„Die größte humanitäre Katastrophe weltweit, was die Anzahl der Menschen betrifft, die humanitäre Unterstützung benötigen.“ So beschrieb schon vor mehr als eineinhalb Jahren eine Presseerklärung des UN-Sicherheitsrats die Situation im Jemen.
Soweit die humanitäre Katastrophe überhaupt mediale Aufmerksamkeit erweckt, geht es heute vor allem um die Choleraepidemie, die mittlerweile den gesamten Jemen erfasst hat. Die WHO sprach im Juli von 500 000 Verdachtsfällen, und obwohl in vielen Gebieten der Höhepunkt der Epidemie überschritten scheint, kommen jeden Tag 5 000 Fälle dazu.
Verantwortlich sind die Bombenangriffe der saudischen Militärkoalition. Sie zerstören die Wasserversorgung, so dass kein sauberes Trinkwasser mehr zur Verfügung steht. Sie zerstören Krankenhäuser, so dass Erkrankte nicht angemessen behandelt werden können. Ein kleiner Teil der Infrastruktur wird in Bodenkämpfen zerstört. Aber „drei Viertel der Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser werden von der saudischen Koalition geflogen“, berichtete das „Handelsblatt“ am 13. Juli. Angesichts der saudischen Militärintervention im Jemen hatte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem Besuch in Saudi-Arabien für ein Ende der Luftangriffe ausgesprochen. Mittlerweile zeigt sich: Die Luftangriffe wurden sogar noch ausgeweitet.
Der „Global Protection Cluster“ – eine Organisation im Rahmen des UNHCR und der UN – berichtete, dass die Zahl der Luftangriffe der Militärkoalition Saudi-Arabiens 2017 weit höher liegt als noch 2016. Sie hat sich nach Angaben des GPC mit 946 Angriffen pro Monat im ersten Halbjahr 2017 gegenüber dem Vorjahr fast verdreifacht.
Als US-Präsident Trump im Mai mit den führenden Politikern der arabischen und islamischen Welt in Riad zusammentraf, sprachen sie sich für den Kampf gegen den Terrorismus aus. Was aber wirklich gemeint war, stand im „Kleingedruckten“: Die anwesenden Staaten wiesen die Politik des Iran, die die Stabilität und Sicherheit der Region und der Welt untergrabe und den Terrorismus fördere, zurück.
Mit dieser Erklärung und dem zugleich abgeschlossenen Waffendeal über 110 Mrd. Dollar wurde Saudi-Arabien in seinem Krieg bestärkt, der ja auch gegen den realen oder gedachten Einfluss des Iran gerichtet ist. Dies wog schwerer als der Wunsch der Bundeskanzlerin. Den wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und der Bundesrepublik tat die Ausweitung des Bombenkrieges keinen Abbruch, genauso wenig wie die übrige saudische Politik der Menschenrechtsverletzungen.
Der Bundessicherheitsrat hat die Ausfuhr von 110 Lastkraftwagen der Rheinmetall MAN Military Vehicles GmbH nach Saudi-Arabien genehmigt. Dorthin gehen auch vier Patrouillenboote der Lürssen-Werft sowie militärische Werkzeuge und Ausrüstungen der Fritz Werner Industrie-Ausrüstungen GmbH. Die Patrouillenboote werden wohl zur Verstärkung der Seeblockade gegen den Jemen eingesetzt werden. Und in Zukunft wird die Bundeswehr saudische Militärangehörige in Deutschland ausbilden.
Die Stimmung zwischen Saudi-Arabien und der Bundesrepublik ist gut. Nach dem erfolgreichen Waffendeal mit den Vereinigten Staaten kann Saudi-Arabien mehr Rücksicht auf deutsche Befindlichkeiten nehmen. „Wir werden der deutschen Regierung keine Probleme mehr bereiten mit immer neuen Wünschen nach Waffen“, sagte Vizewirtschaftsminister Mohammed al-Tuwaidschri gegenüber dem „Spiegel“. Dafür wird die wirtschaftliche Zusammenarbeit verstärkt: der Siemens-Konzern soll Saudi-Arabien bei der „digitalen industriellen Transformation“ im Rahmen des Wirtschaftsprogramms „Vision 2030“ unterstützen.
Die Luftangriffe und die humanitäre Katastrophe gehen weiter.