Zum zweiten Mal in diesem Jahr streiken Lkw-Fahrer dreier Speditionen des polnischen Unternehmers Lukasz Mazur auf der Raststätte Gräfenhausen an der A5 in Hessen. Mazur geht mit absurden juristischen Vorwürfen gegen die Streikenden vor, die er teils seit Monaten nicht mehr bezahlt hat. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Verdachts des besonders schweren Falls von Landfriedensbruch, Körperverletzung, Störung einer Versammlung und Verdachts des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz.
UZ sprach mit Edwin Atema über die Situation der Streikenden. Der niederländische Gewerkschafter arbeitet für die Stiftung Road Transport Due Diligence. Er hatte beim ersten Streik in Gräfenhausen erfolgreich vermittelt und ist jetzt wieder Sprecher und Verhandlungsbevollmächtigter der streikenden Lkw-Fahrer.
UZ: Einer der streikenden Fahrer sagte der „hessenschau“: „Wir bleiben. Der Streik dauert. Und wenn es bis zum Tod ist.“ Das klingt ziemlich verzweifelt. Sie sind vor Ort und sprechen mit den Fahrern. Wie beschreiben Sie deren Situation?
Edwin Atema: Nicht als verzweifelt, sondern als entschlossen. Sie wollen so lange streiken, bis sie ihr Geld bekommen, und ziehen alle an einem Strang. Ihre Forderungen sind nicht aus der Luft gegriffen: Sie fordern das Geld ein, für das sie gearbeitet haben.
UZ: Wie sehen deren Arbeitsbedingungen aus?
Edwin Atema: Sie sind oft monatelang unterwegs, leben in ihren Lastwägen und fristen im Grunde ihr Leben auf Parkplätzen, ohne Garantie, wann und ob sie überhaupt bezahlt werden. Das ist eine äußerst prekäre Situation. Die Spedition stellt ihnen nicht einmal grundlegende Dokumente über ihre Beschäftigung zur Verfügung.
UZ: Kollegen dieser Fahrer haben im Frühling dieses Jahres gestreikt, ebenfalls in Gräfenhausen. Hat dieser erste Streik dazu geführt, dass Unternehmen nicht mehr mit Mazur zusammenarbeiten?
Edwin Atema: Das ist schwer zu sagen. Dieses Unternehmen hat etwa 1.000 Lkw, und wir können nicht mit 1.000 Arbeitern sprechen. Aber wir haben herausgefunden, dass einige Unternehmen, die eine Petition von Fahrern des letzten Streiks im April erhalten hatten, immer noch mit Unternehmen von Mazur zusammenarbeiten. Bis zum Erhalt dieser Petition hätten diese Unternehmen sagen können, sie hätten es nicht besser gewusst. Seitdem allerdings wissen sie nicht nur von den prekären Arbeitsbedingungen der Beschäftigten Mazurs, sondern sind auch darüber informiert, dass sie Teil der Lieferketten von dessen Speditionen sind. Was noch schlimmer ist: Die Fahrer hatten die Kunden Mazurs um Hilfe gebeten. Von denen gab es keine Reaktion und jetzt sind sie wieder involviert.
DHL zum Beispiel hat eine strenge Politik gegen Zwangsarbeit und Ausbeutung, trotzdem sind sie in Gräfenhausen beteiligt. In den Medien erklärte ein DHL-Sprecher, man habe den Vertrag mit dem betroffenen Unternehmen gekündigt. Eine Vertragskündigung hilft den Fahrern im Moment nicht weiter. DHL sollte ihnen helfen, indem es seine ganze wirtschaftliche und politische Macht einsetzt, um die Situation zu lösen.
UZ: Die Geschäftsführung der Transportunternehmen hat Strafanzeige wegen „räuberischer Erpressung“ gegen die streikenden Fahrer erstattet. Die seien Auftragnehmer, keine Angestellten. Kommt die Geschäftsführung mit einem solchen „Argument“ durch?
Edwin Atema: Ein völlig absurder Vorwurf, der nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein könnte. Ob die Fahrer nun Vertragspartner oder Angestellte sind – das Unternehmen behauptet einfach, man werde erpresst, weil die Fahrer Geld verlangen. Ein einfacher Vergleich dazu: Stellen Sie sich vor, Sie gehen in einen Supermarkt, um Brot zu kaufen. Nun sagt Ihnen die Kassiererin, das koste zwei Euro. Jetzt sagen Sie, dass Sie nicht zahlen werden, aber wenn Sie das Brot nicht bekämen, sei das Erpressung.
UZ: Ende letzter Woche war die Polizei in Gräfenhausen präsent. Wie haben die Fahrer auf deren Anwesenheit und ihre Befragung reagiert?
Edwin Atema: Sehr gut, denn wir hatten die Fahrer auf diese Situation vorbereitet. Unsere Kommunikation mit der Polizei läuft gut. Die Polizei hat sich nicht in den Streik eingemischt. Das Einzige, was sie getan hat, war, die Identität der Fahrer festzustellen und ihnen eine Liste mit den Vorwürfen des Unternehmens gegen sie auszuhändigen. Die Polizei wurde in den Medien mit den Worten zitiert, die Fahrer seien sehr kooperativ gewesen und man habe nichts anderes von ihnen erwartet. Wir halten das für ein klares Signal, das die Polizei an die Spedition sendet. Würde die Polizei diese Fahrer als Kriminelle sehen, würde sie so etwas nie sagen.
UZ: Zeitungen berichteten, Mazur habe jeden einzelnen der streikenden Fahrer in Gräfenhausen entlassen. Sie wurden mit der Aussage zitiert, die Unterschriften der Fahrer unter diesen Schreiben seien gefälscht.
Edwin Atema: Zumindest versucht Mazur, so zu tun, als seien alle entlassen worden. Die Aufhebungsverträge wurden jedenfalls nicht von den streikenden Fahrern unterschrieben. Die Fälschung von Dokumenten ist eine Straftat. Wir haben herausgefunden, dass Mazur diese Dokumente benutzt hat, um Kranken- und Sozialversicherung dieser Fahrer in Polen zu kündigen! Seine Unternehmen fälschen nicht nur Aufhebungsverträge, sondern benutzen die auch, um ihren Fahrern in Polen weitere Schwierigkeiten zu bereiten.
Die Streikenden erwägen jetzt, Strafanzeige gegen Mazur wegen dieser gefälschten Unterschriften zu stellen, und sehen ihn als Kriminellen. Sie hoffen allerdings immer noch, dass er zur Vernunft kommt und in den Dialog mit ihnen tritt. Strafanzeigen haben solche Situationen noch nie gelöst.
UZ: Die Staatsanwaltschaft ermittelt unter anderem wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz gegen Mazur. Im Frühjahr hatte er ein panzerähnliches Fahrzeug samt Privatmiliz nach Deutschland gebracht, um die damals streikenden Beschäftigten zu bedrohen.
Edwin Atema: Das zeigt, welche Einstellung Mazur hat. Er saß schon einmal in Deutschland im Gefängnis. Wir haben miterlebt, wie er mit seinen paramilitärischen Truppen von der Polizei aus Hessen hinauseskortiert wurde. Was noch schlimmer ist: Im Grunde genommen weiß jetzt ganz Europa, wie Mazur mit seinen Beschäftigten umspringt. Trotzdem machen Firmen wie DHL ein halbes Jahr später immer noch Geschäfte mit ihm. Sie können sich nicht mit der Kündigung ihrer Verträge herausreden. DHL muss alles in seiner Macht Stehende tun, um dieses Problem wirklich zu lösen.
UZ: Sind die Mazur-Unternehmen extreme Beispiele oder ist ein solcher Umgang mit Lkw-Fahrern die Norm?
Edwin Atema: Mazur ist kein exotisches Beispiel. Wenn Sie am Wochenende von Amsterdam nach Berlin oder von Berlin nach Paris fahren, werden Sie auf buchstäblich jedem Parkplatz Fahrer finden, die genauso ausgebeutet werden wie diese Jungs in Gräfenhausen.
In Europa gelten Arbeitsschutzrechte wie Lenkzeitbegrenzungen und Ruhezeiten für Lkw-Fahrer. Die sind allerdings das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Die Firmen, die sich daran halten, würden das auch ohne gesetzliche Regelungen tun. Die anderen kümmern sich einen Scheißdreck darum. Sie kommen ja ungestraft davon.
UZ: Wie organisieren die streikenden Fahrer jetzt ihre Verhandlungen mit den Unternehmensleitungen?
Edwin Atema: Es gibt keine Verhandlungen. Mazur sagt einfach, die Polizei werde ihm helfen, die Sache zu lösen. In der ersten Woche des laufenden Streiks haben etwa zwanzig Fahrer Geld erhalten – weil ich direkt mit jemandem von der Firma verhandelt hatte. Dann hat die Firma einfach aufgehört, mit mir zu sprechen. Also ernannten die Fahrer mich zu ihrem Sprecher und zum Verhandlungsbevollmächtigten für den Fall, dass es zu Verhandlungen kommt. Wie schon beim letzten Streik in Gräfenhausen.
UZ: Verbandsfreie Streiks gelten in Deutschland als illegal. Die Fahrer aus Staaten außerhalb der EU sind nicht in deutschen Gewerkschaften organisiert.
Edwin Atema: Hier gilt die Europäische Sozialcharta, die das Streikrecht garantiert. Das ist ein fundamentales Recht Beschäftigter. Die Aktion in Gräfenhausen sehen wir mehr als Protest. So was passiert eben, wenn man Beschäftigte dermaßen in die Enge treibt. Wie sonst können die sich wehren? Ihre Lkws zu parken ist ja die verzweifeltste Maßnahme. Ob man das jetzt Protest oder Streik nennt, ist lediglich eine Frage der Wortwahl.
UZ: Wie können Gewerkschafter die streikenden Fahrer unterstützen?
Edwin Atema: ver.di und DGB tun im Grunde alles, was sie können, um die Aktion politisch wie praktisch zu unterstützen. Zusätzlich sorgen Bündnisse wie Faire Mobilität oder Faire Integration und Ehrenamtliche verschiedener Parteien und aus der Kirche dafür, dass die Grundbedürfnisse der Streikenden erfüllt werden.
Übrigens wurden in den letzten Wochen vier der Fahrer wegen medizinischer Probleme mit Rettungswagen zu ärztlicher Versorgung gebracht. Wenn Sie oder ich krank sind, gehen wir zu Ärzten. Aber diese Männer leben seit vielen Monaten in ihren Lastwagen und sprechen nur Russisch oder Georgisch. Sie haben nicht einmal grundlegende Dokumente von ihrem Unternehmen. Wie sollten sie also einen Arzt aufsuchen? Und selbst wenn sie beim Arzt sind, welche Dokumente können sie vorlegen, um zu beweisen, dass sie versichert sind? So kommt es, dass Fahrer sich unterwegs oft selbst behandeln. Am Ende zahlen sie dafür einen hohen Preis.
In der Vergangenheit sind manche Fahrer dieser Unternehmen einfach gestorben, während sie auf Achse waren. Es ist uns einmal gelungen, eine finanzielle Entschädigung für die Witwe eines georgischen Fahrers zu erwirken, der in Italien tot hinter seinem Lkw gefunden wurde. Es ist doch offenkundig, dass es wirklich schlecht für die Gesundheit ist, vier Monate lang in der Fahrerkabine eines Lastwagens zu leben. Genau aus diesem Grund gibt es Gesetze, die vorschreiben, dass die Fahrer mindestens jedes dritte Wochenende außerhalb ihres Lkws in einer vom Arbeitgeber bezahlten und organisierten Unterkunft verbringen müssen. Das ist nicht nur für die Verkehrssicherheit wichtig, sondern auch für die Gesundheit der Fahrer.
UZ: Können die Streikenden die aktuelle Auseinandersetzung gewinnen?
Edwin Atema: Würden Sie morgen aufhören, wäre eines sicher: Dieses Unternehmen wird einfach so weitermachen wie bisher – die Fahrer ausbeuten, wie verrückt Geld verdienen, das Gesetz brechen und faire Unternehmen aus dem Wettbewerb verdrängen. Die Fahrer haben erkannt, dass ihr Streik wirklich notwendig ist, um an ihr Geld zu kommen. Es gibt nur zwei Szenarien, wie die Sache ausgehen kann: Entweder gehen die bestreikten Unternehmen bankrott oder sie bezahlen die Fahrer.