„Joker: Folie à Deux“ gelingt es nicht an der Sozialkritik des ersten Teils anzuknüpfen

Enttäuschung aus der Traumfabrik

Chauncy K. Robinson, People‘s World Übersetzt und bearbeitet von Melina Deymann

Vielleicht war der Film „Joker“ (2019) so etwas wie der gelungene Versuch, einen Blitz in der Flasche zu fangen. Es war eine lockere Adaption der Geschichte des kultigen Batman-Bösewichts, die seine Schurkerei nicht verherrlichte, sondern sie in eine reale Welt einbettete, die Themen wie Armut und Entfremdung erforschte. Der Film war beeindruckend, düster und unterhaltsam. Das Gleiche kann man von der Fortsetzung nicht behaupten. Die hervorragenden Schauspielleistungen in dem Musical/Psychothriller können den Film „Joker: Folie à Deux“ nicht vor sich selbst retten. Der Film ist übermäßig ziellos, selbstverliebt und miserabel, in der Hoffnung, dass das Publikum vergisst, dass er keine Handlung zu haben scheint.

Unter der Regie von Todd Phillips und mit einem Drehbuch, das er zusammen mit Scott Silver geschrieben hat, knüpft „Joker: Folie à Deux“ an die Geschichte von Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) nach den Ereignissen des ersten Films an. Arthur sitzt für die öffentliche Hinrichtung des Talkshow-Moderators Murray Franklin, die live im Fernsehen übertragen wurde, im Arkham Asylum. Arthur ist zu einer Berühmtheit geworden, und viele Menschen loben seine Rolle als Joker als eine rechtschaffene Figur, die die Fesseln der Gesellschaft abgeworfen hat. Außerdem wartet er auf seinen Prozess, bei dem sein Anwalt die Geschworenen davon überzeugen will, dass Arthur nicht wirklich die Kontrolle über seine Taten hatte, sondern – da er aufgrund eines Kindheitstraumas und Missbrauchs an einer gespaltenen Persönlichkeit leidet – die Rolle des Jokers geschaffen hat, um Rache zu üben. In dieser Zeit lernt er Harleen „Lee“ Quinzel (gespielt von Lady Gaga) kennen, die wie eine Seelenverwandte wirkt und von Arthurs Joker-Persönlichkeit angetan ist. Diese neue verdrehte Romanze treibt Arthurs Handlungen während seines berüchtigten Prozesses an.

Oh, und dann ist dieser Film auch noch ein Musical. Dieser Aspekt ist allerdings nicht sehr überzeugend, denn die über den ganzen Film verstreuten Songs wirken eher wie Füllmaterial, als dass sie die Handlung vorantreiben.

Der erste Film verknüpfte meisterhaft Themen der Klassenpolitik und des sozialen Kommentars miteinander. Arthurs Abstieg in den Wahnsinn wurde vor dem Hintergrund der systemischen Missstände in der Gesellschaft dargestellt. Er war zu verschiedenen Zeiten sowohl Opfer als auch Bösewicht in einem System, das viele Menschen an ihre Grenzen bringt – selbst das Jahrzehnt, in dem der Film spielt, schien gezielt gewählt.

Der Beginn der 1980er Jahre war in den USA eine turbulente Zeit für die arbeitende Bevölkerung. Unter Ronald Reagan und dem Einsetzen des Neoliberalismus frustrierten schlechte wirtschaftliche Bedingungen und politische Veränderungen das Land und ließen die Menschen nach Veränderungen suchen. Der Film nimmt Bezug auf diese düstere Atmosphäre, die von hoher Arbeitslosigkeit, der Streichung öffentlicher Hilfsprogramme und einem allgemeinen Gefühl der Unruhe auf den Straßen geprägt war. Der Film ist sowohl ein Charakterporträt als auch ein sozialer Kommentar zur gesamten Gesellschaft.

„Joker: Folie à Deux“ scheint all das zu vergessen. Wir bekommen einen Einblick, wie sich der Prozess auf die Stadt auswirkt, aber außer dem Jubel der Fans im Gerichtssaal passiert nichts Bedeutendes. Lady Gagas Harleen steht im Mittelpunkt von Arthurs Handlungen, aber sie wirkt eher wie eine Muse und ein Rätsel als ein ausgeprägter Charakter.

Viele der Szenen spielen sich im Arkham Asylum ab. Die schlimmen Zustände und die Behandlung der Insassen durch die Wärter könnten als Kommentar dazu gesehen werden, wie Gefangene oft im System verrotten, anstatt rehabilitiert zu werden. Aber auch hier wird dieses Thema nur durch Szenen der Grausamkeit und Gewalt aufgegriffen. Der Zuschauer wird Zeuge von Elend in seiner ganzen Pracht, gefolgt von einer gelegentlichen Musiknummer.

Die Kernbotschaft, die der Film zu vermitteln scheint, ist, dass das Leben letztlich eine Show ist und dass viele Tragödien, die wir erleben, keinen wirklichen Sinn haben. Dies steht in krassem Gegensatz zu seinem Vorgänger, der sein Publikum davon zu überzeugen versuchte, dass die Menschen zwar letztlich für ihr eigenes Handeln verantwortlich sind, die Gesellschaft aber eine Rolle dabei spielt, wer sie werden und welche Möglichkeiten sie haben. Möglicherweise hat der Filmemacher seine Lebensperspektive zwischen dem ersten und dem zweiten Film geändert. Und obwohl das der Fall sein mag, hat der erste Film seine Geschichte viel besser erzählt. Der zweite fühlt sich konfus und ziellos an. Vielleicht ist das der Sinn der Sache, aber es macht den Kinobesuch nicht gerade zu einem fesselnden Erlebnis.

Joker: Folie à Deux
Regie: Todd Phillips
Unter anderem mit Joaquin Phoenix, Lady Gaga, Brandan Gleeson und Leigh Gill
Im Kino

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"Enttäuschung aus der Traumfabrik", UZ vom 11. Oktober 2024



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