Damit hatte niemand gerechnet! Entsprechend groß war die Enttäuschung der bundesdeutschen Fans, deren Tipps vor dem Spiel 2:0 oder 3:0 für ihre Mannschaft gelautet hatten. Mit dem 1:0 der DDR-Elf steht der Neuling und Außenseiter an der Spitze der Gruppe 1. Es begann mit Pfiffen eines Teils der Zuschauer bei der DDR-Hymne. Allerdings war das einem anderen, dem größeren, Teil des Publikums peinlich. Derlei Behandlung von Gästen kam nicht an.
Das Spiel begann wie erwartet nervös. Hier kam die DDR zu zwei steilen Kontern, einmal durch Sparwasser, als er eine verunglückte Rückgabe von Schwarzenbeck erlaufen konnte.
Dann kam das BRD-Team allmählich in Tritt und erkämpfte sich einige Chancen, die jedoch nichts einbrachten.
In der vierten Minute zieht Grabowski einen trockenen 16-Meter-Schuss ab, der jedoch knapp daneben geht. Drei Minuten später zögert Hoeneß mit dem Abschluss, nachdem er sich schön durchgespielt hat, und verstolpert. Dazwischen immer wieder gefährliche Konter des DDR-Teams, dessen Abwehr sehr gut durch Bransch organisiert wird.
Dann die 10. Minute. Müller setzt sich erstmals im Strafraum durch, Croy ist schon geschlagen – doch auch der Bayer vergeigt das Tor.
Dann legt sich die Nervosität. Die DDR kommt nun auf, spielt „aus der Tiefe des Raumes“, wie Buschner nachher erklärte, lockt den BRD-Sturm möglichst weit nach vorn und sorgt, mehrfach durch Stopper Wätzlich, für Gegenstöße.
Die Partie bleibt interessant. Beckenbauer, in den letzten Tagen oft geschmäht, wird zur dominierenden Spielerpersönlichkeit auf dem Platz. Seine Pässe kommen an, seine Abwehraktionen sind von traumwandlerischer Sicherheit.
Aber deutlicher wird nun die mangelnde Entschlussfreudigkeit unserer Stürmer, deren Aktionen nur bis zum gegnerischen Strafraum brillant bleiben.
Die größte DDR-Chance der ersten Halbzeit vergibt in der 32. Minute Kreische, der nach einem Pass von Lauck, frei vor Maier, aus fünf Metern Entfernung das Tor nicht trifft.
Spannend beginnt auch die zweite Halbzeit. Nun verlagert die DDR ihr Spiel noch stärker auf die Defensive. Hoffmann kann sich bei seinen Durchbruchsversuchen gegen Vogts kaum durchsetzen, der kleine Mönchengladbacher bleibt gegen den 19-Jährigen der Chef.
Ähnlich abgemeldet ist allerdings auch Müller bei Weise.
Das taktische Konzept von Trainer Buschner geht voll auf. Die drei Sturmspitzen der BRD, Grabowski, Müller, Flohe, werden wie die beiden „Nachfolgestürmer“ (so Buschner), manngedeckt, Beckenbauer und Breitner, von denen man ebenfalls Angriffsaktionen erwartet hatte, erfuhren eine Raumdeckung.
In der 70. Minute kommt der heiß erwartete Netzer, der sich unter großem Jubel der Zuschauer warmgelaufen hatte, für den leicht angeschlagenen Overath aufs Feld, der nach einer starken ersten Viertelstunde häufiger sein Glück in Dribblings suchte und dabei an den kompromisslosen DDR-Abwehrspielern scheiterte.
Dass die DDR ein Tor schießen würde, hatte in dieser Spielsituation kaum jemand erwartet.
Es war ein herrlicher Treffer. In der 78. Minute setzt sich Sparwasser im Dribbling durch, lässt vor dem Tor auch Höttges stehen, täuscht Maier und knallt unhaltbar zum Führungstreffer ein.
Das DDR-Team verzögert nun das Spiel, versucht das Tempo zu senken. Dagegen findet unsere Mannschaft kein Rezept.
Die Stimmen
Bundestrainer Helmut Schön: Ich bin sehr enttäuscht, aber die DDR hat verdient gewonnen. Es hat sich gezeigt, dass auch die anderen Fußball spielen können.
DDR-Trainer Georg Buschner: Es war ein Sieg der Athletik und der Taktik. Aufgrund der gebotenen Chancen haben wir verdient gewonnen. Gegen die Bundesrepublik hatten wir den Vorteil, als Außenseiter ein Konterspiel aufziehen zu können.
Michael Kohl, DDR-Botschafter in Bonn: Es war in einem sehr fairen Spiel ein glücklicher, aber auch verdienter Sieg unserer Mannschaft. Vielleicht bin ich durch diese Begegnung zum Fußballfan geworden.
Jupp Posipal von der Weltmeister-Mannschaft 1954: Die DDR hat ihre taktische Leistung aus der ersten Halbzeit bis zum Schluss durchhalten können.
Die Mannschaften
BRD: Maier – Vogts, Beckenbauer, Schwarzenbeck (69. Höttges), Breitner, Hoeneß, Cullmann, Overath (72. Netzer), Grabowski, Müller, Flohe
DDR: Croy – Kische, Bransch, Weise, Wätzlich, Irmscher (Hamann), Lauck, Kreische, Kurbjuweit, Sparwasser, Hoffmann
Schiedsrichter: Barreto (Uruguay)
Zuschauer: 60.000