Wenn deutsche Gewerkschafter in einem kubanischen Betrieb erwähnen, dass Frauen in ihrem Land für gleichwertige Arbeit im Schnitt rund 20 Prozent weniger Entgelt erhalten, ernten sie meist ungläubige Blicke. Die Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner können nicht verstehen, dass die Entgeltdiskriminierung von Frauen in einem der wohlhabendsten Länder der EU – auch rund 75 Jahre nach Gründung des westdeutschen Staates – noch immer fortbesteht. Auf die Frage, warum BRD-Regierungen diese Ungleichbehandlung weiter zulassen, finden die Besucher keine überzeugende Antwort.
Auch in Kuba stehen weibliche Beschäftigte, Gewerkschaften und die 1960 als NGO gegründete „Föderation der kubanischen Frauen“ (FMC) am diesjährigen Internationalen Frauentag vor einer Reihe Herausforderungen. Die Entgeltdiskriminierung von Frauen gehört allerdings nicht dazu. Das Prinzip „Gleiches Geld für gleiche Arbeit“ ist dort – im Gegensatz zur BRD – bereits seit dem Sieg der Revolution im Jahr 1959 eine gesetzlich abgesicherte Selbstverständlichkeit. In den folgenden Jahren erstritten kubanische Frauen weitere Errungenschaften, wie das Recht auf Abtreibung, die Eroberung des öffentlichen Raums und Einfluss auf politische Entscheidungen, von denen ihre Großmütter nur träumen konnten und von denen die Geschlechtsgenossinnen in vielen anderen Ländern bis heute weit entfernt sind. So beträgt, um nur ein Beispiel zu nennen, der aktuelle Frauenanteil im kubanischen Parlament 55,7 Prozent, während er im Bundestag bei 35,1 Prozent liegt. Im weltweiten Ranking der Interparlamentarischen Union (IPU) nahm Deutschland, dessen Regierung sich einer „feministischen Außenpolitik“ rühmt und gern andere Länder belehrt, zum Stichtag 1. August 2023 gerade einmal Platz 45 ein. Kuba erreichte dagegen – nach Ruanda mit 61,3 Prozent und vor Nicaragua mit 51,7 Prozent – den zweiten Platz.
Das neue Familiengesetz (Código de las familias), dem gut zwei Drittel der Kubanerinnen und Kubaner bei einem Referendum am 25. September 2022 gegen den Widerstand evangelikaler Gruppen und Teilen der katholischen Kirche zugestimmt hatten, hat die allgemeinen Rechte von Frauen weiter gestärkt. Aktivistinnen erklärten aber am 8. März vergangenen Jahres in einem Beitrag für das größte kubanische Onlineportal „Cubadebate“: „Nein Genossinnen, dies ist kein Tag, um nur Postkarten und Blumen zu verschicken.“ Vielmehr solle der Frauentag dazu genutzt werden, „unsere Strategien im Kampf für Gleichberechtigung, für mehr Rechte und Gerechtigkeit“ zu planen. „In Kuba sind wir auf einem guten Weg in diese Richtung, aber wir haben noch einen langen Marsch vor uns“, so die Aufforderung zur Teilnahme an einer Onlinedebatte.
Für Yamila Gonzalez Ferrer, Vizepräsidentin der Nationalen Juristenvereinigung Kubas (UNJC), Professorin an der Universität Havanna und Mitglied des Nationalen Komitees der FMC, reicht es nicht aus, fortschrittliche Gesetze zu haben. Ihrer Meinung nach besteht die größte Herausforderung heute in der Umsetzung und Anwendung der bereits verabschiedeten Rechtsnormen. „Es handelt sich um Gesetze, die uns zweifellos in eine sehr günstige Situation versetzen, um Diskriminierung zu beseitigen, Stereotypen und Vorurteile zu bekämpfen und Situationen, die zum Beispiel mit geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt zusammenhängen, vorrangig zu behandeln“, schrieb sie auf „Cubadebate“. Die Herausforderung besteht jedoch in der Umsetzung, „denn wie wir wissen, ändert sich das Bewusstsein der Menschen nicht von einem Tag auf den anderen, und sie müssen aufgeklärt, sensibilisiert und geschult werden, damit die Gesetze auf allen Ebenen richtig umgesetzt werden und wirken können“, betonte González Ferrer. Die Juristin vertritt Kuba auch im Überwachungsausschuss der Vereinten Nationen für das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau.
In Havanna war die erste Veranstaltung zum Internationale Frauentag am 8. März 1931 von der kommunistischen Gewerkschaft „Central Nacional Obrera de Cuba“ (CNOC) organisiert worden, die dazu alle Frauen aus verschiedenen Werkstätten, Geschäften und Fabriken der Stadt eingeladen hatte. Offiziell gefeiert wird der Tag aber erst seit dem Sieg der Revolution. Die Gleichstellung wurde den Frauen allerdings auch auf der Karibikinsel nicht geschenkt. Sie haben sich ihre heutigen Rechte in Jahrzehnten erkämpft. Eine Vorreiterrolle spielte dabei die nur aus Frauen bestehende Guerillaeinheit „Las Marianas“, die am 4. September 1958 auf Initiative Fidel Castros gegründet worden war. Eine Zeitzeugin beschrieb 2013 in der Gewerkschaftszeitung „Trabajadores“, wie Castro führende Mitglieder der Guerilla an die Rolle der Frauen in den Unabhängigkeitskriegen erinnerte. „Fidel zitierte Marx, Lenin und Clara Zetkin, sprach über die besondere Unterdrückung von Frauen in der kapitalistischen Gesellschaft und endete damit, dass all das die Frauen zu den entschiedensten Kämpferinnen für eine andere Gesellschaft mache.“