießt Öl ins Feuer. Wer den Autokraten für das Versagen im Brandschutz kritisiert, läuft Gefahr, verhaftet zu werden, wie man es auch aus anderem politischem Kontext kennt. Die Staatsanwaltschaft Ankara hat nach eigenen Angaben Ermittlungen wegen Beiträgen in Online-Netzwerken aufgenommen, unter anderem wegen „Beleidigung der türkischen Regierung“ sowie „Schürens von Angst und Unruhe“. Der Internetkampagne unter dem Hashtag #HelpTurkey wird vorgeworfen, das Land als „schwach“ dargestellt und „Angst verbreitet“ zu haben. Der Opposition wirft der türkische Staatschef noch dazu Mangel an Patriotismus vor: Wenn es Brände in den USA oder Russland gebe, stehe die Opposition hinter der Regierung, „das ist hier nicht so“, beklagt Erdogan, um parallel die rassistische Karte zu spielen. Zwischenzeitlich hat der Staatschef die Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, beschuldigt, Feuer gelegt zu haben. Die oppositionelle Demokratische Partei der Völker beklagt bereits eine wachsende Zahl von Übergriffen auf die kurdische Bevölkerung bis hin zu Lynchmorden durch türkische Faschisten.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Erdogan gießt Öl ins Feuer", UZ vom 13. August 2021



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Flagge.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit